Was hält München im Innersten zusammen?
Fünf Monate lang tobt ein wahrer Walpurgistanz, ein großangelegtes Faustival, über die Bühnen dieser Stadt
Auf was für Ideen man halt so kommt, wenn man die Köpfe zusammensteckt und gleichzeitig ganz weit über die Tellerränder hinausblickt: Vom 23. Februar bis 29. Juli hält fast nur ein Thema diese Stadt in Atem – der „Faust“-Stoff. Mehr als 200 Institutionen, darunter bedeutende staatliche, städtische, aber auch private Kulturhäuser, viele freie Künstler, Gruppen und Goethe-Begeisterte sowie nicht zuletzt starke Partner aus Wirtschaft, Einzelhandel und Hotellerie haben sich für ein tatsächlich faustisches Großprojekt zusammengeschlossen, das diese Stadt möglicherweise seit den Olympia-Tagen nicht mehr erlebt hat. Ein Thema, das offenbar in der Luft lag – obwohl es eigentlich so gut wie keinen belastbaren Aufhänger dafür gibt.
Angefangen hat alles am Schreibtisch von Kunsthallen-Direktor Roger Diederen. Der zerbrach sich getreu der alten „Habe nun, ach“-Devise, sehr umfassend den Kopf, wie er das zentrale, von ihm selbst exklusiv in München zusammengestellte Ausstellungsprojekt Du bist Faust. Goethes Drama in der Kunst aufwerten und in verwandte Kunstanstrengungen einbetten konnte. Schnell sprang ihm mit Gasteig-Chef Max Wagner ein Visionär von mephistophelischer Kühnheit und mit Anna Kleeblatt, kennenzulernen im „Ortsgespräch“in diesem Heft, eine weitblickende, bestens vernetzte Strippenzieherin zur Seite. Man setzte sich zum Frühstück zusammen, lud die Kreativen der Stadt zum Gedanken-Pingpong ein und absolvierte sicher auch den einen oder anderen erfrischenden Spaziergang zusammen.
Alles kam in den Fluss. Nun stehen über 500 Veranstaltungstermine an, die es zu entdecken und in ihrem Pudelskern zu analysieren gilt. „Fünf Monate lang kann man fast jeden Tag sehen, wie sich Künstlerinnen und Künstler auf unterschiedlichste Weise mit dem Thema Faust auseinandersetzen“, sagt Max Wagner nicht ohne Ermöglicherstolz. Er stieß die Türen des Gasteigs weit auf und lädt die Münchner dort nicht nur zu zahlreichen Faustival-Veranstaltungen, sondern in ein Festivalzentrum – auch zum Feiern, Tanzen und Horizont-Erweitern.
„So etwas hat München noch nicht gesehen. Schon jetzt geht ein FaustFieber um, das alle mitreißt“, ist sich Wagner sicher. Dass sich rund um den vor allem über die Goethe-Vermittlung bekannt gewordenen Mythos vieles unter eine Überschrift bringen lässt, ist auch sein Kunsthallen-Kollege überzeugt. „Der Text ist immer noch hochaktuell und kann auf unterschiedlichsten Ebenen die Menschen zusammenbringen. Eine derartige Kooperation gab es in München noch nie und ist vorteilhaft für alle.“
Tatsächlich bringt das Faust-Festival nicht nur die großen Häuser, sondern die Off-Szene, Profis und Laien zusammen. Offen sein will das Programm dafür nicht nur für alle Anbieter, sondern auch für Jung und Alt, für Münchner
wie Touristen, für erfahrene Kulturgänger ebenso wie üblicherweise lichtscheue Party People. Berührungsängste kennt man nicht. „München hat eine einzigartige, vielfältige und sehr leistungsstarke Kulturszene“, sagt der Gasteig-Geschäftsführer Wagner. „Mit diesem Festival zeigen wir, was hier möglich ist, wenn alle an einem Strang ziehen.“
Das Besondere dabei: Brücken, die jetzt geschlagen wurden, etwa von Happening-Künstlern zu Theater-Leitern, von Stadtführern zu Musik-Veranstaltern oder von Literatur-, Filmund Tanz-Freaks zu neuen Spielstätten-Verantwortlichen, sollen auch lange, nach dem der Teufelsdampf wieder verzogen ist, Bestand haben. Immerhin gibt es ja auch bei Goethe „Faust 2“. Und das Festival als Großanstrengung schreit schon jetzt nach einer Fortsetzung – möglicherweise beim nächsten Mal unter einem anderen Motto, das nicht nur die Stadt, sondern bestenfalls die Welt im Inneren zusammenhält.
Los geht’s diesmal mit einer Eröffnungswoche, während der am 23. Februar zahlreiche Ausstellungen aufsperren. Am Abend des Start-Tags findet im Gasteig die offizielle Eröffnungsparty mit Rupen Gehrke alias Rupidoo vom „Jalla Club“statt.
Perfekt ins intellektuelle, aber auch sinnenfrohe Thema führt dann etwa der Theaterkritiker C. Bernd Sucher mit einer „Faust“-Sonderausgabe von Suchers Leidenschaften im Gartensaal des Prinzregententheaters ein (26.2.). Etwas zeitkritischer dürfte die Diskussion von Sahra Wagenknecht von der Partei „Die Linke“mit Manfred Osten über die Glücksutopien in „Faust 2“ausfallen (Gasteig Black Box, 27.2.).
