Blondes have more fun
‘36. Reichsadi, international anerkannter Superwirrkopf, Hate-Speecher und gefühlter Erfinder des No-Touch-Gimme-Five, mundstuhlt am Frankfurter Opernplatz. Das Durchlaufpublikum: „Ja, ja, du mich auch, Führerchen. Fuck you very much.“Cool wär’s. But old historybitch ain’t no take-iteasy-dude. Der O-Platz ist voll mit Deutschpfosten, AfD-Fressen der hässlichsten Sorte. Quasi volle Zaunlatte Jubelpersien. Eine der Antennen ist Ü18-Teenager Sanna. Gefiltert durch ihre blauäugigen Grünohren und dem wie angegossenen Entschiedenblondstimmchen von Lisa Wagner flaniert die Geschichte überraschend ballerinafüßig daher, trotz des Gruselsettings, und lenkt den Alertmodus auf die Absurditäten der Nazitretmühle. Sannas ImKopf-Kommentar zum Liebeskummer ihrer Freundin Gerti: „Warum verliebt sich so ein Mädchen auch ausgerechnet in einen verbotenen Mischling? Es gibt doch immer noch Männer, die von der Behörde erlaubt sind.“Sannas Blondinsideness schützt sie zwar davor, ihr Leben als „Fuck the Führer“-Aktivistin zu gefährden. Gleichzeitig nutzen die Führerfollower jede Chance, wie einst in der Hexenjagdära, durch Diffamierung Konkurrenten loszuwerden oder sich nachhaltig zu rächen. Wer da keinen Wuffi unter der Mütze hat, landet schneller beim Gestapo-Interview, als er eine Not-Arm-Erektion zustande bringt. „Das Gestapozimmer scheint die reinste Wallfahrtsstätte. Mütter zeigen ihre Schwiegertöchter an, Töchter ihre Schwiegerväter, Brüder ihre Schwestern, Schwestern ihre Brüder, Stammtischgenossen ihre Stammtischgenossen, Nachbarn ihre Nachbarn.“Sannas Tante Adelheid ist so ein Fiesgerät. Die eifersüchtige Nazistranze denunziert Sanna bei der Gestapo. Mit Glück und Emo-Joker – they call it Reuetränen – checkt Sanna unversehrt aus und macht schließlich mit Freund Franz über die Grenze. Irmgard Keun kunstseidene Mädchen) schrieb Mitternacht 1936 in Ostende, einem Exil mit Meerblick. Wäre eine Erklärung für die amüsante Leichtigkeit, mit der sie Sanna und ihren Freund Franz über das Minenfeld tänzeln lässt, was in diesem Hörspiel sehr modern und angenehm ungekünstelt ohrisiert wird. Wie der Künstler Christo durch verhüllen enthüllt, betont Sannas unbedarfter Blick die Konturen des Irrsinns dieser Schafottcastingshow.
Irmgard Keun: Nach Mitternacht. Hörspiel von Regine Ahrem und Barbara Meerkötter, RBB 2017 mit 13 Sprechern, 2 CD, ca. 1,5 Std., www.der-audio-verlag.de