Kann man in dieser Welt glücklich werden?
Überlebenskämpfe im sibirischen Gulag und in der Pariser Metro. Familienplanung in Zeiten des Klima-GAUs
Anfang März, wenn der Winter so langsam nervt, ist vermutlich die beste Zeit, sich in die lebensfeindliche, grausam kalte Welt im sibirischen Kolyma zu denken. Weit weg von Moskau, ist das eine vom Permafrost eisig im Griff gehaltene Region am Ende der Welt. Am Kältepol eben. Dort ist die Handlung der beklemmenden Gulag-Erzählung von Warlam Schalamow angesiedelt. Der einstige Dichter hatte es sich während der Stalin-Zeit mit den Mächtigen verspielt und wurde zu einem brutalen Schicksal zwischen Schwerstarbeit in Goldminen und Lagerbaracken, in Hunger, Schnee und immer näher am Tod als am Leben gezwungen. Nach seiner Entlassungen packte ihn die Schaffenswut. Aus seinem Gedächtnis schrieb er die „Erzählungen aus Kolyma“, einer Lagerhistorie, die zu einer der wichtigsten Chiffren des 20. Jahrhunderts werden sollte. Immer kreist Schalamow um die Frage: „An welcher letzten Grenze kommt das Menschliche abhanden?“. Und: „Wie davon erzählen?“. (Cuvilliéstheater, 3./6. und 25.3.)
Ein rohes Stück dürfte auch Shumona Sinhas Verhör Erschlagt die Armen! werden, das sich an ein berüchtigtes Prosagedicht von Charles Baudelaire aus dem Jahr 1865 anlehnt. Dort wird davon erzählt, wie ein Bettler geschlagen wird. In der Jetztzeit ist es eine junge Frau, die in Untersuchungshaft sitzt: Sie wurde verhaftet, weil sie am Vorabend in der Metro einem Migranten, der sie zuvor angesprochen hatte, eine Weinflasche auf dem Kopf zerschmettert hatte. Nun versucht sie sich zu erklären. Pikant: Die Frau war einige Jahre zuvor selbst als Einwanderin nach Paris gekommen. Mittlerweile arbeitet sie als Dolmetscherin in der Asylbehörde. (Marstall, 2./6. und 13.3.)
Düster auch die Ausgangslage in der Premiere von Das ferne Land nach Jean-Luc Lagarce. Im Zentrum steht der todkranke Louis, der weiß, dass er bald sterben wird. Also macht er sich nach vielen Jahren der Abwesenheit zusammen mit seinem besten Freund auf – zurück in seine Elternstadt in der tiefsten Provinz. Schnell muss er merken, dass die Zeit in seiner ehemaligen Heimat, der er einst so gerne entfloh, nicht mit derselben Geschwindigkeit weitergeflossen ist. Schlimmer noch: Seine verbliebene Familie kann sich immer noch nicht von der Vergangenheit lösen. Starker Tobak! (Volkstheater, ab 1.3.)
Untergangsprognosen und endzeitliche Vorstellungen sind so alt wie die Menschheit selbst: Apokalyptische Reiter, WeltuntergangsRomantik, Zombie-Dystopien. Sie alle thematisieren auch in Apocalypse (not now) den Niedergang eines Systems und stellen die Frage nach dem Ende der Geschichte oder dem Beginn einer neuen Weltordnung. Der Abend mit Studiengang Regie der Theaterakademie August Everding spielt mit Handlungsmöglichkeiten im Angesicht der Bedrohung. (Reaktorhalle, 28.2./1.3.)
Gut möglich, dass die Schrecken heutzutage auf der Oberfläche kleiner wirken. Ungemütlicher sind sie damit noch lange nicht. Ausgerechnet in der Ikea-Kassenschlange kommen einem jungen GroßstadtPaar schlimme Gedanken: Kann man in Zeiten der Klimakatastrophe, der Überbevölkerung und des Welthungers überhaupt noch guten Gewissens eine eigenes Kind in die Welt setzen? Ein neuer Erdenbürger, der einen größeren ökologischen Fußabdruck hinterlassen wird, als sich sieben Jahre lang tägliche Flugreisen nach New York aufsummieren? Atmen von Duncan Macmillan erzählt von einer emotionalen Achterbahnfahrt. (Metropoltheater, ab 27.2.)
