ORTSGESPRÄCH
Malko Solf
mit Malko Solf
Bloß nicht mit dem Sofa verwachsen: Das dritte Seriencamp, das internationale Festival für Serien und TV-Kultur, lockt Fans und Vielseher mit über 50 heißen neuen Stoffen in die Kinosäle der HFF. Vom 27. bis 29. Oktober kann man atemberaubende Serien – darunter viele Premieren und seltene Fundstücke – bei freiem Eintritt entdecken. Und schnell süchtig werden. Malko Solf und sein Veranstalterteam hat die Leiden und Leidenschaften eines Serienjunkies am eigenen Leib erfahren.
Herr Solf, vom Serienliebhaber zum Organisator eines TV-Festivals: Nicht gerade der naheliegende Weg. Wie kamen Sie auf die Seriencamp-Idee?
Wir haben uns halt alle schon lange mit Serien beschäftigt. Eigentlich arbeite ich in einem Redaktionsbüro, das jetzt auch das Seriencamp veranstaltet. Für mehrere Zeitschriften und Websites haben wir im gemeinsamen Büro über Film geschrieben, allerdings ging es schon bald damit los, dass wir uns auch mit Serien befassten. Das war die erste Welle, als das Thema in Deutschland damals nur Experten wirklich wichtig war. Da ging es um „West Wing“oder die „Sopranos“. Wir sind früh schon auf das Thema eingestiegen – nicht weil wir die großen Propheten sind, sondern weil uns diese Serien wirklich gefallen haben. Irgendwann haben die Serien auch bei uns den Film als HauptGesprächsthema abgelöst. Allerdings: Wir reden immer noch über Film. Und auch das Kino ist natürlich nicht tot.
Sie locken ja die Fans ins Kino.
Kino und Serien können eine wunderbare Symbiose eingehen. Wir machen Lobby-Arbeit dafür – wie es viele andere Veranstalter und das Münchner Filmfestival ja jetzt auch tun –, dass Serien nicht bloß als der mickrige kleine Bruder vom Film gesehen werden. Das entspricht schon lange nicht mehr der Wahrnehmung der Fans. Schon vor vier oder fünf Jahren waren Serien am Start, die dramaturgisch, inhaltlich, vom der Ausstattung und vom Drehbuch her stärker sind als viele Kinofilme, von denen man das eher erwartet hätte.
Ein Netflix-Abo ist nichts komplett Versnobbtes mehr. Oft ersetzt es das Eintrittsgeld für zwei banale Kinokomödien, die man nicht sehen muss.
Der Erfolg der Streaming-Anbieter war für uns dann auch der letzte Impuls. Wir hatten schon länger die Idee, ein Event nur für Serien ins Leben zu rufen. Unser erstes Konzept, das wir schon vor fünf oder sechs Jahren entwickelt hatte, ging zunächst eher in die Richtung einer Nerd Nite. Nichts für die breite Masse. Die Idee, für ein Wochenende mal ein kleines Programmkino für so etwas zu buchen, blieb aber zunächst mal in der Schublade. Damals schwebten uns eher bekannte Serien vor, die schon eine FanBasis hatten. Dazu wollten wir zwei oder drei Neuentdeckungen mit reinschmuggeln, die diesen Fans dann gefallen könnten.
Etwas Missionarisch-Erzieherisches haben Sie schon? Auf jeden Fall. Beim Seriencamp hat sich das Verhältnis von bekannten Marken und spannenden Neuentdeckungen mittlerweile komplett umgedreht. Wir zeigen viel mehr unbekannte als bekannte Sachen.
Ab wann stand der Entschluss fest, das Festival groß anzulegen?
Irgendwann wusste man: Netflix wird kommen. Amazon Prime fängt auch mit Streaming an. Sobald ich sehen konnte, dass so etwas in Deutschland ankommt, ergaben sich ganz andere Möglichkeiten. Die Entscheidung hatte auch betriebswirtschaftliche Gründe: Macht man so etwas als Hobby, dann reicht etwas Kleines – für die Nerds. Oder aber man zieht das richtig groß auf. Dann muss es genügend Interessenten dafür geben.
Über mangelnden Zuspruch brauchen Sie sich ja nicht zu beklagen.
Es hat von der ersten Veranstaltung an funktioniert. 2015 war das perfekte Jahr, um das Camp zu starten. Es war die Zeit, in der erstmalig breit in den Medien Fragen etwa zum Status Quo der deutschen Serie - etwa rund um „Deutschland 83“- diskutiert wurden. Plötzlich hatten alle das Thema Serien auf dem Schirm. Mit den großen Marken „Game of Thrones“oder „House of Cards“konnte man damals schon den Hausfrauen-Test machen.
