THEATER Ohne Schutzkleidung im Geschlechterkampf
Eingeengt in die Außenseiter-Rolle, von Vergewaltigern bedroht: Nicht mal im Paradiesgarten herrscht Frieden
Es war das „ausländische Stück des Jahres 2016“: Ayad Akhtar, Sohn pakistanischer Einwanderer, der 1970 in New York geboren wurde und in Milwaukee aufwuchs, sorgt derzeit gleich in doppelter Hinsicht auf Münchner Bühnenbrettern für Furore. Sein mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnetes Stück über einen jungen Anwalt, der dem Islam längst abgeschworen hat, von seiner Umgebung aber immer in die MuslimRolle gedrängt und misstrauisch beäugt wird, erlebt nun seine Premiere in der von Hausintendant Martin Kušej eigentlich am Teatro Stabile in Turin aufgeführten Variante Dis-Crimini (Geächtet) – in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln. Im Anschluss an die erste der beiden Aufführungen findet am 2. Februar gleich noch eine Diskussion mit dem Autor und mit Regisseur Kušej statt. Die „Geächtet“-Inszenierung aus dem Residenztheater von Regisseur Antoine Uitdehaag befindet sich seit 2016 im Repertoire und wird nun im Vorfeld am 1. Februar auch noch einmal wiederholt. Viele Ehren. Zu Recht. (Cuvilliéstheater, 2./3.2.)
Als einen Außenseiter, der nicht mehr weiterkann und der sich allerorten unverstanden fühlt, muss man sich auch den Erreger vorstellen. Eigentlich ist das Börsenparkett das natürliche Rund-um-die-Uhr-Zuhause eines erfolgreichen Maklers, der vor den Monitorwänden mit seinen Kaufen-VerkaufenOrders Hochleistungssport betreibt. Doch dann findet er sich plötzlich völlig isoliert in einem hermetisch abgeriegelten, aber permanent observierten Gefängnisraum wieder. Er kämpft nun mit seinen inneren Dämonen – und mit dem Wahn, dass die menschliche Bullen-BärenJagdmaschine plötzlich ein Virus, ein Computervirus sogar, befallen hat, der sich durch seine Schädeldecke bohren wird. Albert Ostermaier hat das beklemmende Stück geschrieben, der damit vor dem gefährlichsten aller Erreger warnen möchte. (Pasinger Fabrik, 26./27.1., Einstein Kultur, 30.1. und 1./2.2.)
Recht ungemütlich geht es auch im Heilig Abend-Stück von Bestseller-Autor Daniel Kehlmann („Die Vermessung der Welt“) zur Sache: Ausgerechnet am 24. Dezember um 22.30 Uhr wird eine Frau verhört. Auf dem Weg zu ihren Eltern wurde Judith, eine PhilosophieProfessorin, die sich angeblich nicht erklären kann, worum es geht, vom Polizisten Thomas verhaftet. Er weiß offenbar alles über sie – und über einen teuflischen Plan: Zusammen mit ihrem Ex-Mann soll Judith für Mitternacht ein Attentat geplant haben. Die Bombe tickt. Die Zeit läuft davon. Und dann beginnt auch noch Judith, das bedrückende Verhör umzudrehen: Sie setzt Thomas mit immer unangenehmeren Fragen unter Druck. Und die Zeit läuft unerbittlich ab. High Noon an Heilig Abend. (Residenztheater, 26./27.1. u. 2./16./22.2)
Ein Mann am Rande des Wahnsinns. Doch einer, der man fast noch hätte retten können – und Deutschland und die zivilisierte Welt gleich noch mit in einem Aufwasch. In einem heruntergekommenen Männerwohnheim in Wien hat sich mit Adolf Hitler ein junger Künstler eingemietet, der unbedingt auf der Akademie aufgenommen werden möchte. Ausgerechnet der alte, aber leider doch nicht ganz altersweise jüdische Buchhändler Schlomo Herzl nimmt ihn in Mein Kampf unter seine Fittiche. Er verhilft dem schüchternen Provinzler, der mit der Großstadt so gar nicht zurechtkommt, nicht nur zu seiner später so charakteristischen Barttracht, er schult ihm auch im Reden – und bei den demagogischen Kunstgriffen. Intendant Christian Stückl höchstpersönlich inszeniert die bittere George-Tabori-Farce. (Volkstheater, ab 25.1.)
