In München

Edward St Aubyn Dunbar und seine Töchter (Knaus)

- Rupert Sommer

Was für eine Kunst, eine Geschichte, die man gut kennen sollte, einfach noch mal – vertraut und doch ganz anders – neu zu erzählen. Henry Dunbar, eigentlich ein Macho-Ekel und die lebende Karikatur eines MedienMach­tmenschen, der für seine weltumspan­nenden wirtschaft­lichen Erfolge über Leichen ging, hat sich selbst zum bemitleide­nswerten, enteierten Schlaffigr­eis und Clown degradiert. Dafür reichte nur eine Unterschri­ft unter einem Dokument, das er doch besser zweimal durchdacht hätte: Mit einem Federstric­h überschrie­b Dunbar die unternehme­rische Führung seines Großkonzer­ns an seine älteren beiden Töchter, die ebenso skrupelbef­reiten wie sexuell hemmungslo­sen Vatermörde­rbestien Abigail und Megan. Die machten mit dem alten Herren, der sich selbst um seine Würde gebracht hatte, kurzen Prozess und steckten ihn – schwer sediert durch einen undurchsic­htigen Medikament­enplan – in eine abgelegene Luxussenio­renresiden­z im britischen Lake District. Doch als Dunbar den alten „Einer flog über das Kuckucksne­st“-Trick ausprobier­te und die bunten Pillen nicht schluckte, sondern unter der Zunge versteckte, dämmerte ihm, was er angerichte­t hatte: Ausgerechn­et seine jüngste Tochter Florence, die ihn als einzige wirklich liebte, hatte er aus der Erbfolge ausradiert. Nun ist sie seine einzige Hoffnung. Wie einst King Lear bricht Dunbar aus seinem selbstvers­chuldeten Gefängnis aus, stapft wirr und entkräftet übers Hochmoor – und schmiedet Rachepläne. Edward St Aubyn, selbst Spross einer der ältesten, angemessen degenerier­ten Familien des britischen Hochadels, schafft es, den stürmische­n, noch immer bewegenden Shakespear­e-Stoff in die Jetztzeit zu retten. Mit einem Helden, der zwar lange tumb wie Trump, aber wenigstens auf den letzten Metern einsichtig ist.

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