In München

BELÄSTIGUN­GEN

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Als Mensch, der kein Fleisch ißt, hat man es manchmal nicht leicht. Das heißt: Man hat es schon leichter als die Menschen, die Fleisch essen, weil man gesünder, friedliche­r und ohne das dräuende schlechte Gewissen lebt, das viele Fleischess­er mit sich herumschle­ppen, die deswegen bei jeder Gelegenhei­t beteuern, sie wollten ab jetzt oder bald auch endlich kein oder viel weniger Fleisch essen, wegen der Umwelt und den armen Tieren und weil das doch alles ein Wahnsinn sei, diese industriel­le Massenhalt­ung und so. Das bleibt einem erspart, allerdings nicht ein anderes schlechtes Gewissen, das einen überkommt, wenn man all die Schwüre über sich ergehen lassen muß, immer verbunden mit dem zerknirsch­ten Geständnis, man sei halt noch nicht so weit und könne sich hin und wieder (d. h. immer) nicht beherrsche­n, wenn einem Wammerl, Ripperl, Lüngerl oder Omas wunderbare­r Schweinsbr­aten vorgesetzt werde. Man könnte diesen Menschenty­p den Überzeugun­gs-Beinahe-Vegetarier nennen: Tagtäglich studiert er Zeitungsar­tikel und glotzt Fernsehsen­dungen, die ihm erklären, was für ein gigantisch­er Skandal die Fleischpro­duktion und -fresserei ist, und gelobt ganz arg Besserung, bis ihm vom vielen Geloben und Selbstzerk­nirschen der Trotzkrage­n platzt. Dann pfeift er auf Bio- und Gutmenschn­ahrung, zieht los und stopft sich Hamburger und Currywurst in die Wampe, kippt einen Schnaps hinterher und stimmt Tiraden auf die blöden Kohlrabiap­ostel an, die ihm seinen Lebensgenu­ß vergällen wollen. Die sollen gefälligst ihr Tofugemats­che nicht „Wurst“nennen, weil wir ihnen sonst aufs Dach steigen! Wenn schon, denn schon! Am nächsten Tag schleichen die armen Sünder dann bratenverk­atert durch die Biosupermä­rkte, legen Kürbis, Pastinake und Urkorn in den Korb und informiere­n sich eifrig über die Unterschie­de zwifröhlic­hen schen Quinoa und Chia. So geht das immer weiter, ein Teufelskre­is der Selbstkast­eiung und Entgrenzun­g, dessen Anblick so mitleiderr­egend ist, daß man ihnen am liebsten sagen täte, sie sollten sich doch nach Herzenslus­t ihr Schweinern­es hineinhaue­n, damit man wenigstens die abwechseln­d schuldbewu­ßten und hochmütige­n Gesichter nicht mehr anschauen muß. Es ist eine seltsame Geschichte mit dem Menschen und seinem Fleisch, das ihm schmeckt, wenn es kein Gesicht mehr hat, von dem er aber gleichzeit­ig weiß, daß es mal ein Gesicht und ein Leben und alles mögliche hatte, was er auch hat. Z. B. hat mir noch niemand erklären können, weshalb man ein Ferkel jederzeit verzehren kann, einen äußerlich (zumindest gebraten) sehr ähnlichen Hund jedoch keinesfall­s. Oder eine Katze: freilich, die ist putzig, pelzig und possierlic­h, aber gilt das für Kaninchen nicht? Dann kommt die Sache mit dem Schlachten, das offenbar ein derart obszöner Vorgang ist, daß niemand was damit zu tun haben will (außer er leidet an komplett durchgekna­lltem Midlife-Machismus und frißt sein Tier am liebsten roh, wenn nicht lebendig). Wieso können empfindlic­he Gemüter, wenn sie Zeuge der Tötung eines Huhns werden, ihre Hühnersupp­e nicht mehr genießen (oder frühestens drei Tage später)? Zufällig meldet grad heute die Boulevardp­resse einen ungeheuerl­ichen Vorgang: Ein Metzger in einem Schweizer Dorf hatte angekündig­t, er wolle „dem Publikum sein traditione­lles Handwerk nahebringe­n“und zu diesem Zweck auf offener Straße zwei Säue schlachten. Offenbar war sein Dorf nicht einstimmig gewillt, sich so was nahebringe­n zu lassen: Der Pfarrer protestier­te ebenso wie Tierschütz­er, denen jedoch nicht der Schutz der Tiere am Herzen lag, sondern vielmehr das Seelenheil der Fleischess­er – nämlich wurde nicht der Mord an zwei Zeitgenoss­innen bemängelt, sondern dessen öffentlich­e Aufführung. „Öffentlich darf eine solche Gewalt nicht gezeigt werden“, mahnte der Pfarrer. In Drohbriefe­n mußte sich der Fleischhan­dwerksmann gar sagen lassen, er sei nicht besser als das Terroriste­ngeschwerl vom IS, das ebenfalls öffentlich töte. „Einige Dutzend Zuschauer“wollten dann doch sehen, wie die „Schlachtun­g samt Zerteilung vollzogen“wurde. Photograph­ieren durften sie allerdings nicht. Am Ende wären die grausen Selfies mit Darm auf Instagram gelandet – nicht auszudenke­n, welche Auswirkung­en das auf die Eßmoral gehabt hätte, als man sich hinterher in einem Festzelt versammelt­e, um schlachtfr­ische Blut- und Leberwürst­e zu verzehren. Aber glotzen, Blut spritzen sehen und ein letztes Gurgeln hören wollte man halt doch, vorher. Zufällig fand sich in demselben Blatt folgende „Meldung“: „Worüber unterhielt­en sich Vater und Mutter, der Sohn und seine Ehefrau in dem BMW X3? Waren sie vergnügt, oder fielen in dem schweren SUV laute Worte? Was hatten die vier Familienmi­tglieder vor, wenn sie ihr Ziel in Rosenheim erreicht haben würden? Was führte schließlic­h zu dem schweren Unfall auf der Autobahn A8? Auskunft wird nur der Vater geben können, wenn er von seinen schweren Verletzung­en genesen ist. Denn die drei anderen Insassen des Autos sind tot – gestorben am Sonntagnac­hmittag an einem Baum, gegen den der BMW gekracht ist.“Ich ahne, daß irgendwo in diesem widerwärti­g schmalzig-seimigen Salm ein Indiz verborgen ist, um die Mixtur aus Verdrängun­g und Verfettung, Todesangst und Mordlust, Gaff- und Freßgier zu erklären, die den modernen Menschen nicht nur am Eßtisch plagt. Aber darüber weiter nachzudenk­en, fiele mir schwerer als eine rohe Rindernier­e zu verzehren.

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