LITERATUR Wenn’s wieder mit dem Teufel zugeht
Briefe aus einer fernen Vergangenheit, lustlos getretene Blechdosen und wilde Spiele in den Trümmerfeldern
Eigentlich joggt man ja meistens unachtsam vorbei, wenn man sich nicht gerade zu Silvester wilde Raketenschlachten zu seinen Füßen liefert: Petra Lange hat sich den Friedensengel in ihrem Roman „Die Flügel der Nike“vorgenommen. Ihre Spurensuche taucht dabei ein ins München des frühen 20. Jahrhunderts, eine kurze Zeit wirtschaftlichen und künstlerischen Aufschwungs. Bei den heutigen Restaurierungsarbeiten des Engels findet der damit beauftragte Bildhauer Briefe des einstigen Erbauers an seinen Vater. Faszinierende Dokumente, die dem Künstler immer näher kommen, weil sich Parallelen zu seiner eigenen Familie und der Lebenskrise seiner Schwester finden. (Literaturhaus, 25.1.)
Als Jogger kann man sich ihn natürlich nie im Leben vorstellen: Der Kettenraucher und leichenbleiche Chefprovokateur Frankreichs steht im Zentrum von C. Bernd Suchers „Leidenschaften“. In der neuen Ausgabe seiner stets spannenden Nahaufnahmen nimmt sich Sucher diesmal Michel Houellebecq vor, den trotz aller Fragezeichen und Kanten wohl scharfsinnigsten Gesellschaftskritiker der Gegenwart. Eröffnet wird damit die noch etwas tiefschürfendere neue „Student’s Edition“-Reihe. (Prinzregententheater Akademiestudio, 26.1.)
Auf eine Spurensuche hat sich auch Felix Stephan in seinem neuen Roman „Slawa und seine Frauen“gemacht. Erzählt wird von der Suche nach seinem jüdischen Großvater in der Ukraine. Der Journalist (lange bei der „Zeit“, aktuell „Welt am Sonntag“) und Autor wird dort mit offenen Armen von seinen Verwandten empfangen, die alle ein Loblied auf den verstorbenen Großvater, einen Charmeur und erfolgreichen Psychiater, anstimmen. Nach und nach kommen Stephan Zweifel. Und er reist zu einem Gegen-Check zu Slawas Sohn in Israel. (Literaturhandlung, 24.1.)
Kein spezielles Rechercheziel hat sich dagegen der Antiheld in Leander Steinkopfs neuer Erzählung „Stadt der Feen und der Wünsche“gesetzt. Durchs Geschehen schlurft ein absichtsloser Flaneur – und verläuft sich. Während andere hektisch mit dem Funktionieren beschäftigt sind, kickt er eine klappernde Blechdose vor sich her. Kein Wunder, der melancholische Pessimist blickt durch die Augen eins Verliebten. (Milla Club, 29.1.)
Gut möglich, dass der Alltag der klassischen Nachkriegskinder, die als 68erGeneration heute an den Hebeln der Macht sitzen, sich dafür aber viel Kritik und Spott anhören müssen, einst auch eher ereignisarm, wenn nicht sogar ausgesprochen trist war. Heinz Bude, ein genauer Kenner der jüngeren Soziologiegeschichte, aber auch ein Autor, der zu fesseln weiß, zeichnet in „Adorno für Ruinenkinder – Eine Geschichte von 1968“die Bilanz einer Generation, die lange ihre eigenen Weg suchte, Revolten anzettelte, sich dann aber ins Private zurückzog. (Literaturhaus, 31.1.)
Vielleicht ist ja auch der Wirt im „Zum Jedermann“so ein Typ. Ein Desillusionierter, ein Grantler, ein Frustrierter. Während im leeren Lokal schon weitestgehend aufgestuhlt wurde, bleibt er einfach hocken und beginnt zu schwadronieren – über die unverschämten Gäste, die Schmarotzer, die Kostverächter und die Billigesser. Für große Küchenkunst hat einfach keiner mehr den nötigen Geschmack. Albert Ostermaier, ein Sohn dieser Stadt, hat seinen Hofmannsthal, seine Handke und seinen Thomas Bernhard gelesen. Für seinen giftigen Monolog „Gästebeschimpfung“, vorgetragen von Thomas Thieme, zieht er daraus das Finsterste. (Marstall, 25.1.)
Ein Mann zum Fürchten ist für viele ja auch nicht nur der Teufels-Paktierer Faust, der so verblendet strebt, dass er dafür über Leichen geht, sondern – trotz seiner warmen Stimme – der immer gefährlich aufblitzende Klaus Maria Brandauer. Er hätte ein erster Stargast des „Faust“-Festivals in diesem Jahr werden sollen. Nachdem er nun erkrankt ist, bat er seinen Schauspieler-Kollegen und verschmitzten Geistesbruder Ulrich Tukur, seinen Part in der mephistophelischen Lesung „Faust – ein gefesselter Prometheus“zu übernehmen. Es geht ums nichts Geringeres als den Untergang der Menschheit, der hier droht. (Prinzregententheater, 30.1.)