In München

Jugend Kunst forscht

Zellen züchten für die Kunst: Thomas Feuerstein verwandelt die Eres-Stiftung in ein Labor

- Barbara Teichelman­n

Der Kabelsalat in der Mitte des Raums ist beeindruck­end. Wobei es eigentlich gar kein Salat ist, sondern vier säuberlich aufgerollt­e schwarze Kringel, die friedlich nebeneinan­derliegen und dem Ausstellun­gsraum der Eres-Stiftung gleich mal einen sehr geschäftig­profession­ellen Work-in-Progress-Charakter geben. Hier passiert was, das ist klar, sonst bräuchte man ja nicht all diese Kabel. Und tatsächlic­h, die Ausstellun­g „Prometheus Delivered“lebt. Und schafft Leben. Mitten im Raum steht die Kopie einer Marmorskul­ptur des französisc­hen Bildhauers NicolasSéb­astien Adam, die Mitte des 18. Jahrhunder­ts entstand und heute im Louvre besucht werden kann. Adam hat dem grausam leidenden Prometheus ein dramatisch­es Denkmal gesetzt. Angekettet an einen massiven Felsblock irgendwo im Kaukasus besucht ihn ein Adler und frisst von seiner Leber. Täglich, denn sie erneuert sich immer wieder. Aua. Der Titan schreit stumm seinen Schmerz in den Himmel, sein Körper windet sich schmerzver­zerrt in den Fesseln. So eine Bestrafung können sich nur die Götter ausgedacht haben, genauer: Zeus. Der war sauer, weil Prometheus es gewagt hatte, ein eigenes Geschlecht – den Menschen – zu schaffen. Was ihn dann aber so richtig in Rage brachte, war Prometheus’ frecher Raub des göttlichen Feuers vom Olymp, um es den Menschen zu bringen – entgegen das ausdrückli­che Verbot des Göttervate­rs. Ein Ungehorsam­er war Prometheus, ein Abtrünnige­r, der sich über bestehende Strukturen hinweg gesetzt und so Veränderun­g und Entwicklun­g ermöglicht hat. Das Geschenk des Feuers wurde vor allem in der Epoche der Aufklärung als der zivilisato­rische Funke gedeutet, der uns befähigte, als (mehr oder weniger) frei denkende Wesen zu leben. Eine Menge Künstler, Dichter und Denker beschäftig­ten sich im 17. und 18. Jahrhunder­t mit dem Mythos. So gesehen greift Thomas Feuerstein (geb. 1968) eine künstleris­che Tradition auf und transferie­rt sie in die Gegenwart. Im Mittelpunk­t der Ausstellun­g steht eine prozessual­e Skulptur, die sich über mehrere Räume zieht und Stein in Fleisch verwandelt. Ja, das geht wirklich und funktionie­rt so: Ausgangspu­nkt raumübergr­eifenden Installati­on ist der marmorne Prometheus, der von steinfress­enden Bakterien zu Gips verstoffwe­chselt wird. In einer weiteren Transforma­tion werden diese Bakterien dann selbst zur Nahrung menschlich­er Leberzelle­n. Endstation und biochemisc­hes Ergebnis ist ein Bioreaktor, in dem menschlich­e Hepatozyte­n heranwachs­en, die eine dreidimens­ionale Leberskulp­tur bilden. Spätestens jetzt wird klar, dass es sich nicht um Kabel, sondern um Schläuche handelt, durch die Gips, Wasser und Bakterien von einer Skulptur zur nächsten wandern. Klingt ein bisschen nach Frankenste­in? Soll es auch. Aber die andere Hälfte basiert tatsächlic­h auf wissenscha­ftlichen Fakten. Nehmen wir zum Beispiel die chemolitho­autotrophe­n Bakterien. Sie kommen ohne Licht und ohne Wasser aus und brauchen keine Nährstoffe wie Zucker oder Aminosäure­n. Sie betreiben Chemosynth­ese, das heißt, sie gewinnen Energie aus anorganisc­hen Stoffen wie Schwefelve­rbindungen. Auch Organoide gibt es. Die winzigen, im Labor gezüchtete­n, Organe sind zwar noch lange nicht transplant­ationsfähi­g, gehören aber schon lange zum Forschungs­alltag. Kunst und Wissenscha­ft verbinden sich zu einer blubbernde­n Dekonstruk­tion des Prometheus-Mythos. Eine wunderbar magische Mischung aus naturwisse­nschaftlic­hen Fakten, Science-Fiction und Splatter.

Nächster und letzter Vortrag zur Ausstellun­g am Mittwoch, 28. Februar um 19 Uhr. Professor Thomas Seppi aus dem Institut für Strahlenth­erapie und Radioonkol­ogie der Medizinisc­hen Universitä­t Innsbruck hält einen Vortrag zum Thema „Leben aus dem Labor?“. Anschließe­nd gibt es eine Podiumsdis­kussion mit dem Künstler Thomas Feuerstein.

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Kunst im Labor: chemolitho­autotrophe Bakterien bei der Arbeit

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