In München

ORTSGESPRÄ­CH

- Rupert Sommer

mit Anna Kleeblatt

Sie ist eine der umtriebigs­ten, gleichzeit­ig charmantes­ten Strippenzi­eherinnen dieser Stadt: Eine temperamen­tvolle Frau, selbst aufgewachs­en im Theater ihrer Eltern, die etwas bewegt in München. Anna Kleeblatt berät nicht nur seit Jahren große Institutio­nen wie die Staatsoper oder die Tourismus Initiative München. Zusammen mit dem Kunsthalle-Chef Roger Diederen und Gasteig-Geschäftsf­ührer Max Wagner hat Kleeblatt die Kreativen dieser Stadt für das ambitionie­rte „Faust-Festival“zusammenge­trommelt. Heraus gekommen sind über 500 Veranstalt­ungen – vom klassische­n Theater, über Ausstellun­gen bis hin zur Walpurgisn­acht im Gasteig und zur Harry-Klein-Tanznacht in der Kunsthalle.

Frau Kleeblatt, wie viele Eselsohren hat denn Ihre „Faust“-Reclam-Ausgabe und wie viele sind in den letzten Wochen noch dazugekomm­en?

Schon recht viele. Ich muss gestehen, dass ich viele Szenen noch mal nachlesen musste. Außerdem hat die ReclamAusg­abe schon deswegen viele Eselsohren, weil ich viel unterwegs bin. Natürlich knickt das Büchlein in der Tasche immer wieder. Aber das ist ja auch das Praktische an so einem Heftchen. Man kann es halt immer und überall dabei haben.

Gut möglich, dass der eine oder andere, den Sie als möglichen FestivalGa­st im Blick haben, ja leicht traumatisc­he Schul-Erinnerung­en hat. Wie kann Ihr Fest dagegen anhalten?

Ich glaube, das Festival muss vor allem begeistern. Es war von Anfang an unser Ziel, dass wir auf das Thema Faust Lust machen. Viele sagen sich vielleicht: Stimmt, lange her, dass ich ihn in der Schule lesen musste. Aber es muss ja einen Grund geben, dass sich die Menschen über hunderte von Jahren hinweg immer wieder mit diesem Stoff befassen. Wir kennen natürlich den Goethe-„Faust“. Aber es gibt ja noch viel mehr Fassungen des Stoffs. Wir wollen die Leute einfach einladen, sich mal wieder damit auseinande­rzusetzen. Man muss den „Faust“deswegen nicht gleich lesen.

Ihr eigentlich­er Ausgangspu­nkt ist ja doch ungewöhnli­ch – mit der FaustAusst­ellung in der Kunsthalle. Zunächst würde man ja vielleicht eher an ein Theaterfes­tival denken.

Roger Diederen, der Direktor der Kunsthalle, merkte rasch in der Auseinande­rsetzung mit der Faust-Ausstellun­g, die er mit seinem Team ja nur exklusiv für die Kunsthalle in München entwickelt hat, dass es so viel rund um das Thema zu zeigen gibt. Schnell stand für ihn fest, dass er allein das alles gar nicht unterkrieg­en würde. Darauf hin hatten wir ursprüngli­ch einmal rund 100 andere Kulturpart­ner zu einem Frühstück eingeladen. Motto damals: Wir kümmern uns um Faust. Habt Ihr vielleicht Lust, auch etwas zu dem Thema zu machen?

Ungewöhnli­cher Ansatz. Man denkt ja manchmal, dass die Herren oder Damen der großen Kultureinr­ichtungen ihre Häuser als abgeschlos­sene eigene Fürstentüm­er sehen und gar nicht so gern nach links und rechts schauen.

Bei uns ist das anders. Und das zeichnet sicherlich das Faust-Festival-Team aus, bei dem neben Roger Diederen auch Max Wagner als Geschäftsf­ührer des Gasteigs mit dabei ist. Er war einer der ersten, der für die Idee brannte und der gleich die Vision eines Festivals gesehen hatte. Wir machen etwas Übergreife­ndes. Wir setzen uns ein gemeinsame­s Ziel und verfolgen eine Vision, mit der wir eigentlich alle Institutio­nen in der Stadt anstecken wollten. Und so kam es dann auch.

Klingt gut.

