Edward St Aubyn Dunbar und seine Töchter (Knaus)
Was für eine Kunst, eine Geschichte, die man gut kennen sollte, einfach noch mal – vertraut und doch ganz anders – neu zu erzählen. Henry Dunbar, eigentlich ein Macho-Ekel und die lebende Karikatur eines MedienMachtmenschen, der für seine weltumspannenden wirtschaftlichen Erfolge über Leichen ging, hat sich selbst zum bemitleidenswerten, enteierten Schlaffigreis und Clown degradiert. Dafür reichte nur eine Unterschrift unter einem Dokument, das er doch besser zweimal durchdacht hätte: Mit einem Federstrich überschrieb Dunbar die unternehmerische Führung seines Großkonzerns an seine älteren beiden Töchter, die ebenso skrupelbefreiten wie sexuell hemmungslosen Vatermörderbestien Abigail und Megan. Die machten mit dem alten Herren, der sich selbst um seine Würde gebracht hatte, kurzen Prozess und steckten ihn – schwer sediert durch einen undurchsichtigen Medikamentenplan – in eine abgelegene Luxusseniorenresidenz im britischen Lake District. Doch als Dunbar den alten „Einer flog über das Kuckucksnest“-Trick ausprobierte und die bunten Pillen nicht schluckte, sondern unter der Zunge versteckte, dämmerte ihm, was er angerichtet hatte: Ausgerechnet seine jüngste Tochter Florence, die ihn als einzige wirklich liebte, hatte er aus der Erbfolge ausradiert. Nun ist sie seine einzige Hoffnung. Wie einst King Lear bricht Dunbar aus seinem selbstverschuldeten Gefängnis aus, stapft wirr und entkräftet übers Hochmoor – und schmiedet Rachepläne. Edward St Aubyn, selbst Spross einer der ältesten, angemessen degenerierten Familien des britischen Hochadels, schafft es, den stürmischen, noch immer bewegenden Shakespeare-Stoff in die Jetztzeit zu retten. Mit einem Helden, der zwar lange tumb wie Trump, aber wenigstens auf den letzten Metern einsichtig ist.