3TILLE IN :EITEN DER -UNDCHOLERA
50s-Germany: Disneyland für Opportunisten, Arschkriecher, Flexi-Werte und Nazi-Upcycling. Darüber kann man Weinen und das Universum verklagen. Oder lachen: Trotz ist der Mittelfinger des kleinen Dude. Heinrich Böll (1917-1985), sonst selten der Lachsalvenkanonier, liefert hier mächtig Schmunzelcontent. Das meisterliche Medium für diese Geschichte ist das Hörspiel – bei allem Respekt vor der köstlichen 60s-Verfilmung mit Dieter Hildebrandt als Murke. Schon weil das Schweigen im Hörspiel einer dritten Dimension gleichkommt. Dr. Murke, Kulturheini beim Rundfunk, soll einen Beitrag umschneiden und das Wort „Gott“austauschen durch „jenes höhere Wesen, das wir verehren“. Gott, der im deutschen Post-War-Anbetungsportfolio kurzfristig den Platz des Führers einnahm, hat seine Aufgabe als Demutsalibi erfüllt, und kann nun wieder – dezent dechiffriert – durch das Original ersetzt werden. Auftretende Probleme sind rein technischer Natur: Während das Wort „Gott“im Nominativ, Dativ und Akkusativ gleich lautet, variiert die Ersatzformel im Dativ. Flexibel und pragmatisch, so ist die schöne neue Zeit, daher findet sich auch ein Abnehmer für die übrig gebliebenen „Gott“-Schnipsel. In einem anderen Beitrag soll er das unbehagliche Schweigen füllen. So wird aus einem atheistischen Bekenntnis ratzingerfatzinger ein Gottesbekenntnis. „Keiner ist mehr ganz, der er zu sein behauptete. Keiner will mehr auf seine Worte festgelegt sein“, schreibt Böll-Neffe Viktor im Booklet. Geschwätzigkeit als Soundtrack des Zeitgeists. Da wird Schweigen zu etwas Obszönem, zum Fetisch für Perverslinge. In einer der lustigsten Szenen diese Satire sitzt Murke, der Tonband-SchweigeSchnipsel sammelt, zu Hause mit seiner Freundin und zeichnet das gemeinsame Schweigen auf. „Ich kann nicht mehr“, unterbricht sie die Stille. „(...) Es gibt Männer, die unsittliche Sachen von einem Mädchen verlangen. Aber ich meine fast, was du von mir verlangst, ist noch unsittlicher als die Sachen, die andere Männer von einem Mädchen verlangen.“