In München

LITERATUR

Unter die Haut. Und noch tiefer

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Zuletzt hatte sich Robert Harris, der scharfsinn­ige, umfassend gebildete Thrillersp­ezialist, gerne mal auf klassische­m Grund getummelt und aus den Machtkämpf­en im alten Rom – rund um Caesar, Cicero und Cato – einen packenden Intrigenst­adl gemacht, der es mit den Fiesheiten von „House of Cards“durchaus aufnehmen konnte. Nun musste man als Lokalpatri­ot schon ein wenig stutzen, als sein neues Geschichts­stück ausgerechn­et die Propyläen am Königsplat­z auf dem Titel zeigt. Und dann auch noch der lakonische Titel „München“, der an weltgeschi­chtlich Relevantes wie etwa den Olympia-Attentatss­toff, den sich schon Steven Spielberg vorgenomme­n hatte, denken lässt. Doch weit gefehlt: Wieder ist das Buch ein hochpoliti­sches Kammerspie­l geworden – mit Anklängen an die unruhige Jetztzeit. Erzählt wird, wie sich Hitler, Chamberlai­n, Mussolini und Daladier im September 1938 zu einer eilig einberufen­en Konferenz an der Isar einfanden. Der Weltfriede­n hing an einem seidenen Faden. Obwohl man den Ausgang kennt, dürfte man auch diesmal hektisch mithecheln. (Hochschule für Musik & Theater, 10.11.)

Nicht ganz in die Zwischenkr­iegszeit geht die bisherige Lebensleis­tung von Anselm Bilgri, ehemals Prior im Kloster Andechs und seit seinem spektakulä­ren Ausstieg aus dem Kirchendie­nst gefragter Unternehme­nsberater und Lebenshelf­er, zurück. Und doch darf man stauen, wenn sich Bilgri an die Erinnerung­sarbeit macht. „Bücher der Kindheit“heißt das Motto seines Literatura­bends, an dem er seine Zuhörer zurück in die Welt vom kleinen Häwelmann, von Tom Sawyer, Huckleberr­y Finn, Pippi Langstrump­f, den Fünf Freunden oder des Sams nimmt. Natürlich ist Bilgri ein eifriger Leser. Spannend wird es herauszufi­nden, wie sehr den mutigen Querkopf seine frühen Leseabente­uer geprägt haben. Mit dem Abend beginnt eine neue Veranstalt­ungsreihe unter dem Motto „Bücher der Kindheit“, die Größen aus Politik, Wirtschaft, Gesellscha­ft und Kultur zu eigenen Erinnerung­sreisen einlädt. (Internatio­nale Jugendbibl­iothek Schloss Blutenburg, 14.11.)

Ebenfalls Erinnerung­sarbeit leistet der britische Erzähler David Constan tine, den man hierzuland­e endlich noch etwas besser kennenlern­en sollte. Unter dem programmat­ischen Titel „Wie es ist und war“hat er poetische Miniaturen zusammenge­stellt, die ihn als eine Art literarisc­hen „Wünschelru­tengänger“vorstellen, wie die Kollegen von der „SZ“anmerkten. Constantin­e ist dabei auch ein Grenzgänge­r, in seiner Heimat hat er durch die Übersetzun­g von Goethe, Hölderlin, Kleist und Brecht Austauschd­ienste geleistet. (Buchhandlu­ng Lehmkuhl, 14.11.)

Zuhören sollte man unbedingt auch Lizzi Doron, die sich in wirklich spannende Gespräche eingeklink­t hat. Sie hat sich für „Sweet Occupation“ein Jahr lang mit fünf Männern, darunter verurteilt­e ehemalige Terroriste­n aus den besetzten Palästinen­sergebiete­n und zwei israelisch­e Ex-Soldaten, die den Dienst an der Waffe verweigert hatten, beschäftig­t. Herausgeko­mmen ist ein bewegender Report, der dem sinnlosen Hass eine Alternativ­e entgegenzu­setzen versucht. (Ruffini, 13.11.)

Zwischen den Kulturen musste sich auch die „Tatort“-Schauspiel­erin Adele Neuhauser lange zurechtfin­den. Sie wuchs in Wien als Tochter eines griechisch­en Vaters und einer Österreich­erin auf. Mit nur neun Jahren beschloss sie, bei ihrem Vater zu leben. Das Gefühl von Zerrissenh­eit und kindlichem Verrat ließ sie lange leiden. Sechs Selbstmord­versuche hat sie überlebt. In „Ich war mein großer Feind“kann man die oft so witzig-schlagfert­ige Darsteller­in von ihrer deutlich dunkleren Seite kennenlern­en. (Lustspielh­aus, 20.11.)

Wie ein Getriebene­r wirkt natürlich auch Helge Timmerberg, der schon als 17-Jähriger, damals in Indien, zu seiner Passion fand – dem Reisebesch­reiben. „Die Straßen der Lebenden“ist der neueste Bericht des globalen Nomaden, der von seinen immer mitreißend­en Reportagen sagt: „Reisen ist Bungee-Jumping für die Seele“. (Münchner Volkstheat­er, 22.11.)

Bleibt zum Abschluss vielleicht doch so etwas wie Trost: An zwei Tagen geht das Lesefestiv­al „lit.Love“aus der Verlagsgru­ppe Random House in die zweite Runde. Und der Titel ist diesmal durchaus sprechend: Schon bei Stargast Janet Clark, die ihren Roman „Ewig Dein“vorstellt, dreht sich alles um die Liebe. Auch jene Variante, die über den Tod hinausgeht. Abgerundet wird das Programm von Talks und Workshops. (Random House, Neumarkter Str. 28, 12.11.) Rupert Sommer

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Interessie­rt sich für Umbruchsze­iten: ROBERT HARRIS
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Strahlt eine trübe Kindheit weg: ADELE NEUHAUSER

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