ORTSGESPRÄCH
Die Macherinnen vom Feierwerk
München wächst an allen Enden. Und bleibt zum Glück auch jung. Mit der jüngst erst eröffneten Funkstation auf dem ehemaligen Domagk-Gelände im Norden und dem neuen Trafixx-Außenposten in Obersendling wachsen auch die Aufgaben für die Kultur- und Jugendarbeit des Feierwerks. Wir haben die Macherinnen Jasmina Barisic (Trafixx), Katrin Pischetsrieder (Funkstation) und Radio-Feierwerk-Chefredakteurin Esther Diestelmann rund um einen Tisch im Mutterhaus zusammengetrommelt. Ihr Appell: Gebt – und lasst den Kindern – Freiräume!
Die ganze Stadt kennt und liebt das Feierwerk, verbindet es aber wohl doch in erster Linie mit Konzerten, Festen, Ausstellungen. Dass dort viel mehr geschieht, wissen nicht alle. Jetzt wird das Feierwerk auch physisch größer. Sie breiten sich ja wie Kraken über die Stadt aus.
Jasmina Barisic: Wie ein Krake? Das hört sich ein wenig nach einer Invasion aus. Wir weiten das, was wir gut können, jetzt einfach aus. Die Kinder- und Jugendarbeit hat bei uns schon eine lange Tradition – auch an der Hansastraße. Sie läuft gut – auch weil wir die Aufgabe etwas kreativer angehen, mit dem Schwerpunkt Kulturarbeit. So etwas ist gewünscht in der Stadt. Und deshalb haben wir auch die neuen Trägerschaften bekommen.
Der erste Satellit war ja die Südpolstation in Neuperlach, oder?
Katrin Pischetsrieder: Eigentlich war das ja schon die offene Jugendeinrich- tung auf dem Gelände – im heutigen Dschungelpalast. Aber die Südpolstation war wirklich unser erster Ableger nach „draußen“.
Wie entsteht denn aber so etwas Neues wie die Funkstation oder das Trafixx?
Katrin Pischetsrieder: Bei der Funkstation entsteht ein völlig neues Stadtgebiet auf dem Gelände der ehemaligen Funkkaserne. Da werden über 4000 Menschen hinziehen, 2500 sind schon dort. Wenn so ein neuer Stadtteil entsteht, braucht es natürlich auch Infrastruktur sozialer und kultureller Art. Deswegen wurde dort ein Haus geplant, das in seiner Art einzigartig ist. Es vereint nämlich offene Kinder- und Jugendarbeit mit einem Familienzentrum – das heißt Freizeit- und Beratungsangeboten für Familien. Für das Feierwerk war das Gelände inspirierend, weil es eine Geschichte hat, die auch zum Feierwerk passt. Außerdem gibt es dort eine sehr gemischte, sehr spannende Wohnbevölkerung. Deswegen haben wir uns dort beworben. Es gibt ein Ausschreibungsverfahren, getragen vor allem vom Stadtjugendamt. Da kam ins Spiel, dass wir einen sehr guten Namen haben und die Leute wissen, wie unsere Herangehensweise aussieht. Deswegen hat sich die Stadt München entschieden, uns die Trägerschaft zu geben. Von vielen Bewohnern höre ich nun, dass sie sich freuen, dass der Zuschlag an uns ging.
Was meinen Sie denn mit der „Geschichte“vor Ort?
Katrin Pischetsrieder: Es ist die kulturelle Vergangenheit auf dem DomagkGelände. Auch mit den Ateliers, die nach wie vor dort sind. Wir denken schon immer kultur- und altersübergreifend. Wir denken bei der Arbeit mit Kindern immer auch schon die Familien mit. Das hat dort gut gepasst.
Man erinnert sich ja auch an die Alabamahalle – und was es dort alles zwischendurch mal gab.
Katrin Pischetsrieder: Na klar. Unsere Arbeit kann und darf sich auch gerne dahin entwickeln, dass Konzerte dort veranstaltet werden. Im Moment sind wir gerade erst mal dabei, vor Ort Fuß zu fassen und Schritt für Schritt unser Angebot zu entwickeln und zu erweitern. Kinder- und Jugendarbeit findet natürlich schon vorwiegend am Tag statt. Aber eine Party-Location ist die Funkstation schon – einfach weil sie so ein tolles Gebäude ist. Die Leute kommen auf uns zu, wenn sie einen runden Geburtstag oder eine Taufe haben, die sie bei uns feiern wollen.
