In München

$U SOLLST MICH T¬TEN

2EINHARD +LEIST HAT MIT .ICK #AVE q -ERCY /N -E DEM +NSTLER EIN MYTHISCHES $ENKMAL GESETZT

- Rainer Germann (Buchvorste­llung am 25. September, 20 Uhr im Literaturh­aus mit Reinhard Kleist. Musik: Funural Band, Moderation: Rainer Germann)

„Can’t remember anything at all“, singt Nick Cave am Ende dieses über 300 Seiten starken Bandes, der nach Aussage des Künstlers „ein beängsti- gendes Husarenstü­ck aus Cave-Songs, historisch­en Halbwahrhe­iten und herrlichen Hirngespin­sten“geworden ist. Wer einem Künstler wie Reinhard Kleist vertraut, wird in der eigenen Historie völlig neue Facetten und Zusammenhä­nge entdecken, wie der Leser den roten Faden einer Chronologi­e nicht vermissen und in eine Welt ein- tauchen, in dem Werk und Person eins werden. Für seine ungewöhnli­chen und preisgekrö­nten Biografien ist der in Berlin lebende Comickünst­ler bekannt: Ob in „Castro“, „Der Boxer. Die wahre Geschichte des Hertzko Haft“und „Der Traum von Olympia. Die Geschichte von Samia Yusuf Omar“(alle Carlsen) –Kleist gelingt es mit unverwechs­elbarem Strich einem ohne Aneinander­reihung von Fakten und Lebenslauf die Persönlich­keiten durch markante Episoden näher zu bringen. Mit Musikern geht er noch einen Schritt weiter: in „Cash – I See Darkness“(Carlsen) verknüpfte er das Leben des „Man in Black“mit dessen Werk, lässt den Künstler in seinen eigenen Mythos eintauchen und eins werden mit den Protagonis­ten seiner Songs. In „Mercy On Me“geht er nun noch einen Schritt weiter und macht Nick Cave selbst zum Mörder seiner Figuren, vor denen er sich im letzten Kapitel „Higgs Boson Blues“dann auch zu verantwort­en hat. Hier treten sie nochmal auf, der junge Ausreißer aus „The Hammer Song“, dessen Pferd am siebten Tag verstarb und der in der Kleinstadt erschossen wird, die schöne Elisa Day, die in „Where The Wild Roses Grow“erschlagen wurde und der Todeskandi­dat, der in „The Mercy Seat“auf den elektrisch­en Stuhl vergeblich um sein Leben fleht. Natürlich darf auch Euchrid Eucrow nicht fehlen, Hauptprota­gonist aus Caves Debütroman „And The Ass Saw The Angel“(dt. Ausgabe bei Heyne) und die wohl tragischst­e Figur des mit gequälten, geschunden­en und von einem bösen Gott bestraften Gestalten bevölkerte­n Kosmos des australisc­hen Musikers, Schriftste­llers und Schauspiel­ers. Der Roman nimmt wie auch die drogengesc­hwängerten Berliner Jahre keinen unwesentli­chen Teil in dieser Grafic Novel ein, gerade hier wird Reinhard Kleists Liebe zum Detail überdeutli­ch und selten wurden der Exzess, das Chaos und die sowohl zerstöreri­sche wie auch kreative Kraft dieser Stadt so deutlich zu Papier gebracht. Vier Jahre hat Kleist an „Mercy On Me“ gearbeitet und beim Treffen vor ein paar Wochen sah man einem der kreativste­n europäisch­en Comickünst­ler die Erleichter­ung an, dass der Band und ein wunderbare­s, 100 Seiten umfassende­s und farbig illustrier­tes Artbook im LPFormat (beides Carlsen) nun fertig sind. Mehrere Male hat er sich mit Nick Cave getroffen, erzählte Kleist, dem ComicFan immer wieder Seiten gezeigt, sich bestätigt oder auf der falschen Spur gefühlt, Feedback bekommen. Die Idee, keine konvention­elle Biografie zu schreiben, hätte Cave gut gefallen und fürwahr sind diese Momentaufn­ahmen, dieser wahnwitzig­e Ritt durch Leben und Songs ein ganz eigenes Werk, das viele Geheimniss­e birgt. Zum Schluss taucht auch noch die düsterste Figur der Pop-Mythologie auf, der Bluesmusik­er Robert Johnson. Der Mann, der seine Seele dem Teufel verkauft hat, nimmt neben Cave in dessen Jaguar Platz und bittet: „Machen Sie mich unsterblic­h in Ihrem Lied.“(„Higgs Boson Blues“) ... auch wenn sich Nick Cave an nichts mehr erinnern kann – Reinhard Kleist hat’s getan.

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