AUSSTELLUNGEN Erwartungen
Kunst aus Glas und die wunderbare Innenwelt der Kiki Smith
Glas und Wasser sind verwandte Seelen. Beide Materialien sind je nach Umgebung und Bedingung manchmal flüssig, manchmal zerbrechlich, manchmal durchsichtig und manchmal gefährlich. Ein Glas voll Wasser löscht den Durst und kann – fällt es zu Boden – Glück bringen oder eine Schnittwunde. Oder beides. Kein Wunder also, dass Künstlerinnen und Künstler gerne mit Materialien wie Keramik oder eben Glas arbeiten, Materialien die lange Zeit dem Handwerk zugeordnet wurden. Dass vor allem das Glas eine Aufwertung in der zeitgenössischen Kunst erfahren hat – das ist das Thema der Ausstellung Das Andere Sehen (26. Januar bis 29. Juni) in der Alexander Tutsek-Stiftung. Was genau ist es, das Künstler an diesem besonderen Werkstoff interessiert? Die Haptik, die körperliche und emotionale Wirkung? Licht und Reflexion? Zerbrechlichkeit und Transparenz? Die technischen Möglichkeiten? Eva-Maria Fahrner-Tutsek, Vorsitzende der Stiftung und Kuratorin, hat 13 Arbeiten sieben international bekannter Künstlern ausgewählt, die das Material ganz verschieden interpretieren, befragen und sichtbar machen, so dass eine Art intermaterieller Dialog im Raum entsteht: Schwebende „Speech Bubbles“(2014) der argentinischen Künstlerin Alejandra Seeber (geb. 1968) treffen auf ein „Gespräch unter drei Augen“(geb. 1990) von Raimund Kummer (geb. 1954) und auf das Paar „Listeners“(2015) des Briten Tony Cragg (geb. 1949). Mona Hatoum (geb. 1952), die in London lebenden palästinensische Künstlerin, ist mit einem Korb aus Stahl vertreten, in dem zwei rote dickbäuchige Glasgefäße ruhen. Verletzliche Ernte. Pae White (geb. 1963) aus Los Angeles baut eine Mauer aus wunderschönen tiefblau verspiegelten und viereckigen Glassteinen. „Observed“ (2017) nennt sie diese Rauminstallation, die sich auf den ersten Blick dekorativ an die Zimmerwand schmiegt. Und dann ist da noch Kiki Smith aus New York (geb. 1954) mit ihrer Skulptur „Ashen“(2010). Seltsam zarte Glasblumen wachsen aus einem geöffneten Holzsarg. Kurzum: Ein sehr guter und höchst offizieller Grund mal wieder in die schöne Jugendstilvilla nach Schwabing zu fahren. Dort, in dem ehemaligen Künstleratelier wohnt die Alexander TutsekStiftung seit ihrer Gründung 2000. Ihr Auftrag: Die Vielfalt der zeitgenössischen Kunst in den Medien Glas und Fotografie zu sammeln und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Weiter geht es südwärts durch den Englischen Garten ins Haus der Kunst, das die Alexander Tutsek-Stiftung seit 2016 finanziell unterstützt und wo jetzt am 1. Februar um 19 Uhr – als erste große Ausstellung im nicht mehr ganz so neuen Jahr – Kiki Smith: Procession (2. Februar bis 3. Juni, Katalog) eröffnet wird. Kiki Smith (geb. 1954) herself wird da sein und die Kuratorin Petra GilroyHirtz stellt Fragen. Denkbar wäre zum Beispiel: Warum gab es bisher eher kleine Ausstellungen? Tatsächlich ist diese Schau die erste einigermaßen umfassende Museumspräsentation von Smiths Arbeiten in Europa. Eine Art Einführung in den gedanklichen und symbolischen Kosmos der Künstlerin. Dabei liegt der Schwerpunkt auf den Skulpturen der 1980er Jahre bis hin zu aktuellen Arbeiten. In über drei Jahrzehnten hat die amerikanische Künstlerin ein vielfältiges Werk geschaffen, das sich mit den politischen und sozialen, den philosophischen und spirituellen Aspekten der menschlichen Natur befasst. Was sich durch ihr gesamtes Werk zieht, ist die analytische Aufarbeitung des Körpers. Ohne Scheu vor Tabus oder Grenzen der Scham beschäftigt sich Smith mit Themen wie Tod und Sterben, Verwundung und Heilung, Ganzheit und Fragmentierung, Sexualität und Geschlecht, Identität und Erinnerung. Große Themen, die uns Menschen schon immer und immer wieder umtreiben. Dabei nutzt sie neben der Skulptur eine Vielzahl anderer Medien, vor allem Zeichnung, Radierung und Lithografie, Buch, Fotografie und Video. Und verwendet eine Fülle von Materialien: Bronze zum Beispiel, Gips, Glas, Porzellan, Papier, Pigment, Aluminium, Latex, Federn, Haar oder Bienenwachs. Arbeiten aus den 1990erJahren zeigen vor allem einzelne menschliche Körperteile: Bauch, Kopf, Hände, Gedärm, oder Gefäße mit den Körperflüssigkeiten Blut, Schweiß, Milch und Tränen. Vom Ganzen abgetrennt, wirken sie wie archäologische Funde oder Reliquien. Ausgehend von diesen anatomischen Darstellungen hat Smith ein eigenes Universum entwickelt, das von Mädchen und Frauen, Mischwesen, Tieren vieler Art, Gewächsen und Gestirnen bevölkert wird. Mit „Jersey Crows“(1995/2017) setzte sie 20 Krähen, die Opfer von Pestiziden wurden und tot vom Himmel fielen, ein Denkmal. Und hinterfragt so unser Verhalten gegenüber der Natur. Ihre eigene Haltung ist klar: „Man beutet keine Natur aus, die zu einem spricht.“Die Ausstellung lässt diese Geschöpfe am Betrachter vorbeiziehen wie in einer Prozession und zeigt: Auf einer poetisch symbolischen Ebene ist der Mensch eng mit der Natur verbunden – ja verwachsen. Ein abgetrennter Kopf auf dessen Kinn ein Rabenvogel sitzt („Head with Bird II“, 1994). Eine Frau, die eine tote Katze im Arm hält („Pietà“, 1999). Noch eine Frau, die wie frischgeboren aus dem Leib eines Rehes zu schlüpfen scheint („Born“, 2002). Oder wie Smith in einem Interview sagt: „Durch meine Kunst versuche ich eine Verbindung herzustellen zwischen meinem Innenleben der Gedanken und Gefühle und der Welt um mich herum.“Das könnten wir ruhig auch mal versuchen.