Was sagen Sie denn eigentlich vom Radio dazu. Wenn man „Funkstation“hört, könnte man ja denken, das wird das Feierwerk-Funkhaus?
Esther Diestelmann: Dort wird auch Radio gemacht – aber halt ohne UKWFrequenz. Wir kooperieren jetzt schon. Wir haben ja Kinder- und Jugendsendungen bei Radio Feierwerk – neben den Erwachsenenformaten. Natürlich versuchen wir die Angebote, die vor Ort aus der Funkstation kommen, bei uns zu platzieren. Für mich ist das keine Konkurrenz, sondern eine wunderbare Ergänzung. Gerade auch weil sich das Klientel, dass hier bei Radio Feierwerk zum Radiomachen kommt, sich schon ein wenig von den Radiointeressierten in der Funkstation unterscheidet. So können wir ein viel breiteres Stadt-Bild zeichnen.
In der Südpolstation wird auch von jungen Leuten Radio gemacht.
Esther Diestelmann: Und die Südpolstation hat eine eigene Radiosendung bei uns.
Radio ist dann so etwas wie Haustelefon für Sie. Um die verschiedenen Stimmen aus der Stadt einzufangen.
Esther Diestelmann: Nicht ganz. Die Südpolsendung ist schon eigenständig, weil sie vor Ort produziert wird. Sie kommt fertig zu uns, wird dann noch ein bisschen gepegelt – und das war’s. Der Ansatz in der Südpolstation ist ein bisschen anders, weil er aus den Kindern heraus entsteht. Wir hier vor Ort im Feierwerk machen uns mit den Kindern Gedanken und machen das auch gegebenenfalls ohne Kinder.
Über das Medium Radio kann man Kinder ganz gut einfangen, oder?
Esther Diestelmann: Wir haben keine Schwierigkeiten, für die Kindersendungen Mitmacher zu finden. Obwohl wir uns jetzt wieder an einer Schwelle befinden, an der ganz viele demnächst 13 Jahre alt werden. Man merkt schon, dass Kinder zwischen acht und 12 richtig Spaß an den Themen und Lust auf Reportagen haben. Wenn du einen 13Jährigen vor dir hat, dann hörst du schon mal: Eh, muss ich da jetzt wirklich hingehen?
Da kommt die altersbedingte Distanz und Schüchternheit ins Spiel?
Esther Diestelmann: Genau. Wir haben aber ganz unterschiedliche Rekrutierungsmöglichkeiten. Durch das Dschungelpalast-Sommerfest kommen immer sehr viele Neue zu uns dazu. Gerade weil wir ein sehr verzweigtes Haus sind, gibt es viele Möglichkeiten, bei uns anzudocken. Vieles hat auch mit dem Wohnort zu tun. Wenn man eher im Einzugsgebiet der Funkstation oder der Südpolstation wohnt, wird man eher nicht zu uns aufs Feierwerk-Gelände fahren.
Was ist denn dann so etwas wie die Feierwerk-Grundversorgung, die Sie vor Ort anbieten? Und wie weit kann man da auch auf Wünsche von den dort wohnenden Kindern und Familien eingehen?
Jasmina Barisic: Wir zwei – das Trafixx und die Funkstation – stehen für Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit. Wir haben dafür ja auch einen Auftrag vom Jugendamt. Wir arbeiten natürlich sehr Bedarfs- und Bedürfnisorientiert. Wir fragen uns immer: Wo stehen die Kinder? Wo können wir sie abholen? Wir wollen die Kids fördernd herausfordern. Die Ausprägung kann ganz unterschiedlich sein. Ein Leuchtturm im Feierwerk ist natürlich die Radioarbeit, bei der die Kinder und Jugendlichen mitmachen können. Aber es ist schon ein Merkmal vom Feierwerk, unheimlich facettenreich zu sein. Wir wollen für jeden einen ansprechenden Programmpunkt finden. Das kann dann auch viel Kreatives und Handwerkliches sein, was bei uns eine starke Säule ist. Oder aber auch einfach die Chance, mit Freunden eine gute Zeit im Haus zu verbringen.
