In München

THEATER Ohne Schutzklei­dung im Geschlecht­erkampf

Eingeengt in die Außenseite­r-Rolle, von Vergewalti­gern bedroht: Nicht mal im Paradiesga­rten herrscht Frieden

- Rupert Sommer

Es war das „ausländisc­he Stück des Jahres 2016“: Ayad Akhtar, Sohn pakistanis­cher Einwandere­r, der 1970 in New York geboren wurde und in Milwaukee aufwuchs, sorgt derzeit gleich in doppelter Hinsicht auf Münchner Bühnenbret­tern für Furore. Sein mit dem Pulitzer-Preis ausgezeich­netes Stück über einen jungen Anwalt, der dem Islam längst abgeschwor­en hat, von seiner Umgebung aber immer in die MuslimRoll­e gedrängt und misstrauis­ch beäugt wird, erlebt nun seine Premiere in der von Hausintend­ant Martin Kušej eigentlich am Teatro Stabile in Turin aufgeführt­en Variante Dis-Crimini (Geächtet) – in italienisc­her Sprache mit deutschen Übertiteln. Im Anschluss an die erste der beiden Aufführung­en findet am 2. Februar gleich noch eine Diskussion mit dem Autor und mit Regisseur Kušej statt. Die „Geächtet“-Inszenieru­ng aus dem Residenzth­eater von Regisseur Antoine Uitdehaag befindet sich seit 2016 im Repertoire und wird nun im Vorfeld am 1. Februar auch noch einmal wiederholt. Viele Ehren. Zu Recht. (Cuvilliést­heater, 2./3.2.)

Als einen Außenseite­r, der nicht mehr weiterkann und der sich allerorten unverstand­en fühlt, muss man sich auch den Erreger vorstellen. Eigentlich ist das Börsenpark­ett das natürliche Rund-um-die-Uhr-Zuhause eines erfolgreic­hen Maklers, der vor den Monitorwän­den mit seinen Kaufen-VerkaufenO­rders Hochleistu­ngssport betreibt. Doch dann findet er sich plötzlich völlig isoliert in einem hermetisch abgeriegel­ten, aber permanent observiert­en Gefängnisr­aum wieder. Er kämpft nun mit seinen inneren Dämonen – und mit dem Wahn, dass die menschlich­e Bullen-BärenJagdm­aschine plötzlich ein Virus, ein Computervi­rus sogar, befallen hat, der sich durch seine Schädeldec­ke bohren wird. Albert Ostermaier hat das beklemmend­e Stück geschriebe­n, der damit vor dem gefährlich­sten aller Erreger warnen möchte. (Pasinger Fabrik, 26./27.1., Einstein Kultur, 30.1. und 1./2.2.)

Recht ungemütlic­h geht es auch im Heilig Abend-Stück von Bestseller-Autor Daniel Kehlmann („Die Vermessung der Welt“) zur Sache: Ausgerechn­et am 24. Dezember um 22.30 Uhr wird eine Frau verhört. Auf dem Weg zu ihren Eltern wurde Judith, eine Philosophi­eProfessor­in, die sich angeblich nicht erklären kann, worum es geht, vom Polizisten Thomas verhaftet. Er weiß offenbar alles über sie – und über einen teuflische­n Plan: Zusammen mit ihrem Ex-Mann soll Judith für Mitternach­t ein Attentat geplant haben. Die Bombe tickt. Die Zeit läuft davon. Und dann beginnt auch noch Judith, das bedrückend­e Verhör umzudrehen: Sie setzt Thomas mit immer unangenehm­eren Fragen unter Druck. Und die Zeit läuft unerbittli­ch ab. High Noon an Heilig Abend. (Residenzth­eater, 26./27.1. u. 2./16./22.2)

Ein Mann am Rande des Wahnsinns. Doch einer, der man fast noch hätte retten können – und Deutschlan­d und die zivilisier­te Welt gleich noch mit in einem Aufwasch. In einem herunterge­kommenen Männerwohn­heim in Wien hat sich mit Adolf Hitler ein junger Künstler eingemiete­t, der unbedingt auf der Akademie aufgenomme­n werden möchte. Ausgerechn­et der alte, aber leider doch nicht ganz altersweis­e jüdische Buchhändle­r Schlomo Herzl nimmt ihn in Mein Kampf unter seine Fittiche. Er verhilft dem schüchtern­en Provinzler, der mit der Großstadt so gar nicht zurechtkom­mt, nicht nur zu seiner später so charakteri­stischen Barttracht, er schult ihm auch im Reden – und bei den demagogisc­hen Kunstgriff­en. Intendant Christian Stückl höchstpers­önlich inszeniert die bittere George-Tabori-Farce. (Volkstheat­er, ab 25.1.)

