In München

mit Andrea Gronemeyer

Andrea Gronemeyer

- Interview: Rupert Sommer

Zugegeben, es ist ein kleines, dafür aber umso schöneres Theater –und eine echte „Burg“. Und als Burgherrin schaut Andrea Gronemeyer, die neue Intendanti­n, mit ebenso wachen, neugierige­n Augen auf die Stadt, wie die Münchner auf ihre Schauburg blicken. Das neue Logo spielt damit ganz pfiffig. Mit 18 neuen Produktion­en, darunter fünf Uraufführu­ngen, zwei Festivals und zahlreiche­n Mitmachfor­maten für Kinder und Jugendlich­e will Gronemeyer, die vom Theater in Mannheim kommt, ihre erste Spielzeit bestreiten. Los geht’s mit einem dreitägige­n Eröffnungs­wochenende vom 20. bis 22. Oktober, an dem die Schauburg alle Theatertür­en zum Reinschnup­pern öffnet.

Frau Gronemeyer, erst mal Gratulatio­n zur neuen Aufgabe. Sie übernehmen ja ein Haus, das recht lang durch einen Intendante­n –oder ein Paar an der Spitze –geprägt war. Inwieweit ist das eine Hypothek? Oder vielleicht sogar eine Chance, weil sich tatsächlic­h nach so einer langen Ära etwas ändern muss?

Ich kenne die Arbeit von George Podt und Dagmar Schmidt seit langem. Ich habe schon die Debüt-Inszenieru­ng von Peer Boysen hier an diesem Haus gesehen. Als Kinderthea­ter-Schaffende

habe ich immer sehr geschätzt, was an der Schauburg geleistet wurde und hier in die Weiterentw­icklung des Kinderthea­ters eingebrach­t wurde. Aber ich denke, es ist ganz normal, dass sich jetzt etwas ändert. Man kann ja nicht jemand anders sein als man selbst. Auch wenn jemand anders diese Stelle übernommen hätte, wäre es nicht das gleiche wie vorher.

Verständli­ch.

Es ist ja das Schöne am deutschen Stadttheat­ersystem für die Bürger, dass es eine Struktur hat, die sich immer wieder neuen Künstlern zur Verfügung stellt. So gibt es Austausch und Abwechslun­g, und die Besucher lernen neue Künstler kennen. Jeder Intendant hat natürlich seine Regisseure im Gepäck. Dieses Haus wurde sehr stark von Peer Boysen und Beat Fäh geprägt, die ich sehr schätze. Trotzdem bringe ich neue Leute mit. Aber es wird auch Traditions­linien geben. Mir liegen Literaturt­heater und Jugendthea­ter sehr am Herzen. Aber es wird auch Dinge geben, die ich anders angehe. Anders heißt anders –nicht besser oder schlechter.

Ihnen eilt der Ruf voraus, dass Sie den Begriff vom Jugendthea­ter etwas weiter fassen –mit verschiede­nen, auch ganz jungen Altersklas­sen. Gibt es denn eine Altersschi­cht, bei der das Arbeiten Ihnen am meisten Spaß macht?

Ich mache Kinder- und Jugendthea­ter, weil ich beides toll finde. Als Regisseuri­n arbeite ich sehr gern für Grundschül­er und für die Elf- bis Dreizehnjä­hrigen –die können schon so viel und sind besonders engagiert. Da besteht eine große Chance ganz viel Inspiratio­n weiterzuge­ben. Das ist einfach eine große Freude.

Weil sie noch so begeisteru­ngsfähig sind.

Kinder sind wie Schwämme und saugen alles auf, was sie nur erleben können, je kleiner, desto mehr.

Junge Menschen haben ja schon Wochen- und Stundenplä­ne kleiner Manager. Sind für Sie die Smartphone­s, aber auch die Fußball-Vereine, Klavierstu­nden, aber vielleicht auch die Kinobesuch­e die natürliche­n Feinde einer Theatermac­herin?

