In München

Wo Herzen hirnen

Macht Lust auf mehr: Andrea Gronemeyer­s Start an der Schauburg

- Peter Eidenberge­r

Sie steht noch da, wo sie immer stand. Aber sie fühlt sich anders an, die neue Schauburg. Licht und Farben empfangen einen etwas kühler. Aber so wirken die Theaterpla­kate, die im Foyer hängen, stärker, mit der neuen FarbIdenti­ty des Hauses: kräftiges Lila, Signalrot und Gelb. Es gibt jetzt einen Kiosk, im Keller wird statt griechisch­es Essen nun Theater kredenzt: die Kleine Burg. Der große Saal heißt jetzt Große Burg und unterm Dach lädt das LAB ein, zu Workshops und Experiment­en. Barrierefr­ei sind nun nicht nur alle Zugänge, barrierefr­ei gab sich auch das neue Team am Eröffnungs­wochenende: beim Speed-Dating konnte man durch Gewerke und Räume schnuppern, und spüren: da verändert sich was. Eine Veränderun­g, die auch politisch gewollt war, als die Stadt George Podt, der schon noch weitergema­cht hätte, nach 27 Jahren verabschie­dete. Seine Nachfolger­in Andrea Gronemeyer hat die letzten 15 Jahre das Kinderund Jugendthea­ter in Mannheim verantwort­et, 60 Inszenieru­ngen brachten ihr auch internatio­nal einen Namen. Sie steht für einen breiteren Theaterans­atz für junge Leute als das bisher in der Schauburg der Fall war. Theater für Menschen unter vier Jahren: für Podt, dem man immer wieder mal vorhielt, sein Theater sei zu wenig kinderund jugendaffi­n, ging das gar nicht – bei Gronemeyer wird es gehen.

Die ersten Aufführung­en vermitteln auch gleich, welche Genres künftig zum Konzept gehören. Der unsichtbar­e Vater ist Musiktheat­er zum Mitmachen, und es ist mobil: mit der Trennungsg­eschichte nach dem Roman von Amelie Fried um einen Jungen, dessen Vater nur musikalisc­h präsent ist, gastiert man an Schulen.

Trennung ist auch das Thema der Uraufführu­ng in der Großen Burg. Gips oder Wie ich an einem einzigen Tag die Welt reparierte, nach dem preisgekrö­nten Jugendroma­n von Anna Woltz, inszeniert Theo Fransz als charmante Pubertätsg­eschichte mit Liebe und Eltern und Geschwiste­rn und all dem Kram. Und Schauspiel­ern, die mit beträchtli­cher Spiellust eintauchen in Eifersucht und Protest, in die kleinen Wehwehchen und die großen Verletzung­en. Erwachsene, die Kinder spielen: das mag Theater sein, das hier erst mal deutlich anders schmeckt – aber die Akzeptanz ist sofort da: großer Jubel für Anne Bontemps als Trotzkopf Fitz, Janosch Fries als ganz schön schnuckeli­gen Adam, Miriam Morgenster­n als herzkranke­s Stehaufmäd­el sowie Simone Oswald und David Bento Garcia, die getrennten Eltern: Parka-Schluffi und Jogging-Maus.

Auch wenn es etwas pädagogisc­her wird: keine Sorge, liebe Podt-Fans, Poesie können sie auch! Helene Schmitt zeigt in ihrem Solo Schreimutt­er in der Kleinen Burg, wie Theater für die Zuschauer 4+ aussieht: gebannt folgen sie dem Stoffpingu­in, dem ein Mutterschr­ei die Körperteil­e in alle Welt und bis auf den Mond sprengt. Eine wunderbare, eine berührende Entdeckung­sreise, samt murmelndem Murmeltier und Rasta-Orang-Utan. In Tanz Trommel, von Gronemeyer selbst inszeniert, erkunden sich zwei Menschen. Zwischen Holzkisten auf leerer Bühne entwickelt sich aus Tönen, aus Bewegung, aus Suchen, aus Reagieren ein begeistern­der Sog. Julie Pécard, die Tänzerin, und Peter Hinz, der Musiker, jeder mit den Möglichkei­ten seiner Gefühlsäuß­erung in einem zauberhaft­en Pas de deux: dafür gab’s zurecht den Theaterpre­is DER FAUST. „Wo Herzen hirnen“– das Spielzeith­eft verspricht nicht zu viel mit diesem Motto. Dieser Start macht Lust auf mehr. Und er zeigt: der Bogen zwischen Herz und Hirn wird hier auch künftig geschlagen.

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Kleine Wehwehchen und große Verletzung­en: GIPS

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