mit Andrea Gronemeyer
Andrea Gronemeyer
Zugegeben, es ist ein kleines, dafür aber umso schöneres Theater –und eine echte „Burg“. Und als Burgherrin schaut Andrea Gronemeyer, die neue Intendantin, mit ebenso wachen, neugierigen Augen auf die Stadt, wie die Münchner auf ihre Schauburg blicken. Das neue Logo spielt damit ganz pfiffig. Mit 18 neuen Produktionen, darunter fünf Uraufführungen, zwei Festivals und zahlreichen Mitmachformaten für Kinder und Jugendliche will Gronemeyer, die vom Theater in Mannheim kommt, ihre erste Spielzeit bestreiten. Los geht’s mit einem dreitägigen Eröffnungswochenende vom 20. bis 22. Oktober, an dem die Schauburg alle Theatertüren zum Reinschnuppern öffnet.
Frau Gronemeyer, erst mal Gratulation zur neuen Aufgabe. Sie übernehmen ja ein Haus, das recht lang durch einen Intendanten –oder ein Paar an der Spitze –geprägt war. Inwieweit ist das eine Hypothek? Oder vielleicht sogar eine Chance, weil sich tatsächlich nach so einer langen Ära etwas ändern muss?
Ich kenne die Arbeit von George Podt und Dagmar Schmidt seit langem. Ich habe schon die Debüt-Inszenierung von Peer Boysen hier an diesem Haus gesehen. Als Kindertheater-Schaffende
habe ich immer sehr geschätzt, was an der Schauburg geleistet wurde und hier in die Weiterentwicklung des Kindertheaters eingebracht wurde. Aber ich denke, es ist ganz normal, dass sich jetzt etwas ändert. Man kann ja nicht jemand anders sein als man selbst. Auch wenn jemand anders diese Stelle übernommen hätte, wäre es nicht das gleiche wie vorher.
Verständlich.
Es ist ja das Schöne am deutschen Stadttheatersystem für die Bürger, dass es eine Struktur hat, die sich immer wieder neuen Künstlern zur Verfügung stellt. So gibt es Austausch und Abwechslung, und die Besucher lernen neue Künstler kennen. Jeder Intendant hat natürlich seine Regisseure im Gepäck. Dieses Haus wurde sehr stark von Peer Boysen und Beat Fäh geprägt, die ich sehr schätze. Trotzdem bringe ich neue Leute mit. Aber es wird auch Traditionslinien geben. Mir liegen Literaturtheater und Jugendtheater sehr am Herzen. Aber es wird auch Dinge geben, die ich anders angehe. Anders heißt anders –nicht besser oder schlechter.
Ihnen eilt der Ruf voraus, dass Sie den Begriff vom Jugendtheater etwas weiter fassen –mit verschiedenen, auch ganz jungen Altersklassen. Gibt es denn eine Altersschicht, bei der das Arbeiten Ihnen am meisten Spaß macht?
Ich mache Kinder- und Jugendtheater, weil ich beides toll finde. Als Regisseurin arbeite ich sehr gern für Grundschüler und für die Elf- bis Dreizehnjährigen –die können schon so viel und sind besonders engagiert. Da besteht eine große Chance ganz viel Inspiration weiterzugeben. Das ist einfach eine große Freude.
Weil sie noch so begeisterungsfähig sind.
Kinder sind wie Schwämme und saugen alles auf, was sie nur erleben können, je kleiner, desto mehr.
Junge Menschen haben ja schon Wochen- und Stundenpläne kleiner Manager. Sind für Sie die Smartphones, aber auch die Fußball-Vereine, Klavierstunden, aber vielleicht auch die Kinobesuche die natürlichen Feinde einer Theatermacherin?
Ich möchte mich nicht durch negative Abgrenzung definieren, sondern versuche, das Positive herauszustreichen. Kinder können vom Theater besonders profitieren. Es geht um die Begegnung und das Miteinander, man ist zusammen an einem Ort, wo man miteinander lacht, zusammen Angst hat oder Aufregendes erlebt –auch mit den Künstlern auf der Bühne.