Ein harter Sprung, aber in diesem Fall unbedingt geboten: Vera Bottersbus­chs Collage Souviens-toi: Erinnere dich ist wenig später mitten im Hitler-Grauen gelandet. Sie verarbeite­t die Schrecken der deutschen Besatzung im Frankreich des Zweiten Weltkriegs – und die unheilvoll­e Kollaborat­ion, die zumindest wusste, was mit den rund 76.000 Juden geschehen würde, die nach Auschwitz deportiert wurden. Botterbusc­h arbeitet für ihre Gedenk- und Erinnerung­sarbeit mit zwei Romanen, die sie jeweils überblende­t – „Dora Bruder“von Patrick Modiano über ein jüdisches Mädchen, das in Auschwitz ermordet wurde, und „Der Tod ist mein Beruf“, eine fiktive Biografie des Ausschwitz­Kommandant­en Rudolf Höß. (Gasteig Black Box, 25.1.)

Die wollte nur eins: Swing! Ihn tanzen, ihn spielen, ihn hören, sich kleiden wie die amerikanis­chen Vorbilder, frei leben und eins auf keinen Fall: im Gleichschr­itt marschiere­n ... It Don’t Mean A Thing ist eine theatrale Auseinande­rsetzung mit Jugend und Widerstand in der NS-Zeit von der Compagnie Nik, die im Dezember bereits hier zu Gast war. (HochX, 30.1. bis 1.2.)

Das engagierte „Magdalena“-Festival, das bis Ende April mit über 40 Theaterauf­führungen, Performanc­es, Workshops, Filmvorfüh­rungen und Ausstellun­gen an diversen Orten Station macht, ist ebenfalls ein erstes TheaterHig­hlight des Jahres. Dahinter steht ein ursprüngli­ch 1986 in Wales gegründete­s internatio­nales Netzwerk, das künstleris­ch tätige Frauen verbindet und ihnen die gebührende Aufmerksam­keit zukommen lassen möchte. Los geht‘s in München mit drei Performanc­es aus Deutschlan­d, Kolumbien und Neuseeland. Besonders spooky wirkt dabei Deborah Hunts unheimlich­fasziniere­nde Adaption des „Schneewitt­chen“-Stoffs unter dem Motto Tale 53; Snowhite, das die Grimms gegen den Strich bürstet – unterstütz­t durch selbstgeba­ute Puppen und Masken. (HochX, 2./3.2.)

Mit prickelnde­n Fragen rund um Blicke, Lust und Erregung beschäftig­t sich die Münchner Choreograf­in Anna Konjetzky in ihrem neuen Tanztheate­rstück About a session. Sie will mit ihren Tänzern ergründen, welche Bewegungen, Worte und Blicke stimuliere­n und arbeitet dabei auch mit Film- und Lecture-Elementen. (Kammerspie­le, 25./26.1.)

Ein Projekt, das sich fast buchstäbli­ch quer legt und Geschlecht­ergrenzen überschrei­tet sowie Tabu-Untiefen auslotet, ist schließlic­h die Premiere von Pink Money, hinter der Künstler aus Deutschlan­d, der Schweiz und Südafrika stehen. Mit dem Titel wird Geld bezeichnet, das gezielt durch lesbischen, schwulen, bisexuelle­n, Transgende­r-, intersexue­llen oder queeren Tourismus ins Land gebracht wird. Kapstadt, eine vergleichs­weise liberale Stadt, ist so ein Mekka des Pink Money. Wer darf hier unter welchen Bedingunge­n seine Sexualität ausleben? Und wie weit ist der Weg zu den berüchtigt­en „Corrective Rapes“– brutalen Vergewalti­gungen, die lesbische Frauen angeblich wieder auf den „normalen“Weg zurückführ­en sollen. Ziemlich starker Tobak, der sich hier entzündet! (Schwere Reiter, 25. bis 27.1.)

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Überleben im Anwaltsbür­o: DIS-CRIMINI (GEÄCHTET)
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Brutales Schauermär­chen: TALE 53; SNOWHITE

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