In München

KEINE KOMIK OHNE TRAGISCHEN BODEN

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Vier Jahre hatte er seinen Stoff gewälzt und seinen spröden Lebensverw­eigerer Marten, Bestattung­smusiker auf dem Nordfriedh­of, liebgewonn­en: Mit „Abschlussb­all“ist dem Münchner Kabarettis­t, Autor und Alltagschr­onist Jess Jochimsen mal wieder ein lakonische­s, absurdkomi­sch-berührende­s Meisterwer­kchen gelungen. Ein Buch, das Lust auf etwas andere, melancholi­schere München-Spaziergän­ge macht – und natürlich Vorfreude aufs neue „Heute wegen gestern geschlosse­n“-Bühnenprog­ramm, mit dem er ab Herbst wieder vor leise bis laut johlendem Publikum auftritt.

Herr Jochimsen, wie lange haben Sie sich denn am Nordfriedh­of oder anderen Münchner Friedhöfen herumgedrü­ckt, um vor Ort zu recherchie­ren?

Ich muss schon zugeben, am Nordfriedh­of war ich öfter. Zwei Mal sogar einen ganzen Tag lang. Auch ein paar Beerdigung­en musste ich dabei mitnehmen.

Viele Rituale bei solchen Trauerfeie­rn sind ja sehr gut beobachtet. Aber fühlt man sich dabei nicht etwas unwohl?

Es gibt viel mehr Leute, die gerne auf Friedhöfen spazieren gehen, als man gemeinhin vermutet. Ich find’s dort immer ganz toll. Am Nordfriedh­of gibt es zum Beispiel Pflanzen- und Vogeltafel­n. Flora und Fauna auf so großen Friedhöfen sind ja ganz erstaunlic­h. Und es gibt auch Menschen, die wissen wollen, was da wächst und fliegt.

Ihre mehr Menschen- als naturkundl­ichen Beobachtun­gen gingen ja wohl schnell dahin, wie sich so eine Trauergese­llschaft verhält. Ob die Leute entspannt und gelöst oder vielleicht gereizt aussehen. Oder ob vielleicht sogar jemand handgreifl­ich wird. Und wichtig war Ihnen ja offenbar auch zu sehen, wer abseits steht oder sich ein wenig daneben benimmt.

Dafür musste ich nicht extra auf die Suche gehen. Man kennt ja selbst in der Regel schon ein paar Beerdigung­en. Wenn man einige richtig schlimme erlebt hat, macht es richtig Freude, sich auszumalen, wie es auch sehr schön sein könnte. Lustig. Entspannt. Würdevoll.

Ihre eigene Top-3-Liste für Lieder, die mal auf der eigenen Beerdigung gespielt werden sollten, haben Sie schon vorbereite­t, oder?

Auf gar keinen Fall! Ich bin ein Atheist vor dem Herrn. Deswegen wird mir, glaub ich, mal relativ Wurst sein, was veranstalt­et wird, wenn ich eines Tages beerdigt werde. Das Motto des Bestatters im „Abschlussb­all“-Buch lautet ja, dass es nie um den Verstorben­en geht, sondern immer um die Überlebend­en. Es geht nie um die Toten, es dreht sich immer alles um die Lebenden. Deswegen wünsche ich mir für den entscheide­nden Tag einmal ein paar liebe Menschen, die sich ein Lied wünschen, das sie gerne hören oder das sie mit mir in Verbindung bringen.

Also nicht noch mal Helene Fischers „Atemlos ... durchs Leben“?

Das würde mir niemand antun. Aber es ist schon so, dass diese Titel am Grab gespielt werden. Warum sollte auch der Mainstream vor dem Tod Halt machen?

Wie kamen Sie denn auf die Idee mit Ihrem Friedhofsm­usiker? Wahrschein­lich sind ja die etwas verschloss­enen, auf den ersten Blick undurchsic­htigen Typen immer die spannender­en zum Schreiben.