Katrin Pischetsrieder:
Unsere Herangehensweise ist stark kulturpädagogisch geprägt. Die „Kultur“fassen wir sehr weit. Es kann viel Werken sein. Alle Häuser haben eine toll ausgestattete Werkstatt, wo man nicht nur „klein-klein“, sondern auch mit der Schlagbohrmaschine arbeiten kann. Und mit den unterschiedlichsten Materialien und Techniken. Genauso gibt es bei uns aber auch Musik, Theater und alle möglichen Medien, mit denen man Erfahrungen machen kann. Da kann man erfahren, dass man etwas gut kann und lernt bei uns, wie man es vielleicht noch ausbaut. Viele Kinder entwickeln in dieser Zeit gerade erst ihre Interessen und finden heraus, was sie gut können. Darin wollen wir sie bestärken. Und deswegen gibt es bei uns auch so eine Vielfalt der Angebote. Wir gehen sehr partizipativ vor – und greifen vieles auf, was an Ideen und Vorschlägen an uns herangetragen wird.
Klingt sehr offen. Fast wie Wünschdir-was.
Katrin Pischetsrieder: Wir gehen einen Schritt nach dem anderen vor. Wir sperren nicht auf – und haben schon von Anfang an ein festes Programm, das wir abspulen. Wir geben ein paar Ideen in Spiel, von denen wir uns vorstellen, dass sie gut funktionieren könnten. Aber uns sind die Rückmeldungen sehr wichtig. So schauen wir uns sehr genau an, was den Menschen für Vorstellungen in den Kopf kommen, wenn sie durch unsere Räume gehen. Das heißt nicht unbedingt, dass jeder alles sofort bekommt, was er auf seinen Wunschzettel schreibt. Aber wir sind immer im Gespräch und wollen ganz nah an den Leuten dran bleiben.
In Ihren Programmen steht immer wieder der Programmpunkt „Planungswerkstatt“. Das ist dann der Ort, an dem man auch mal Neues anregen kann?
Katrin Pischetsrieder: Genau, da tüfteln wir neue Ideen aus. Als wir zu Jahresbeginn angefangen haben, führten wir allerdings auch schon die Idee „Lernt uns kennen“durch. Da haben wir den Leuten gesagt, dass hier etwas Neues entstehen wird. Bis wir fertig sind, wird es noch etwas dauern. Aber kommt jetzt schon zu Besuch, lernt uns und das Haus kennen. Es gab da eine riesige Ideenwand, die zum Schluss bis an die Ränder mit Post-its vollgespickt war. Für die Kinder haben wir das als Foto-Aktion durchgezogen. Wir hatten dafür Kisten mit Requisten bereitgestellt, mit denen sie sich abbilden lassen konnten, um so ihre Wünsche für die neuen Häuser vorzutragen.
Dann muss man aber auch den Ninja-Training-Wunsch wieder aussortieren, oder?
Katrin Pischetsrieder: Man muss ernsthaft mit den Wünschen umgehen. Das bedeutet auch, dass man ehrlich sagt, dass nicht alles realisierbar ist. Wir schauen gemeinsam, was und wie wir die Wünsche umsetzen können. Im offenen Treff ergibt sich bei uns ganz viel. So erzählt mir meine Kollegin, die das Kinoprogramm durchführt immer wieder, dass genau der Titel, der aktuell auf dem Flyer steht von einem Kind vorgeschlagen wurde. Wenn so was dann möglich wird, macht das die Vorschlagenden natürlich auch stolz.
Viele Kinder sind von Ihrem Wochenplan – inklusive Nachmittagsunterricht – ja oft schon durchgetaktet wie kleine Manager. Sind die Sportvereine und der Cello-Unterricht die natürlichen Konkurrenten der offenen Jugendarbeit?
Jasmina Barisic: Ich würde nicht die Schule als Konkurrent sehen. Eher die Eltern, die ja mitbestimmen, was ihr Kind angeblich alles zu leisten hat. Für mich wäre es ein Appell, bei den Kindern einfach mal wieder Freiraum zuzulassen. Wir bieten weniger ein Gegenangebot als eine gute Ergänzung zu dem vollgepackten Manager-Alltag der Kids. Freiräume, in denen die Kinder mitbestimmen können und frei über ihre Zeit verfügen können, sind wichtig. Und dazu gehört auch, dass diese Freiräume auch mal frei von Erwachsenen sind.
Interview: Rupert Sommer