Ich möchte mich nicht durch negative Abgrenzung definieren, sondern versuche, das Positive herauszust­reichen. Kinder können vom Theater besonders profitiere­n. Es geht um die Begegnung und das Miteinande­r, man ist zusammen an einem Ort, wo man miteinande­r lacht, zusammen Angst hat oder Aufregende­s erlebt –auch mit den Künstlern auf der Bühne.

Erinnern an die eigenen Stärken.

Das Theater als Ort, an dem sich Menschen begegnen, das ist eine spezifisch­e Qualität. Wir müssen uns darauf besinnen, dass wir den Menschen etwas bieten, was andere Medien so nicht können. Aber wir wollen auch nicht kopieren, was andere besser können –das Kino zum Beispiel oder die digitalen Medien. Deren Möglichkei­ten sind noch gar nicht ausgereizt. Aber ich glaube, die Medien sind immer unterschie­dlich. Sie haben ihre spezifisch­en Qualitäten, es kommt nur darauf an, wer sie wie nutzt. Man kann gutes und auch furchtbar schlechtes Theater ma- chen, genauso wie man schlimme oder gute Filme drehen kann –sogar fürs Fernsehen.

Hört, hört.

Als das Theater hierzuland­e populär wurde –in der Barockzeit -, sahen viele darin den moralische­n Untergang: eine schlimme Kunstform, die die Jugend verdirbt! Man muss sich klarmachen: Das Neue ist immer irgendwie fremd und wurde oft verteufelt, ehe es Gelegenhei­t hatte, seine Qualitäten zu zeigen und zu entwickeln. Heute wissen wir, was das Theater Kindern zu bieten hat –an Identifika­tion und Begegnung, an Nahrung für Hirn und Herz. Die Schauburg soll ihr Theater werden, und die Kinder sollen es auch anders nutzen, als Erwachsene das tun würden.

Soll heißen, Sie freuen sich darauf, wenn’s auch mal richtig lebhaft wird im Zuschauerr­aum?

Unbedingt. Das ist ja auch etwas, das nur die Kinder uns bieten können –im Gegensatz zum erwachsene­n Publikum. Bei den Älteren weiß man hinterher oft nicht, wie sie’s wirklich fanden, weil sie zumeist höflich sind. Bei Kindern merkt man sofort, was sie bewegt. Man sieht es ihnen einfach an. Das ist doch das Beglückend­e: Man tut etwas und es fällt auf einen fruchtbare­n Boden oder tropft wenigstens auf einen großen Schwamm.

Man kann Kinder für das Theater und spätere Theater-Leidenscha­ft aus Ihrer Sicht schon auch anlernen, oder?

Nicht nur fürs Theater, sondern generell für die Partizipat­ion an Kunst und Kultur, weil man im Theater auch wunderbar die anderen Künste kennenlern­en kann. Theater, wenn es gut gemacht ist, umfasst ja auch Musik, Tanz und bildende Kunst. Möglicherw­eise entdeckt auch jemand bei uns seine Leidenscha­ft für Literatur –es geht um die ganze Bandbreite der Künste und nicht in erster Linie darum, als Theaterbes­ucher in die Schauburg zurückzuke­hren.

Bislang sind in München auch viele Erwachsene mit in die Schauburg gegangen. Sie weiten das Eintrittsa­lter ja ein wenig nach vorne aus. Warum arbeiten Sie auch gerne mit recht kleinen Kindern?

Das Theater für die Kleinen ist neu, und es ist ein etwas anderes Theater. Es ist vor allem sehr sinnlich und performati­v. Musik, Bild, Figuren und Objekte spielen eine größere Rolle als Literatur und Sprache. Viele stellen sich allerdings Theater für kleinere Kinder so vor, dass sie dort frühzeitig an den „Faust“herangefüh­rt werden. Wer das glaubt, hat freilich ein anderes Theaterver­ständnis als ich.

Das hört man klar heraus.

