Jugend Kunst forscht
Zellen züchten für die Kunst: Thomas Feuerstein verwandelt die Eres-Stiftung in ein Labor
Der Kabelsalat in der Mitte des Raums ist beeindruckend. Wobei es eigentlich gar kein Salat ist, sondern vier säuberlich aufgerollte schwarze Kringel, die friedlich nebeneinanderliegen und dem Ausstellungsraum der Eres-Stiftung gleich mal einen sehr geschäftigprofessionellen Work-in-Progress-Charakter geben. Hier passiert was, das ist klar, sonst bräuchte man ja nicht all diese Kabel. Und tatsächlich, die Ausstellung „Prometheus Delivered“lebt. Und schafft Leben. Mitten im Raum steht die Kopie einer Marmorskulptur des französischen Bildhauers NicolasSébastien Adam, die Mitte des 18. Jahrhunderts entstand und heute im Louvre besucht werden kann. Adam hat dem grausam leidenden Prometheus ein dramatisches Denkmal gesetzt. Angekettet an einen massiven Felsblock irgendwo im Kaukasus besucht ihn ein Adler und frisst von seiner Leber. Täglich, denn sie erneuert sich immer wieder. Aua. Der Titan schreit stumm seinen Schmerz in den Himmel, sein Körper windet sich schmerzverzerrt in den Fesseln. So eine Bestrafung können sich nur die Götter ausgedacht haben, genauer: Zeus. Der war sauer, weil Prometheus es gewagt hatte, ein eigenes Geschlecht – den Menschen – zu schaffen. Was ihn dann aber so richtig in Rage brachte, war Prometheus’ frecher Raub des göttlichen Feuers vom Olymp, um es den Menschen zu bringen – entgegen das ausdrückliche Verbot des Göttervaters. Ein Ungehorsamer war Prometheus, ein Abtrünniger, der sich über bestehende Strukturen hinweg gesetzt und so Veränderung und Entwicklung ermöglicht hat. Das Geschenk des Feuers wurde vor allem in der Epoche der Aufklärung als der zivilisatorische Funke gedeutet, der uns befähigte, als (mehr oder weniger) frei denkende Wesen zu leben. Eine Menge Künstler, Dichter und Denker beschäftigten sich im 17. und 18. Jahrhundert mit dem Mythos. So gesehen greift Thomas Feuerstein (geb. 1968) eine künstlerische Tradition auf und transferiert sie in die Gegenwart. Im Mittelpunkt der Ausstellung steht eine prozessuale Skulptur, die sich über mehrere Räume zieht und Stein in Fleisch verwandelt. Ja, das geht wirklich und funktioniert so: Ausgangspunkt raumübergreifenden Installation ist der marmorne Prometheus, der von steinfressenden Bakterien zu Gips verstoffwechselt wird. In einer weiteren Transformation werden diese Bakterien dann selbst zur Nahrung menschlicher Leberzellen. Endstation und biochemisches Ergebnis ist ein Bioreaktor, in dem menschliche Hepatozyten heranwachsen, die eine dreidimensionale Leberskulptur bilden. Spätestens jetzt wird klar, dass es sich nicht um Kabel, sondern um Schläuche handelt, durch die Gips, Wasser und Bakterien von einer Skulptur zur nächsten wandern. Klingt ein bisschen nach Frankenstein? Soll es auch. Aber die andere Hälfte basiert tatsächlich auf wissenschaftlichen Fakten. Nehmen wir zum Beispiel die chemolithoautotrophen Bakterien. Sie kommen ohne Licht und ohne Wasser aus und brauchen keine Nährstoffe wie Zucker oder Aminosäuren. Sie betreiben Chemosynthese, das heißt, sie gewinnen Energie aus anorganischen Stoffen wie Schwefelverbindungen. Auch Organoide gibt es. Die winzigen, im Labor gezüchteten, Organe sind zwar noch lange nicht transplantationsfähig, gehören aber schon lange zum Forschungsalltag. Kunst und Wissenschaft verbinden sich zu einer blubbernden Dekonstruktion des Prometheus-Mythos. Eine wunderbar magische Mischung aus naturwissenschaftlichen Fakten, Science-Fiction und Splatter.
Nächster und letzter Vortrag zur Ausstellung am Mittwoch, 28. Februar um 19 Uhr. Professor Thomas Seppi aus dem Institut für Strahlentherapie und Radioonkologie der Medizinischen Universität Innsbruck hält einen Vortrag zum Thema „Leben aus dem Labor?“. Anschließend gibt es eine Podiumsdiskussion mit dem Künstler Thomas Feuerstein.