Um das Festival auf die Beine zu stellen, mussten Sie aber doch erst mal Klinken putzen?
Das ging erstaunlich gut.
Immer wieder ist zu hören, dass Sie bei Sky, einem ihrer Hauptsponsoren, fast offene Türen eingerannt haben.
Ich weigere mich fast, im Zusammenhang mit Sky vom Klinkenputzen zu sprechen. Die Klinken waren extrem sauber, als wir angeklopft haben. Ich musste nicht mehr viel putzen. Erst im Nachhinein habe ich erfahren, dass sie in Unterföhring schon ähnliche Ideen durchgespielt hatten. Aber wenn so etwas wie das Seriencamp aus dem Hause Sky gekommen wäre, sähe es wie eine Verkaufsveranstaltung aus. Wir sind ein unabhängiger Player. Deswegen wird das viel besser angenommen.
Wie muss man sich so einen Gang zu Sky konkret vorstellen?
Wir hatten eine schöne Präsentation gemacht. Die lag dann bei Marcus Ammon ...
... dem Programmchef für alles Fiktionale bei Sky ...
... auf dem Tisch. Eigentlich hatte er damals angeblich überhaupt keine Zeit. Dann hat er doch einmal kurz durchgeblättert und schnell festgestellt: Dafür nehme ich mir Zeit. Eine Woche später saßen wir für einen gemeinsamen Termin in der Sky-Kantine. Im Prinzip waren wir uns nach zehn Minuten einig. Seitdem unterstützt uns Sky als Hauptpartner.
Aber Sie haben dem Sponsor doch klar gemacht, dass Sie auch andere als nur Sky-Serien zeigen wollen? In der Programmgestaltung sind wir komplett frei, wir können machen was wir wollen. Wie bei vielen Partnerschaften dieser Art gibt es aber eine Exklusivitätsvereinbarung in einem bestimmten Segment. Wir werden keine Amazonoder Netflix-Fähnchen aufstellen, wenn Sky unser Hauptsponsor ist. Bei einem BMW-Golfturnier wird auch nicht Mercedes den Shuttle-Service machen. Aber wir können alle Serien zeigen – und wir hatten schon Angebote von Amazon und Netflix im Programm.
Und RTL Crime als Partner?
Der kam im vergangenen Jahr im kleinen Stil dazu, jetzt ist der Sender unser zweiter Hauptsponsor. Sie haben dort einfach tolle Serien, die noch nicht alle Fans auf dem Schirm haben. RTL Crime hat zuletzt gut eingekauft, deswegen macht mir die Zusammenarbeit großen Spaß. Ähnlich ist es jetzt mit der ProSiebenSat.1-Gruppe. Früher kamen wir noch nicht zusammen, weil wir ja nicht „The Big Bang Theory“zeigen wollten – sondern das nächste „Big Bang Theory“. In diesem Jahr hat es geklappt. Wir konnten als Festival das Vertrauen der Programmmacher von ProSieben gewinnen, so dass sie uns jetzt Serien geben, die erst in frühestens einem halben Jahr dort ausgestrahlt werden. Für die Sender ist unser Festival ja ein guter Testlauf beim Publikum: Man kann ein bisschen Buzz vorab erzeugen.
Über Qualitätsserien muss man ja reden. Am besten, wenn man sie gemeinsam ansieht. Oder gleich wie bei Ihnen gemeinsam im Kino genießt.
Sehe ich auch so. Wir sind eben die „Real-Life-Second-Screen“, wenn es so etwas gibt. Also die Alternative zum Quatschen über Serien mittels Twitter, Facebook und WhatsApp. Bei uns läuft das in echt ab – im Foyer oder gleich noch im Kinosaal. In der popkulturellen Rangliste der schönen Gesprächsstoffe haben Serien mittlerweile eine Top-3Position eingenommen. Hört man ja immer wieder: „Wie fand’s du den Cliffhanger?“„Bei welcher Folge bist du?“Oder die sehnliche Bitte unter Freunden: „Nur ja nichts spoilern!“
Ohne Serien-Fachwissen traut man sich in die Büro-Kaffeeküche gar nicht mehr rein.
