Manege frei!
Das Kunstfoyer zeigt die wunderbar schreckliche Bilderwelt des Martin Parr
Es ist wunderbar! Und schrecklich. Ein Oktoberfestherz mitsamt blauem Plastikrevolver quasi im Vorteilspack. Eine bereits rotgebrannte junge Frau im rosafarbenen Bikini auf einer Liege, die Fußsohlen voller Sand, den Mund offen und zwei gelbe Schutzlinsen auf den Augen schlummert sie selig einem Wahnsinns-Sonnenbrand entgegen. Happy holiday! Und herzlich willkommen in der wunderbar schrecklichen Welt des Martin Parr! Eine Welt, in der ein Mensch mehr ist als nur ein Tier. Biertrinker zum Beispiel, reich oder arm, Jäger, eitel und ständig dabei, irgendwas zu konsumieren. Kuchen zum Beispiel oder Hotdogs. Am liebsten ist er nicht allein sondern da, wo viele andere auch schon sind. Je nach Geld am übervölkerten Strand, im überfüllten Schwimmbad, auf der überlaufenen Akropolis oder während einer exklusiven Ausstellungseröffnung. Das Bild, das die Ausstellung „Martin Parr. Souvenir – A Photographic Journey“ eröffnet, ist groß und beobachtet zwei Möwen, die ein gut gefülltes, vergessenes Schälchen Pommes entdeckt haben. Und nun geht es darum, wer von den beiden mehr von der fetten Beute für sich erpickt. Tiere sind auch nur Menschen, oder? Hinter den Möwen flattert und knattert gut sichtbar die Flagge des Vereinigten Königreichs im englischen Westküstenwind – und auch das darf man durchaus metaphorisch verstehen. Nicht nur in diesem Bild, sondern bezogen auf Parrs Gesamtwerk, also auf das, was seine Bilder so unverwechsel- und unverzichtbar macht. Erstens ist der 65-jährige Engländer, und wenn es sowas geben sollte, dann hat er zweitens den typisch britischen Blick. In gewisser Weise knipst er jetzt schon 40 Jahre lang und mit unermüdlichem Humor der britischen Volksseele hinterher. Auch wenn er viel in der Welt unterwegs
Eisausgabe im Ferienland: Tourismus, Freizeit, Konsum und der Mensch im Allgemeinen – das sind die Themen, die der englische Fotograf Martin Parr immer wieder aufspießt.
war und ist, kehrt er doch immer wieder nach Hause zurück und dokumentiert das eigene Land. Knipst, was er sieht und zwar mit diesem speziellen Parr-Blick, dem nichts entgeht, der aber niemals wertet, was er da sieht. Dicke Bäuche, gierige Blicke, offene Münder, ratlose Hände, rastlose Füße, quellende Dekolletés, sonnenverbrannte Schultern. Manege frei, hier kommt – der Mensch, das Tier! So sehen wir eben aus, wenn wir in unseren Körpern am Strand liegen in der zu engen, bunten Badehose mit den spitz gefeilten, knallrot lackierten Fingernägeln. Klar sind das Klischees, aber let’s face it: So sind wir nun mal. Man schaut, man lacht, man stöhnt laut auf und lacht wieder. Parrs Bilder vergisst man nicht und wird sie immer wiedererkennen. Man kann sich nicht sattsehen an den grotesken Szenen. Jedes Bild ist Teil einer Story, die sich im eigenen Kopf zu erzählen beginnt. Bis auf die tolle, frühe Schwarzweiß-Serie „Non Conformists“aus den 1970er Jahren ist alles sehr bunt. Parr selbst hat rund 200 Arbeiten für die Ausstellung ausgewählt und zwar so, dass man einen ziemlich guten Über- und Einblick bekommt – in sein Werk und in die menschliche Seele.