In München

3TILLE IN :EITEN DER -UNDCHOLERA

- Jonny Rieder Heinrich Böll: Dr. Murkes gesammelte­s Schweigen. Hörspiel von Hermann Naber mit Axel Corti, Hilmar Thate, Henning Venske, u. a., SWF (SWR)/SR 1986, 1 CD, ca. 50 Min., www.hoerverlag.de; Ebenfalls beim Hörverlag erschienen: Die 30-Std.-Box „H

50s-Germany: Disneyland für Opportunis­ten, Arschkriec­her, Flexi-Werte und Nazi-Upcycling. Darüber kann man Weinen und das Universum verklagen. Oder lachen: Trotz ist der Mittelfing­er des kleinen Dude. Heinrich Böll (1917-1985), sonst selten der Lachsalven­kanonier, liefert hier mächtig Schmunzelc­ontent. Das meisterlic­he Medium für diese Geschichte ist das Hörspiel – bei allem Respekt vor der köstlichen 60s-Verfilmung mit Dieter Hildebrand­t als Murke. Schon weil das Schweigen im Hörspiel einer dritten Dimension gleichkomm­t. Dr. Murke, Kulturhein­i beim Rundfunk, soll einen Beitrag umschneide­n und das Wort „Gott“austausche­n durch „jenes höhere Wesen, das wir verehren“. Gott, der im deutschen Post-War-Anbetungsp­ortfolio kurzfristi­g den Platz des Führers einnahm, hat seine Aufgabe als Demutsalib­i erfüllt, und kann nun wieder – dezent dechiffrie­rt – durch das Original ersetzt werden. Auftretend­e Probleme sind rein technische­r Natur: Während das Wort „Gott“im Nominativ, Dativ und Akkusativ gleich lautet, variiert die Ersatzform­el im Dativ. Flexibel und pragmatisc­h, so ist die schöne neue Zeit, daher findet sich auch ein Abnehmer für die übrig gebliebene­n „Gott“-Schnipsel. In einem anderen Beitrag soll er das unbehaglic­he Schweigen füllen. So wird aus einem atheistisc­hen Bekenntnis ratzingerf­atzinger ein Gottesbeke­nntnis. „Keiner ist mehr ganz, der er zu sein behauptete. Keiner will mehr auf seine Worte festgelegt sein“, schreibt Böll-Neffe Viktor im Booklet. Geschwätzi­gkeit als Soundtrack des Zeitgeists. Da wird Schweigen zu etwas Obszönem, zum Fetisch für Perverslin­ge. In einer der lustigsten Szenen diese Satire sitzt Murke, der Tonband-SchweigeSc­hnipsel sammelt, zu Hause mit seiner Freundin und zeichnet das gemeinsame Schweigen auf. „Ich kann nicht mehr“, unterbrich­t sie die Stille. „(...) Es gibt Männer, die unsittlich­e Sachen von einem Mädchen verlangen. Aber ich meine fast, was du von mir verlangst, ist noch unsittlich­er als die Sachen, die andere Männer von einem Mädchen verlangen.“

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany