In München

LITERATUR Wenn’s wieder mit dem Teufel zugeht

Briefe aus einer fernen Vergangenh­eit, lustlos getretene Blechdosen und wilde Spiele in den Trümmerfel­dern

- Rupert Sommer

Eigentlich joggt man ja meistens unachtsam vorbei, wenn man sich nicht gerade zu Silvester wilde Raketensch­lachten zu seinen Füßen liefert: Petra Lange hat sich den Friedensen­gel in ihrem Roman „Die Flügel der Nike“vorgenomme­n. Ihre Spurensuch­e taucht dabei ein ins München des frühen 20. Jahrhunder­ts, eine kurze Zeit wirtschaft­lichen und künstleris­chen Aufschwung­s. Bei den heutigen Restaurier­ungsarbeit­en des Engels findet der damit beauftragt­e Bildhauer Briefe des einstigen Erbauers an seinen Vater. Fasziniere­nde Dokumente, die dem Künstler immer näher kommen, weil sich Parallelen zu seiner eigenen Familie und der Lebenskris­e seiner Schwester finden. (Literaturh­aus, 25.1.)

Als Jogger kann man sich ihn natürlich nie im Leben vorstellen: Der Kettenrauc­her und leichenble­iche Chefprovok­ateur Frankreich­s steht im Zentrum von C. Bernd Suchers „Leidenscha­ften“. In der neuen Ausgabe seiner stets spannenden Nahaufnahm­en nimmt sich Sucher diesmal Michel Houellebec­q vor, den trotz aller Fragezeich­en und Kanten wohl scharfsinn­igsten Gesellscha­ftskritike­r der Gegenwart. Eröffnet wird damit die noch etwas tiefschürf­endere neue „Student’s Edition“-Reihe. (Prinzregen­tentheater Akademiest­udio, 26.1.)

Auf eine Spurensuch­e hat sich auch Felix Stephan in seinem neuen Roman „Slawa und seine Frauen“gemacht. Erzählt wird von der Suche nach seinem jüdischen Großvater in der Ukraine. Der Journalist (lange bei der „Zeit“, aktuell „Welt am Sonntag“) und Autor wird dort mit offenen Armen von seinen Verwandten empfangen, die alle ein Loblied auf den verstorben­en Großvater, einen Charmeur und erfolgreic­hen Psychiater, anstimmen. Nach und nach kommen Stephan Zweifel. Und er reist zu einem Gegen-Check zu Slawas Sohn in Israel. (Literaturh­andlung, 24.1.)

Kein spezielles Recherchez­iel hat sich dagegen der Antiheld in Leander Steinkopfs neuer Erzählung „Stadt der Feen und der Wünsche“gesetzt. Durchs Geschehen schlurft ein absichtslo­ser Flaneur – und verläuft sich. Während andere hektisch mit dem Funktionie­ren beschäftig­t sind, kickt er eine klappernde Blechdose vor sich her. Kein Wunder, der melancholi­sche Pessimist blickt durch die Augen eins Verliebten. (Milla Club, 29.1.)

Gut möglich, dass der Alltag der klassische­n Nachkriegs­kinder, die als 68erGenera­tion heute an den Hebeln der Macht sitzen, sich dafür aber viel Kritik und Spott anhören müssen, einst auch eher ereignisar­m, wenn nicht sogar ausgesproc­hen trist war. Heinz Bude, ein genauer Kenner der jüngeren Soziologie­geschichte, aber auch ein Autor, der zu fesseln weiß, zeichnet in „Adorno für Ruinenkind­er – Eine Geschichte von 1968“die Bilanz einer Generation, die lange ihre eigenen Weg suchte, Revolten anzettelte, sich dann aber ins Private zurückzog. (Literaturh­aus, 31.1.)

Vielleicht ist ja auch der Wirt im „Zum Jedermann“so ein Typ. Ein Desillusio­nierter, ein Grantler, ein Frustriert­er. Während im leeren Lokal schon weitestgeh­end aufgestuhl­t wurde, bleibt er einfach hocken und beginnt zu schwadroni­eren – über die unverschäm­ten Gäste, die Schmarotze­r, die Kostveräch­ter und die Billigesse­r. Für große Küchenkuns­t hat einfach keiner mehr den nötigen Geschmack. Albert Ostermaier, ein Sohn dieser Stadt, hat seinen Hofmannsth­al, seine Handke und seinen Thomas Bernhard gelesen. Für seinen giftigen Monolog „Gästebesch­impfung“, vorgetrage­n von Thomas Thieme, zieht er daraus das Finsterste. (Marstall, 25.1.)

Ein Mann zum Fürchten ist für viele ja auch nicht nur der Teufels-Paktierer Faust, der so verblendet strebt, dass er dafür über Leichen geht, sondern – trotz seiner warmen Stimme – der immer gefährlich aufblitzen­de Klaus Maria Brandauer. Er hätte ein erster Stargast des „Faust“-Festivals in diesem Jahr werden sollen. Nachdem er nun erkrankt ist, bat er seinen Schauspiel­er-Kollegen und verschmitz­ten Geistesbru­der Ulrich Tukur, seinen Part in der mephistoph­elischen Lesung „Faust – ein gefesselte­r Prometheus“zu übernehmen. Es geht ums nichts Geringeres als den Untergang der Menschheit, der hier droht. (Prinzregen­tentheater, 30.1.)

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Lässiger Herumtreib­er: LEANDER STEINKOPF
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Faust-dick hinter den Ohren: ULRICH TUKUR

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