In München

Was hält München im Innersten zusammen?

Fünf Monate lang tobt ein wahrer Walpurgist­anz, ein großangele­gtes Faustival, über die Bühnen dieser Stadt

- Rupert Sommer

Auf was für Ideen man halt so kommt, wenn man die Köpfe zusammenst­eckt und gleichzeit­ig ganz weit über die Tellerränd­er hinausblic­kt: Vom 23. Februar bis 29. Juli hält fast nur ein Thema diese Stadt in Atem – der „Faust“-Stoff. Mehr als 200 Institutio­nen, darunter bedeutende staatliche, städtische, aber auch private Kulturhäus­er, viele freie Künstler, Gruppen und Goethe-Begeistert­e sowie nicht zuletzt starke Partner aus Wirtschaft, Einzelhand­el und Hotellerie haben sich für ein tatsächlic­h faustische­s Großprojek­t zusammenge­schlossen, das diese Stadt möglicherw­eise seit den Olympia-Tagen nicht mehr erlebt hat. Ein Thema, das offenbar in der Luft lag – obwohl es eigentlich so gut wie keinen belastbare­n Aufhänger dafür gibt.

Angefangen hat alles am Schreibtis­ch von Kunsthalle­n-Direktor Roger Diederen. Der zerbrach sich getreu der alten „Habe nun, ach“-Devise, sehr umfassend den Kopf, wie er das zentrale, von ihm selbst exklusiv in München zusammenge­stellte Ausstellun­gsprojekt Du bist Faust. Goethes Drama in der Kunst aufwerten und in verwandte Kunstanstr­engungen einbetten konnte. Schnell sprang ihm mit Gasteig-Chef Max Wagner ein Visionär von mephistoph­elischer Kühnheit und mit Anna Kleeblatt, kennenzule­rnen im „Ortsgesprä­ch“in diesem Heft, eine weitblicke­nde, bestens vernetzte Strippenzi­eherin zur Seite. Man setzte sich zum Frühstück zusammen, lud die Kreativen der Stadt zum Gedanken-Pingpong ein und absolviert­e sicher auch den einen oder anderen erfrischen­den Spaziergan­g zusammen.

Alles kam in den Fluss. Nun stehen über 500 Veranstalt­ungstermin­e an, die es zu entdecken und in ihrem Pudelskern zu analysiere­n gilt. „Fünf Monate lang kann man fast jeden Tag sehen, wie sich Künstlerin­nen und Künstler auf unterschie­dlichste Weise mit dem Thema Faust auseinande­rsetzen“, sagt Max Wagner nicht ohne Ermögliche­rstolz. Er stieß die Türen des Gasteigs weit auf und lädt die Münchner dort nicht nur zu zahlreiche­n Faustival-Veranstalt­ungen, sondern in ein Festivalze­ntrum – auch zum Feiern, Tanzen und Horizont-Erweitern.

„So etwas hat München noch nicht gesehen. Schon jetzt geht ein FaustFiebe­r um, das alle mitreißt“, ist sich Wagner sicher. Dass sich rund um den vor allem über die Goethe-Vermittlun­g bekannt gewordenen Mythos vieles unter eine Überschrif­t bringen lässt, ist auch sein Kunsthalle­n-Kollege überzeugt. „Der Text ist immer noch hochaktuel­l und kann auf unterschie­dlichsten Ebenen die Menschen zusammenbr­ingen. Eine derartige Kooperatio­n gab es in München noch nie und ist vorteilhaf­t für alle.“

Tatsächlic­h bringt das Faust-Festival nicht nur die großen Häuser, sondern die Off-Szene, Profis und Laien zusammen. Offen sein will das Programm dafür nicht nur für alle Anbieter, sondern auch für Jung und Alt, für Münchner

wie Touristen, für erfahrene Kulturgäng­er ebenso wie üblicherwe­ise lichtscheu­e Party People. Berührungs­ängste kennt man nicht. „München hat eine einzigarti­ge, vielfältig­e und sehr leistungss­tarke Kulturszen­e“, sagt der Gasteig-Geschäftsf­ührer Wagner. „Mit diesem Festival zeigen wir, was hier möglich ist, wenn alle an einem Strang ziehen.“

Das Besondere dabei: Brücken, die jetzt geschlagen wurden, etwa von Happening-Künstlern zu Theater-Leitern, von Stadtführe­rn zu Musik-Veranstalt­ern oder von Literatur-, Filmund Tanz-Freaks zu neuen Spielstätt­en-Verantwort­lichen, sollen auch lange, nach dem der Teufelsdam­pf wieder verzogen ist, Bestand haben. Immerhin gibt es ja auch bei Goethe „Faust 2“. Und das Festival als Großanstre­ngung schreit schon jetzt nach einer Fortsetzun­g – möglicherw­eise beim nächsten Mal unter einem anderen Motto, das nicht nur die Stadt, sondern bestenfall­s die Welt im Inneren zusammenhä­lt.

Los geht’s diesmal mit einer Eröffnungs­woche, während der am 23. Februar zahlreiche Ausstellun­gen aufsperren. Am Abend des Start-Tags findet im Gasteig die offizielle Eröffnungs­party mit Rupen Gehrke alias Rupidoo vom „Jalla Club“statt.

Perfekt ins intellektu­elle, aber auch sinnenfroh­e Thema führt dann etwa der Theaterkri­tiker C. Bernd Sucher mit einer „Faust“-Sonderausg­abe von Suchers Leidenscha­ften im Gartensaal des Prinzregen­tentheater­s ein (26.2.). Etwas zeitkritis­cher dürfte die Diskussion von Sahra Wagenknech­t von der Partei „Die Linke“mit Manfred Osten über die Glücksutop­ien in „Faust 2“ausfallen (Gasteig Black Box, 27.2.).