In Amerika sagt man ja so schön: „Watercooler Talk“. Serien sind ein RiesenThema für solche Schwätzchen. Es gibt unzählige Foren und Facebook-Communities zu allen nur erdenklichen Serien. Wir dachten immer: Ist doch schön, wenn man sich live und an einem Ort – in den HFF-Kinos – über solche Themen austauschen kann.
Bis hin zu Szenenapplaus.
Soll vorkommen. Die Leute im Seriencamp gehen richtig mit. Es macht ja Spaß, wenn man eine tolle neue Serie nicht alleine entdeckt, sondern gleich darüber reden kann. Vor allem bei Stoffen wie „Rick and Morty“, die wir auch in diesem Jahr wieder mit neuen Folgen zeigen, sind die Fans ganz heiß darauf, sich gegenseitig die Anspielungen zu erklären und bei den Running Gags im Kino mitzuklatschen. Wir geben uns viel Mühe, vor Ort eine heimelige, lustige Atmosphäre zu schaffen.
Wie fühlt es sich an, wenn Sie dann mitten im Geschehen sind, wenn es in der HFF brummt?
Toll ist das. Wir schicken ja nicht die digitalen Filmrollen an die HFF, mit der Anweisung, die bitte halt mal einzulegen. Wir sind alle vor Ort. Mit BR-Puls haben wir zudem einen grandiosen Partner. Die Kollegen moderieren alle Screenings an. Vor jeder Vorführung tritt jemand auf die Bühne, um die Leute im Zuschauerraum zu begrüßen und um ein paar Dinge zur Serie zu erzählen. Außerdem vergeben wir einen Publikumspreis, bei dem man für seinen Favoriten abstimmen kann. So gut uns das möglich ist, versuchen wir zudem auch immer, Serien-Macher oder Darsteller heranzukarren. Bei den Ami-Serien ist das manchmal noch ein bisschen schwierig. Jemanden aus einer laufenden großen Hollywood-Studioproduktion einzufliegen, überschreitet bislang unser Budget. Bei unseren europäischen oder israelischen Produktionen hatten wir schon viele Gäste da.
Klingt gut.
Unsere Zielgruppe ist allerdings nicht nur der klassische Serien-Nerd. Wir haben auch viele Autoren und Regisseure im Publikum, die das Thema spannend finden. Darunter sind Leute, die schon jahrelang Film gemacht haben, und plötzlich hellauf begeistern sind von der Qualität, die Serien in den letzten zehn Jahren entwickelt haben. Die wollen jetzt dabei auch mitmachen. Viele, die lange Fernsehfilme gedreht haben, bekommen über die Arbeit an Serien plötzlich einen Kreativschub. Das hat mir wortwörtlich einer der alten Hasen so gesagt. Er hat auf einmal wieder Inspiration für seinen Job.
Kam eigentlich auch schon mal ein Anruf von der Sucht- und Drogenberatung? Immerhin fixen Sie ja Hunderte von Besuchern schamlos an und machen Sie so unruhig, dass Sie unbedingt neuen Stoff nachkaufen müssen ...
Von denen noch nicht. (lacht) Eigentlich warten wir auf einen Anruf vom Kulturreferat –mit dem Vorschlag, uns noch mehr zu unterstützen. Ich sage mir immer: Lieber so eine Droge – die Serien – als eine andere.
Vernünftig.
Manchmal ist das Problem, dass wir Serien zeigen, die so besonders sind, dass sie noch keinen deutschen Sender gefunden habe. So war das bei einer israelischen Agentenserie, die wir im ersten Jahr als Premiere zeigten. Ein Fan, der sie bei uns kennen und lieben gelernt hat, schrieb mir zwei Jahre lang monatlich bei Facebook, ob es endlich News gibt, wann die Serie irgendwo läuft. Tatsächlich ist die Serie dann nach zweieinhalb Jahren bei Netflix gelandet. Ihm das endlich mitteilen zu können, war einer der schönsten Momente.
Der Stalker ist weg von der Straße.
Es ist ein ganz lieber Typ, den ich auch gut kenne. Er war halt vollkommen süchtig nach dieser Serie.
Letzte Frage an den Serien-Liebhaber und Familienmenschen: Wie groß ist die Gefahr, dass Ihnen einmal die Partnerin die Daumenschrauben anzieht, wenn Sie immer neue „Geliebte“anschleppen?
Seriensucht kann möglicherweise latent beziehungsgefährdend sein. Wenn’s ganz kritisch wird, dann schaut man eben zusammen eine Folge „Modern Family“. Dann spielt sich das schon wieder ein.
Interview: Rupert Sommer