Erinnern an die eigenen Stärken.
Das Theater als Ort, an dem sich Menschen begegnen, das ist eine spezifische Qualität. Wir müssen uns darauf besinnen, dass wir den Menschen etwas bieten, was andere Medien so nicht können. Aber wir wollen auch nicht kopieren, was andere besser können –das Kino zum Beispiel oder die digitalen Medien. Deren Möglichkeiten sind noch gar nicht ausgereizt. Aber ich glaube, die Medien sind immer unterschiedlich. Sie haben ihre spezifischen Qualitäten, es kommt nur darauf an, wer sie wie nutzt. Man kann gutes und auch furchtbar schlechtes Theater ma- chen, genauso wie man schlimme oder gute Filme drehen kann –sogar fürs Fernsehen.
Hört, hört.
Als das Theater hierzulande populär wurde –in der Barockzeit -, sahen viele darin den moralischen Untergang: eine schlimme Kunstform, die die Jugend verdirbt! Man muss sich klarmachen: Das Neue ist immer irgendwie fremd und wurde oft verteufelt, ehe es Gelegenheit hatte, seine Qualitäten zu zeigen und zu entwickeln. Heute wissen wir, was das Theater Kindern zu bieten hat –an Identifikation und Begegnung, an Nahrung für Hirn und Herz. Die Schauburg soll ihr Theater werden, und die Kinder sollen es auch anders nutzen, als Erwachsene das tun würden.
Soll heißen, Sie freuen sich darauf, wenn’s auch mal richtig lebhaft wird im Zuschauerraum?
Unbedingt. Das ist ja auch etwas, das nur die Kinder uns bieten können –im Gegensatz zum erwachsenen Publikum. Bei den Älteren weiß man hinterher oft nicht, wie sie’s wirklich fanden, weil sie zumeist höflich sind. Bei Kindern merkt man sofort, was sie bewegt. Man sieht es ihnen einfach an. Das ist doch das Beglückende: Man tut etwas und es fällt auf einen fruchtbaren Boden oder tropft wenigstens auf einen großen Schwamm.
Man kann Kinder für das Theater und spätere Theater-Leidenschaft aus Ihrer Sicht schon auch anlernen, oder?
Nicht nur fürs Theater, sondern generell für die Partizipation an Kunst und Kultur, weil man im Theater auch wunderbar die anderen Künste kennenlernen kann. Theater, wenn es gut gemacht ist, umfasst ja auch Musik, Tanz und bildende Kunst. Möglicherweise entdeckt auch jemand bei uns seine Leidenschaft für Literatur –es geht um die ganze Bandbreite der Künste und nicht in erster Linie darum, als Theaterbesucher in die Schauburg zurückzukehren.
Bislang sind in München auch viele Erwachsene mit in die Schauburg gegangen. Sie weiten das Eintrittsalter ja ein wenig nach vorne aus. Warum arbeiten Sie auch gerne mit recht kleinen Kindern?
Das Theater für die Kleinen ist neu, und es ist ein etwas anderes Theater. Es ist vor allem sehr sinnlich und performativ. Musik, Bild, Figuren und Objekte spielen eine größere Rolle als Literatur und Sprache. Viele stellen sich allerdings Theater für kleinere Kinder so vor, dass sie dort frühzeitig an den „Faust“herangeführt werden. Wer das glaubt, hat freilich ein anderes Theaterverständnis als ich.
Das hört man klar heraus.