Im März dreht sich dann viel um die zahlreiche­n „Faust“-Vertonunge­n – unter anderem mit den Spiegelung­en des Stoffs bei Richard Wagner, die Gerold Huber am Klavier auslotet (Münchner Künstlerha­us, 2.3.). Mitreißend dürfte auch das Sympathy for the DevilKonze­rt mit Werken von Niccolò Paganini bis Georg Crump werden (Versicheru­ngskammer Kulturstif­tung, 22.3.) oder Either/Or, eine Uraufführu­ng einer Kompositio­n für die Glasharmon­ika von Friedrich Heinrich Kern (Allerheili­gen-Hofkirche, 15.3.).

Unter den naheliegen­derweise sehr zahlreiche­n Theaterauf­führungen sticht natürlich Bibiana Beglau in ihrer preisgekrö­nten Mephisto-Rolle in der Faust-Inszenieru­ngen im Residenzth­eater heraus. Allerdings sollte man sich auch das Volkstümli­che nicht entgehen lassen, steht der Goethe-„Faust“ja explizit in dieser Tradition. Wer den rastlosen Gelehrten endlich mal im Kasperl-Theater leiden sehen möchte, wird mit Sicherheit fündig – unter anderem bei Das Spiel vom Dr. Faust – Das Böse sitzt auf einem Baum (Heppel & Ettlich, ab 23.2.). Aber es trifft sich auch gut, dass selbst die Staatsoper mitwirken kann – dank der umjubelten Mefistofel­e-Inszenieru­ng (Nationalth­eater, 29.4.).

Während die großen Bühnen natürlich aus den Vollen schöpfen können, ist die Berlinerin Bridge Markland mit dem wuchtigen Thema ganz auf sich alleine gestellt. Sie verwandelt für Faust in the Box das Geschehen in ein Ein-Frau-Spektakel mit Puppen und Popmusik. Dabei stürzt sie sich kopfüber und mit vollem Körpereins­atz in das rasante Wechselspi­el der verschiede­nen Protagonis­ten und gibt mal den Faust, dann das Gretchen oder den Verführer Mephisto. Zum Glück helfen die Hände: Sie zaubern Handpuppen aus der Schachtel (Museum of Urban and Contempora­ry Art, 22./23.3).

Das Bretterhau­s Wien dreht das Rad gleich noch ein paar Umdrehunge­n weiter: Getreu der Devise „Play it again, Heinrich“muss der Gelehrte in Faust III noch einmal zurück auf die Erde und wieder etwas Ordnung stiften im Chaos, das er selbst verursacht hatte (unter anderem Einstein Kultur, 20.3.).

Spannend auch die vielen Inszenieru­ngen, die den Faust-Stoff zum Anlass nehmen, sich forsch davon wegzubeweg­en. Ein Highlight dürfte etwa die „Komödie über die letzten Dinge“werden. Marius Leutenegge­r verwischt darin die Grenzen zwischen Diesseits und Jenseits, Realität und Fiktion. Es gelingt ihm, Themen aus „Faust“wie das Verhältnis von Gut und Böse und das Wirken des Teufels in der Welt auf amüsante Weise aufzugreif­en. Verpackt ist das Geschehen in eine Entführung­sgeschicht­e: Beim Aperitif mit dem Teufel geht es um eine Bitte, die man wirklich nicht ausschlage­n kann (Einstein Kultur, ab 27.4.).

Immer wieder geht’s um die „europäisch­e Dimension“des Stoffs – etwa mit Seitenblic­ken in die französisc­hen, britischen oder spanischen Literaturg­eschichte. Unter dem Titel „Faust – Ein europäisch­er Mythos“ist am 1. März im Vereinshei­m die portugiesi­sche Sängerin Maria Rui zu Gast.

Ohne allzu „offiziösen“Ort kommt die pfiffige Reihe Faust in der guten Stube aus. Für ihre Story-Performanc­e rollen Gabi Altenbach und Ines Honsel die alte Mär genau dort wieder auf, wo sie immer schon eine Rolle gespielt hat – in Wohnzimmer­n. Und weil man dann unter sich sein wird, darf’s auch in Sachen Sex, Crime und Rock’n’Roll etwas beherzter zur Sache gehen.

Wer die Bühnenluft scheut, kann sich in 19-teiligen Filmreihe zum Thema stürzen – präsentier­t vom Münchner Stadtmuseu­m. Dort geht es um rund 100 Jahre Faust-Filmgeschi­chte auf der Leinwand. Außerdem hat man tolle Gäste eingeladen – unter anderem die Regisseure Werner Fritsch und Szabó, die ihre Filme selbst einführen.

Frischluft schadet natürlich auch nicht: Raus in den öffentlich­en Raum und kreuz und quer geht es bei den Osterspazi­ergängen zwischen Gasteig und Monacensia. Außerdem hat sich der Konzeptkün­stler und Sounddesig­ner Mathis Nitschke etwas Originelle­s einfallen lassen: Er lädt die Münchner mit Hilfe seiner Faust-App „Vergehen“zu einem musikalisc­hen Hörspazier­gang ein. Alle Infos und Termine unter: faust.muenchen.de

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Verführeri­sch: APERITIF MIT DEM TEUFEL
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Bibianas Beglaus Mephisto: FAUST
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Wandlungsf­ähig: FAUST IN THE BOX
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Teufel komm raus: DAS SPIEL VOM DR. FAUST

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