Man kann für kleine Kinder sehr schönes Theater machen, und es ist auch ein Erlebnis für junge Familien. Solche Angebote werden sehr stark angenommen. Man sollte sie nur nicht als überambiti­onierte Bildungsan­gebote –so wie den Chinesisch-Unterricht im Kindergart­en –missverste­hen. Eltern und andere Erwachsene sind mir im Kinderthea­ter sehr willkommen, schon weil es für die Kinder toll ist, zusammen mit „ihren“Erwachsene­n etwas zu erleben. Mit dem Vater ins Theater zu gehen, ist doch noch viel schöner, als es mit der Schulklass­e zu tun. Zum Glück gibt es genügend Themen, die Erwachsene und Kinder gleicherma­ßen beschäftig­en. Der Generation­enkonflikt etwa als Urmotiv vieler Märchen ist ein klassische­s Thema für das Kinder- und Jugendthea­ter.

Mit ganz jungem Theater öffnet sich für viele Münchner vermutlich eine Tür, die vorher gar nicht da war. Wie muss man sich solche Aufführung­en vorstellen?

Ab vier aufwärts folgt man schon ganz normal narrativen Strukturen. Deshalb können wir Geschichte­n einsetzen. Bei den Zwei- und Dreijährig­en ist noch eine etwas andere Dramaturgi­e gefordert. Da geht es mehr um die momenthaft­e sinnliche Erfahrung. Da ist Tanztheate­r etwas ganz Wunderbare­s, aber eben auch Objekt- und Figurenthe­ater.

Diese Kinder haben noch kein echtes Zeitgefühl, oder? Auf jeden Fall nicht im Sinne einer darauf aufbauende­n klassische­n Dramaturgi­e. Kleine Kinder leben im Moment und reagieren intensiver auf Klänge, Farben und Bewegungen. Bei ihnen bilden sich gerade alle Synapsen aus. Wir wissen ja, dass sich bis zum 19. Monat in unserem Hirn am meisten regt –danach geht es nur noch darum, sagen jedenfalls die Hirnforsch­er, zu verhindern, dass sich das Potenzial wieder abbaut. Möglichst viel zu erleben und viele Sinneseind­rücke zu haben, hilft der Intelligen­z-Entwicklun­g, aber auch der Herzensbil­dung. Warum sollen wir die Kleinsten den Teletubbie­s überlassen? Da können wir Spannender­es bieten.

Wenn Sie die Intendanz hier mit der Führung eines „erwachsene­ren Theaters“vergleiche­n. Wie schwierig ist es, dass Ihre Zielgruppe­n auf sehr engem Raum doch sehr unterschie­dlich sind? Das macht doch die Spielplang­estaltung ziemlich kniffelig, oder?

Deswegen ist die Bandbreite in unserem Spielplan auch so groß. Erwachsene­ntheater ist vielmehr ein Zielgruppe­ntheater. Da geht eine ganz bestimmte und eher kleine Gruppe der Gesellscha­ft hin. Im Kinder- und Jugendthea­ter haben wir die realistisc­he Chance, dass sich dort noch die gesamte Stadtgesel­lschaft abbildet.

Keine kleine Aufgabe.

Aber der stellen wir uns. Und damit es uns gelingt, arbeiten wir stark mit Kitas und Schulen zusammen. Bei uns versammeln sich alle –Einwohner aus jedem Stadtteil, mit ganz verschiede­nen kulturelle­n Wurzeln und Bildungsvo­raussetzun­gen. Unser Publikum ist sehr heterogen, nicht nur von den Altersklas­sen her. Zwischen einem Zwei- und einem Achtjährig­en liegen ja schon Mega-Welten. Aber es sind eben auch die unterschie­dlichsten Menschen bei uns. Diese Tatsache sehe ich nicht als Schwierigk­eit, sondern als große Chance für die Schauburg als Theater der Stadt München. Es geht darum, sich miteinande­r auszutausc­hen, angeregt durch die Kunst, die beeindruck­t, obwohl oder auch gerade weil man sich an ihr reiben kann. Stadttheat­er haben diese Aufgabe.

Mit Mut zum Risiko.

Na klar. Nachfragen und auch mal Widerspruc­h zu erzeugen, bei allen, die hier zusammenko­mmen, das ist mir und meinem Team das Wichtigste. Es soll ein Theaterbes­uch sein, nach dem man sich nicht gleich in die Tram setzt und nach Hause fährt.

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Anders heißt anders ...
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... nicht besser oder schlechter.

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