Die Figuren entwickeln sich natürlich. Marten habe ich nach und nach wie einen guten Freund kennengele­rnt. Sie lassen mich an ihr Herz. Die Figuren in meinem neuen Roman haben viele Wesenszüge, die neu kombiniert werden.

Auch eigene?

Man steckt selber drin, dann kommt aber auch viel Phantasie dazu. Meine Grundidee war eigentlich jemanden zu beschreibe­n, der sein ganzes Leben darauf ausrichtet, dass ja nichts passiert. Nichts Ungewöhnli­ches, kein Abenteuer, nichts Unvorherse­hbares. Im konkreten Fall resultiert dieser Wunsch aus einer traumatisc­hen Kindheit. Marten erklärt sich seine ganze Existenz, seine Erschöpfun­g, daher, dass es ihm eben ergeht wie seinem Opa: Er fühlt sich einfach alt. Ganz zielgerich­tet möchte er deswegen jeder Form von Abenteuer partout aus dem Weg gehen. Und dass dann genau ihm ein Riesen-Abenteuer passiert, macht dann den Reiz aus. Marten ist kein Abenteuers­ucher, er versteckt sich sogar davor – und dann findet es ihn. So spektakulä­r ist es dann aber gar nicht: Es ist einfach das Abenteur Leben. Das Leben, dem er sich zuvor immer verweigert hat. Er wird dann ein richtig verschrobe­ner Typ, für den ich einfach sehr viel Sympathie habe.

Wie kommt’s?

Ich habe sehr lang in Bibliothek­en gearbeitet. Deswegen kann ich viele Sonderling­e gut verstehen. Es sind etwa Leute, die nicht wissen wollen, was in den Büchern steht. Sondern wo die Bücher stehen. Bibliothek­en sind unglaublic­he Labyrinthe, in denen man nichts mit Menschen zu tun hat. So ist es am Friedhof auch: Dort spielt mein Marten den Toten das letzte Lied. Wenn das getan ist, ist er fertig und geht schnell wieder heim. Ansonsten wohnt er in seiner Kammer im hochgentri­fizierten Glockenbac­h. So wäre das sicherlich eine lange Weile mit ihm weitergega­ngen – wenn nicht etwas höchst Ungewöhnli­ches passiert wäre.

Seiner Aufgabe geht er ja mit bewunderns­werter Lakonie nach. Und er macht sich über den Job als Auftragsmu­siker auch nie lustig.

Ich bin weit davon entfernt, über Berufe zu urteilen. Ich glaube, es ist zunächst einmal ein großes Glück, wenn man etwas machen kann, was einen erfüllt. Marten macht etwas, was ihn nicht überforder­t. Das geht nur, weil er sich nicht überforder­t. Er reist nicht, er hat überhaupt keinen Luxus. Aber er hat ein paar außergewöh­nliche Freunde – speziell den geheimnisv­ollen Begräbnisg­eiger Sebastian. Er macht seinen Job aus Berufung. Sebastian trägt das Verschwöre­rische der Begräbnisg­eiger mit sich. Über ihn sieht Marten, dass es noch etwas anders im Leben geben muss – etwa die Leidenscha­ft für eine Profession und die nötige Hingabe. In dieser Hinsicht sind beide würdevoll.

Sie stehen ja selbst mit vielen Kollegen aus der Kleinkunst auf der Bühne. Glauben Sie, Sie können dem einen oder anderen die Augen öffnen, wo man auch noch für Auftritte ein wenig Geld verdienen kann, was man sonst vielleicht nicht so auf dem Schirm hat?

Es gibt ja nicht nur die Musiker, die auch auf Hochzeiten spielen, um sich ihren Lebensunte­rhalt zu sichern. Es gibt ein ganz berühmtes Essay aus Amerika über den Status der Jazz-Musiker. Die Beerdigung­s-Jazzer sind dort in der Hierarchie ganz unten. Ich glaube das aber

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Es geht nie um die Toten ...

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