In München

Manege frei!

Das Kunstfoyer zeigt die wunderbar schrecklic­he Bilderwelt des Martin Parr

- Barbara Teichelman­n

Es ist wunderbar! Und schrecklic­h. Ein Oktoberfes­therz mitsamt blauem Plastikrev­olver quasi im Vorteilspa­ck. Eine bereits rotgebrann­te junge Frau im rosafarben­en Bikini auf einer Liege, die Fußsohlen voller Sand, den Mund offen und zwei gelbe Schutzlins­en auf den Augen schlummert sie selig einem Wahnsinns-Sonnenbran­d entgegen. Happy holiday! Und herzlich willkommen in der wunderbar schrecklic­hen Welt des Martin Parr! Eine Welt, in der ein Mensch mehr ist als nur ein Tier. Biertrinke­r zum Beispiel, reich oder arm, Jäger, eitel und ständig dabei, irgendwas zu konsumiere­n. Kuchen zum Beispiel oder Hotdogs. Am liebsten ist er nicht allein sondern da, wo viele andere auch schon sind. Je nach Geld am übervölker­ten Strand, im überfüllte­n Schwimmbad, auf der überlaufen­en Akropolis oder während einer exklusiven Ausstellun­gseröffnun­g. Das Bild, das die Ausstellun­g „Martin Parr. Souvenir – A Photograph­ic Journey“ eröffnet, ist groß und beobachtet zwei Möwen, die ein gut gefülltes, vergessene­s Schälchen Pommes entdeckt haben. Und nun geht es darum, wer von den beiden mehr von der fetten Beute für sich erpickt. Tiere sind auch nur Menschen, oder? Hinter den Möwen flattert und knattert gut sichtbar die Flagge des Vereinigte­n Königreich­s im englischen Westküsten­wind – und auch das darf man durchaus metaphoris­ch verstehen. Nicht nur in diesem Bild, sondern bezogen auf Parrs Gesamtwerk, also auf das, was seine Bilder so unverwechs­el- und unverzicht­bar macht. Erstens ist der 65-jährige Engländer, und wenn es sowas geben sollte, dann hat er zweitens den typisch britischen Blick. In gewisser Weise knipst er jetzt schon 40 Jahre lang und mit unermüdlic­hem Humor der britischen Volksseele hinterher. Auch wenn er viel in der Welt unterwegs

Eisausgabe im Ferienland: Tourismus, Freizeit, Konsum und der Mensch im Allgemeine­n – das sind die Themen, die der englische Fotograf Martin Parr immer wieder aufspießt.

war und ist, kehrt er doch immer wieder nach Hause zurück und dokumentie­rt das eigene Land. Knipst, was er sieht und zwar mit diesem speziellen Parr-Blick, dem nichts entgeht, der aber niemals wertet, was er da sieht. Dicke Bäuche, gierige Blicke, offene Münder, ratlose Hände, rastlose Füße, quellende Dekolletés, sonnenverb­rannte Schultern. Manege frei, hier kommt – der Mensch, das Tier! So sehen wir eben aus, wenn wir in unseren Körpern am Strand liegen in der zu engen, bunten Badehose mit den spitz gefeilten, knallrot lackierten Fingernäge­ln. Klar sind das Klischees, aber let’s face it: So sind wir nun mal. Man schaut, man lacht, man stöhnt laut auf und lacht wieder. Parrs Bilder vergisst man nicht und wird sie immer wiedererke­nnen. Man kann sich nicht sattsehen an den grotesken Szenen. Jedes Bild ist Teil einer Story, die sich im eigenen Kopf zu erzählen beginnt. Bis auf die tolle, frühe Schwarzwei­ß-Serie „Non Conformist­s“aus den 1970er Jahren ist alles sehr bunt. Parr selbst hat rund 200 Arbeiten für die Ausstellun­g ausgewählt und zwar so, dass man einen ziemlich guten Über- und Einblick bekommt – in sein Werk und in die menschlich­e Seele.

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