Im März dreht sich dann viel um die zahlreichen „Faust“-Vertonungen – unter anderem mit den Spiegelungen des Stoffs bei Richard Wagner, die Gerold Huber am Klavier auslotet (Münchner Künstlerhaus, 2.3.). Mitreißend dürfte auch das Sympathy for the DevilKonzert mit Werken von Niccolò Paganini bis Georg Crump werden (Versicherungskammer Kulturstiftung, 22.3.) oder Either/Or, eine Uraufführung einer Komposition für die Glasharmonika von Friedrich Heinrich Kern (Allerheiligen-Hofkirche, 15.3.).
Unter den naheliegenderweise sehr zahlreichen Theateraufführungen sticht natürlich Bibiana Beglau in ihrer preisgekrönten Mephisto-Rolle in der Faust-Inszenierungen im Residenztheater heraus. Allerdings sollte man sich auch das Volkstümliche nicht entgehen lassen, steht der Goethe-„Faust“ja explizit in dieser Tradition. Wer den rastlosen Gelehrten endlich mal im Kasperl-Theater leiden sehen möchte, wird mit Sicherheit fündig – unter anderem bei Das Spiel vom Dr. Faust – Das Böse sitzt auf einem Baum (Heppel & Ettlich, ab 23.2.). Aber es trifft sich auch gut, dass selbst die Staatsoper mitwirken kann – dank der umjubelten Mefistofele-Inszenierung (Nationaltheater, 29.4.).
Während die großen Bühnen natürlich aus den Vollen schöpfen können, ist die Berlinerin Bridge Markland mit dem wuchtigen Thema ganz auf sich alleine gestellt. Sie verwandelt für Faust in the Box das Geschehen in ein Ein-Frau-Spektakel mit Puppen und Popmusik. Dabei stürzt sie sich kopfüber und mit vollem Körpereinsatz in das rasante Wechselspiel der verschiedenen Protagonisten und gibt mal den Faust, dann das Gretchen oder den Verführer Mephisto. Zum Glück helfen die Hände: Sie zaubern Handpuppen aus der Schachtel (Museum of Urban and Contemporary Art, 22./23.3).
Das Bretterhaus Wien dreht das Rad gleich noch ein paar Umdrehungen weiter: Getreu der Devise „Play it again, Heinrich“muss der Gelehrte in Faust III noch einmal zurück auf die Erde und wieder etwas Ordnung stiften im Chaos, das er selbst verursacht hatte (unter anderem Einstein Kultur, 20.3.).
Spannend auch die vielen Inszenierungen, die den Faust-Stoff zum Anlass nehmen, sich forsch davon wegzubewegen. Ein Highlight dürfte etwa die „Komödie über die letzten Dinge“werden. Marius Leutenegger verwischt darin die Grenzen zwischen Diesseits und Jenseits, Realität und Fiktion. Es gelingt ihm, Themen aus „Faust“wie das Verhältnis von Gut und Böse und das Wirken des Teufels in der Welt auf amüsante Weise aufzugreifen. Verpackt ist das Geschehen in eine Entführungsgeschichte: Beim Aperitif mit dem Teufel geht es um eine Bitte, die man wirklich nicht ausschlagen kann (Einstein Kultur, ab 27.4.).
Immer wieder geht’s um die „europäische Dimension“des Stoffs – etwa mit Seitenblicken in die französischen, britischen oder spanischen Literaturgeschichte. Unter dem Titel „Faust – Ein europäischer Mythos“ist am 1. März im Vereinsheim die portugiesische Sängerin Maria Rui zu Gast.
Ohne allzu „offiziösen“Ort kommt die pfiffige Reihe Faust in der guten Stube aus. Für ihre Story-Performance rollen Gabi Altenbach und Ines Honsel die alte Mär genau dort wieder auf, wo sie immer schon eine Rolle gespielt hat – in Wohnzimmern. Und weil man dann unter sich sein wird, darf’s auch in Sachen Sex, Crime und Rock’n’Roll etwas beherzter zur Sache gehen.
Wer die Bühnenluft scheut, kann sich in 19-teiligen Filmreihe zum Thema stürzen – präsentiert vom Münchner Stadtmuseum. Dort geht es um rund 100 Jahre Faust-Filmgeschichte auf der Leinwand. Außerdem hat man tolle Gäste eingeladen – unter anderem die Regisseure Werner Fritsch und Szabó, die ihre Filme selbst einführen.
Frischluft schadet natürlich auch nicht: Raus in den öffentlichen Raum und kreuz und quer geht es bei den Osterspaziergängen zwischen Gasteig und Monacensia. Außerdem hat sich der Konzeptkünstler und Sounddesigner Mathis Nitschke etwas Originelles einfallen lassen: Er lädt die Münchner mit Hilfe seiner Faust-App „Vergehen“zu einem musikalischen Hörspaziergang ein. Alle Infos und Termine unter: faust.muenchen.de