Ein harter Sprung, aber in diesem Fall unbedingt geboten: Vera Bottersbuschs Collage Souviens-toi: Erinnere dich ist wenig später mitten im Hitler-Grauen gelandet. Sie verarbeitet die Schrecken der deutschen Besatzung im Frankreich des Zweiten Weltkriegs – und die unheilvolle Kollaboration, die zumindest wusste, was mit den rund 76.000 Juden geschehen würde, die nach Auschwitz deportiert wurden. Botterbusch arbeitet für ihre Gedenk- und Erinnerungsarbeit mit zwei Romanen, die sie jeweils überblendet – „Dora Bruder“von Patrick Modiano über ein jüdisches Mädchen, das in Auschwitz ermordet wurde, und „Der Tod ist mein Beruf“, eine fiktive Biografie des AusschwitzKommandanten Rudolf Höß. (Gasteig Black Box, 25.1.)
Die wollte nur eins: Swing! Ihn tanzen, ihn spielen, ihn hören, sich kleiden wie die amerikanischen Vorbilder, frei leben und eins auf keinen Fall: im Gleichschritt marschieren ... It Don’t Mean A Thing ist eine theatrale Auseinandersetzung mit Jugend und Widerstand in der NS-Zeit von der Compagnie Nik, die im Dezember bereits hier zu Gast war. (HochX, 30.1. bis 1.2.)
Das engagierte „Magdalena“-Festival, das bis Ende April mit über 40 Theateraufführungen, Performances, Workshops, Filmvorführungen und Ausstellungen an diversen Orten Station macht, ist ebenfalls ein erstes TheaterHighlight des Jahres. Dahinter steht ein ursprünglich 1986 in Wales gegründetes internationales Netzwerk, das künstlerisch tätige Frauen verbindet und ihnen die gebührende Aufmerksamkeit zukommen lassen möchte. Los geht‘s in München mit drei Performances aus Deutschland, Kolumbien und Neuseeland. Besonders spooky wirkt dabei Deborah Hunts unheimlichfaszinierende Adaption des „Schneewittchen“-Stoffs unter dem Motto Tale 53; Snowhite, das die Grimms gegen den Strich bürstet – unterstützt durch selbstgebaute Puppen und Masken. (HochX, 2./3.2.)
Mit prickelnden Fragen rund um Blicke, Lust und Erregung beschäftigt sich die Münchner Choreografin Anna Konjetzky in ihrem neuen Tanztheaterstück About a session. Sie will mit ihren Tänzern ergründen, welche Bewegungen, Worte und Blicke stimulieren und arbeitet dabei auch mit Film- und Lecture-Elementen. (Kammerspiele, 25./26.1.)
Ein Projekt, das sich fast buchstäblich quer legt und Geschlechtergrenzen überschreitet sowie Tabu-Untiefen auslotet, ist schließlich die Premiere von Pink Money, hinter der Künstler aus Deutschland, der Schweiz und Südafrika stehen. Mit dem Titel wird Geld bezeichnet, das gezielt durch lesbischen, schwulen, bisexuellen, Transgender-, intersexuellen oder queeren Tourismus ins Land gebracht wird. Kapstadt, eine vergleichsweise liberale Stadt, ist so ein Mekka des Pink Money. Wer darf hier unter welchen Bedingungen seine Sexualität ausleben? Und wie weit ist der Weg zu den berüchtigten „Corrective Rapes“– brutalen Vergewaltigungen, die lesbische Frauen angeblich wieder auf den „normalen“Weg zurückführen sollen. Ziemlich starker Tobak, der sich hier entzündet! (Schwere Reiter, 25. bis 27.1.)