Wo Herzen hirnen
Macht Lust auf mehr: Andrea Gronemeyers Start an der Schauburg
Sie steht noch da, wo sie immer stand. Aber sie fühlt sich anders an, die neue Schauburg. Licht und Farben empfangen einen etwas kühler. Aber so wirken die Theaterplakate, die im Foyer hängen, stärker, mit der neuen FarbIdentity des Hauses: kräftiges Lila, Signalrot und Gelb. Es gibt jetzt einen Kiosk, im Keller wird statt griechisches Essen nun Theater kredenzt: die Kleine Burg. Der große Saal heißt jetzt Große Burg und unterm Dach lädt das LAB ein, zu Workshops und Experimenten. Barrierefrei sind nun nicht nur alle Zugänge, barrierefrei gab sich auch das neue Team am Eröffnungswochenende: beim Speed-Dating konnte man durch Gewerke und Räume schnuppern, und spüren: da verändert sich was. Eine Veränderung, die auch politisch gewollt war, als die Stadt George Podt, der schon noch weitergemacht hätte, nach 27 Jahren verabschiedete. Seine Nachfolgerin Andrea Gronemeyer hat die letzten 15 Jahre das Kinderund Jugendtheater in Mannheim verantwortet, 60 Inszenierungen brachten ihr auch international einen Namen. Sie steht für einen breiteren Theateransatz für junge Leute als das bisher in der Schauburg der Fall war. Theater für Menschen unter vier Jahren: für Podt, dem man immer wieder mal vorhielt, sein Theater sei zu wenig kinderund jugendaffin, ging das gar nicht – bei Gronemeyer wird es gehen.
Die ersten Aufführungen vermitteln auch gleich, welche Genres künftig zum Konzept gehören. Der unsichtbare Vater ist Musiktheater zum Mitmachen, und es ist mobil: mit der Trennungsgeschichte nach dem Roman von Amelie Fried um einen Jungen, dessen Vater nur musikalisch präsent ist, gastiert man an Schulen.
Trennung ist auch das Thema der Uraufführung in der Großen Burg. Gips oder Wie ich an einem einzigen Tag die Welt reparierte, nach dem preisgekrönten Jugendroman von Anna Woltz, inszeniert Theo Fransz als charmante Pubertätsgeschichte mit Liebe und Eltern und Geschwistern und all dem Kram. Und Schauspielern, die mit beträchtlicher Spiellust eintauchen in Eifersucht und Protest, in die kleinen Wehwehchen und die großen Verletzungen. Erwachsene, die Kinder spielen: das mag Theater sein, das hier erst mal deutlich anders schmeckt – aber die Akzeptanz ist sofort da: großer Jubel für Anne Bontemps als Trotzkopf Fitz, Janosch Fries als ganz schön schnuckeligen Adam, Miriam Morgenstern als herzkrankes Stehaufmädel sowie Simone Oswald und David Bento Garcia, die getrennten Eltern: Parka-Schluffi und Jogging-Maus.
Auch wenn es etwas pädagogischer wird: keine Sorge, liebe Podt-Fans, Poesie können sie auch! Helene Schmitt zeigt in ihrem Solo Schreimutter in der Kleinen Burg, wie Theater für die Zuschauer 4+ aussieht: gebannt folgen sie dem Stoffpinguin, dem ein Mutterschrei die Körperteile in alle Welt und bis auf den Mond sprengt. Eine wunderbare, eine berührende Entdeckungsreise, samt murmelndem Murmeltier und Rasta-Orang-Utan. In Tanz Trommel, von Gronemeyer selbst inszeniert, erkunden sich zwei Menschen. Zwischen Holzkisten auf leerer Bühne entwickelt sich aus Tönen, aus Bewegung, aus Suchen, aus Reagieren ein begeisternder Sog. Julie Pécard, die Tänzerin, und Peter Hinz, der Musiker, jeder mit den Möglichkeiten seiner Gefühlsäußerung in einem zauberhaften Pas de deux: dafür gab’s zurecht den Theaterpreis DER FAUST. „Wo Herzen hirnen“– das Spielzeitheft verspricht nicht zu viel mit diesem Motto. Dieser Start macht Lust auf mehr. Und er zeigt: der Bogen zwischen Herz und Hirn wird hier auch künftig geschlagen.