Eine frühe Art von ÖkoTragödie spielt sich auch in Henrik Ibsens Ein Volksfeind ab. Badearzt Stockmann hat seinen Heimatort in eine prosperierende Kurstadt verwandelt. Doch dann entdeckt er, dass seine Wässerchen die Genesungswilligen vergiften. Krankheitserreger belasten nicht nur das Öko-System, sondern auch Stockmanns Gewissen. (Residenztheater, ab 24.2.)
So ganz leicht fällt es auch dem Fräulein Pollinger aus Ödon von Horváths erstem Roman nicht, die richtigen Entscheidungen zu fällen. Eben war sie noch arbeitslos, schon eröffnen sich ihr gleich mehrere, mehr oder weniger fragwürdige Optionen. Der Aktfotograf Kastner rät ihr, endlich „praktisch“zu denken. Ein Kunstmaler möchte sie als „Hetäre im Opiumrausch“verewigen. Und Sportskanone Harry lädt sie ein, in sein prächtiges Cabrio zu steigen. 36 Stunden bleiben, um die richtige Wahl zu treffen. (Teamtheater Tankstelle, ab 7.3.)
Ins Groteske schlägt auch die Handlung von Jean Genets hochpolitischer Verwechslungskomödie Der Balkon. Kein Wunder, spielt sie doch in einem Bordell. Dort geht man nicht nur seinen Triebbefriedigungen nach, sondern schlüpft auch in immer neue ungewohnte Rollen: Der Bürger wird über Nacht zum Bischof, zum Richter oder General. Der Polizeipräsident verkennt allerdings den Ernst der Lage. Auf den Straßen tobt der Aufstand. Er hält die Revolution für ein prickelndes Spiel. Gänzlich kompliziert wird es, als Chantal, eine ehemalige Hure, vom aufgebrachten Pöbel zur neuen Jean d’Arc erklärt wird. Auf dem Balkon zeigen sich die neuen Würdenträger. Und das Volk reagiert, wie zu befürchten war: Es folgt den Bildern, nicht den Ideen. Der Schein bestimmt das Bewusstsein. (Marstall, 22./27.2.)
Den Zweifel an der Welt da draußen trägt Die Konsistenz der Wirklichkeit bereits im Titel. Acht Schauspielstudenten kreieren auf der Bühne Momente, die sie so oder ähnlich bereits selbst erlebt haben. Und plötzlich verändert sich die Wahrnehmungskraft. (Akademiestudio, 1./3.3.)
Mit Bildern von der Welt, denen nicht mehr ganz zu trauen ist, und mit sich auflösenden Grenzen beschäftigt sich auch die Ballet of Difference-Truppe. On Body ist ihr dreiteiliger Abend mit Choreografien von Richard Siegal, die Contemporary Dance, klassische Ballett-Traditionen, Fashion-Show und Pop-Kultur in einander fließen lassen möchte. (Muffathalle, 3.3.)
Streetdance, Artistik und die klassischen neu-mittelalterlichen Kompositionen von Carl Orff lässt die Fusion-Produktion Dancin‘ Carmina aufeinanderprallen. Und das ziemlich ungebremst und ziemlich sensationell sehenswert. (Prinzregententheater, 27.2.)
Als „Italo-Pop Abenteuer“versteht sich das rasante Musical Azzurro, für das sich die jenseits der Alpen umjubelte Band I Dolci Signori ins Zeug legt. (Gasteig Carl-Orff-Saal, 1.3.)
Und mit dem kessen WesternMusical Loreen schießt in die Luft, das jungen Zuschauern ab sechs Jahren Spaß machen wird, starten die „Kindertheatertage“im Fraunhofer, die in diesem Jahr bereits ihr zehnjähriges Bestehen feiern. Eine Ausstellung im Theaterfoyer im Fraunhofer blickt dabei auf spannende Höhepunkte zurück. (Gastspiel im HochX, 4.3.)