Man kann für kleine Kinder sehr schönes Theater machen, und es ist auch ein Erlebnis für junge Familien. Solche Angebote werden sehr stark angenommen. Man sollte sie nur nicht als überambitionierte Bildungsangebote –so wie den Chinesisch-Unterricht im Kindergarten –missverstehen. Eltern und andere Erwachsene sind mir im Kindertheater sehr willkommen, schon weil es für die Kinder toll ist, zusammen mit „ihren“Erwachsenen etwas zu erleben. Mit dem Vater ins Theater zu gehen, ist doch noch viel schöner, als es mit der Schulklasse zu tun. Zum Glück gibt es genügend Themen, die Erwachsene und Kinder gleichermaßen beschäftigen. Der Generationenkonflikt etwa als Urmotiv vieler Märchen ist ein klassisches Thema für das Kinder- und Jugendtheater.
Mit ganz jungem Theater öffnet sich für viele Münchner vermutlich eine Tür, die vorher gar nicht da war. Wie muss man sich solche Aufführungen vorstellen?
Ab vier aufwärts folgt man schon ganz normal narrativen Strukturen. Deshalb können wir Geschichten einsetzen. Bei den Zwei- und Dreijährigen ist noch eine etwas andere Dramaturgie gefordert. Da geht es mehr um die momenthafte sinnliche Erfahrung. Da ist Tanztheater etwas ganz Wunderbares, aber eben auch Objekt- und Figurentheater.
Diese Kinder haben noch kein echtes Zeitgefühl, oder? Auf jeden Fall nicht im Sinne einer darauf aufbauenden klassischen Dramaturgie. Kleine Kinder leben im Moment und reagieren intensiver auf Klänge, Farben und Bewegungen. Bei ihnen bilden sich gerade alle Synapsen aus. Wir wissen ja, dass sich bis zum 19. Monat in unserem Hirn am meisten regt –danach geht es nur noch darum, sagen jedenfalls die Hirnforscher, zu verhindern, dass sich das Potenzial wieder abbaut. Möglichst viel zu erleben und viele Sinneseindrücke zu haben, hilft der Intelligenz-Entwicklung, aber auch der Herzensbildung. Warum sollen wir die Kleinsten den Teletubbies überlassen? Da können wir Spannenderes bieten.
Wenn Sie die Intendanz hier mit der Führung eines „erwachseneren Theaters“vergleichen. Wie schwierig ist es, dass Ihre Zielgruppen auf sehr engem Raum doch sehr unterschiedlich sind? Das macht doch die Spielplangestaltung ziemlich kniffelig, oder?
Deswegen ist die Bandbreite in unserem Spielplan auch so groß. Erwachsenentheater ist vielmehr ein Zielgruppentheater. Da geht eine ganz bestimmte und eher kleine Gruppe der Gesellschaft hin. Im Kinder- und Jugendtheater haben wir die realistische Chance, dass sich dort noch die gesamte Stadtgesellschaft abbildet.
Keine kleine Aufgabe.
Aber der stellen wir uns. Und damit es uns gelingt, arbeiten wir stark mit Kitas und Schulen zusammen. Bei uns versammeln sich alle –Einwohner aus jedem Stadtteil, mit ganz verschiedenen kulturellen Wurzeln und Bildungsvoraussetzungen. Unser Publikum ist sehr heterogen, nicht nur von den Altersklassen her. Zwischen einem Zwei- und einem Achtjährigen liegen ja schon Mega-Welten. Aber es sind eben auch die unterschiedlichsten Menschen bei uns. Diese Tatsache sehe ich nicht als Schwierigkeit, sondern als große Chance für die Schauburg als Theater der Stadt München. Es geht darum, sich miteinander auszutauschen, angeregt durch die Kunst, die beeindruckt, obwohl oder auch gerade weil man sich an ihr reiben kann. Stadttheater haben diese Aufgabe.
Mit Mut zum Risiko.
Na klar. Nachfragen und auch mal Widerspruch zu erzeugen, bei allen, die hier zusammenkommen, das ist mir und meinem Team das Wichtigste. Es soll ein Theaterbesuch sein, nach dem man sich nicht gleich in die Tram setzt und nach Hause fährt.