Max Wagner hat immer wieder gesagt, dass die Zeit einfach reif ist. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, die einzelnen Fürstentüm­er zu verlassen und Dinge gemeinsam zu stemmen. Das liegt vielleicht auch ein wenig an der „Jugend“der beiden Herren. In vielen Institutio- nen sitzt mittlerwei­le eine Generation, die fest davon überzeugt ist, dass man gemeinsam mehr erreichen kann.

Trotzdem war zu hören, dass beide fast ein wenig überrascht wirkten, wie viele offene Türen sie mit ihren FaustIdeen in der Stadt einrannten.

Auf dem ersten Frühstück, als dann auch ich zum Team dazu stieß, gab es schon einige Partner, die sich Projekte für ein mögliches Festival vorstellen konnten. Aber als wir wenig später ein richtiges Konzept entwickelt­en, war unser Leitbegrif­f: Ein Drama, eine Stadt, 100 Events. Damals dachten wir noch, dass die Zahl vielleicht ein wenig hoch gegriffen wäre. Von der Begeisteru­ng der Bewegung, die wir in Gang gesetzt hatten, wurden wir danach immer wieder überrascht. Mittlerwei­le haben wir mehr als 500 Veranstalt­ungen.

Hut ab. Da haben Sie sich aber schon auch was aufgehalst.

(lacht) Stimmt.

Das An-einem-Strang-Ziehen lag möglicherw­eise tatsächlic­h in der Luft. Aber in wie weit war die Zeit ausgerechn­et für Faust wieder reif? Ich denke schon. Verführung – im Guten wie im Schlechten – ist ein Thema, das immer präsent ist dieser Tage. Es geht uns aber auch um den Faust als Suchenden, als Getriebene­n. Oder vielleicht passt auch „der gehetzte Mensch“Faust in unsere Zeit. Diese Themen haben nach wie vor Gültigkeit. Ein Faust-Festival liegt möglicherw­eise nicht zwingend auf der Hand. Es gibt kein rundes Jubiläum. Und wir wissen auch aus Berichten, dass Goethe, als er einmal für ein oder zwei Tage in München war, sich nicht besonders wohl fühlte. Das Wetter war schlecht, das Essen hatte ihm nicht geschmeckt. Aber er blieb der Stadt auch nach diesem eher eingetrübt­en Aufenthalt immer verbunden, das erfährt man aus seinen Briefwechs­eln. Sie haben Recht, einen äußeren Anlass gibt es nicht. Es geht uns eher darum, die kulturelle Vielfalt unserer Stadt mal so richtig zum Strahlen zu bringen.

Obwohl natürlich auch Münchner gerne Osterspazi­ergänge machen. Und ab und an wilde Feste feiern, fast so ausgelasse­n wie in der „Faust“-Walpurgisn­acht.

Sehen Sie! Es soll ein Festival werden, das für alle da ist – für die Münchner in erster Linie, aber natürlich auch für alle Gäste, die bei uns in der Stadt sind und die eine oder andere Veranstalt­ung vom Faust-Festival mitnehmen wollen.

Wie groß war ihre Sorge, dass Ihnen zunächst lauter Theatergru­ppen die Vorschlagl­isten füllen – und Sie vor der Qual der Wahl stünden?

Wir haben von Anfang an gesagt, dass uns jeder willkommen ist. Wir wollen neben den staatliche­n und städtische­n Institutio­nen auch freie Künstlergr­uppen und Einzel-Künstler dabei haben. Je wilder, desto besser! Es ging erstaunlic­h schnell, bis dann auch ziemlich verrückte Ideen auf meinem Tisch landeten.

Bis hin zum Faust-Boxkampf, oder?

Die Veranstalt­er vom Boxwerk waren mit die ersten, die auf uns zukamen. Faust – interessie­rt uns, war ihr Tenor. Das war vielleicht der allererste Moment, an dem wir uns Gedanken machen mussten, wie all das zusammen passen könnte. Mittlerwei­le sind wir uns sicher: Ohne das Boxwerk könnte das Faust-Festival gar nicht stattfinde­n. Sie sind einer von so vielen großartige­n Partnern, die für uns außergewöh­nliche Formate entwickelt haben.

Eingangshü­rden, mit denen man sich für das Festival qualifizie­ren müsste, haben Sie bei Ihrem offenen Bewerberau­fruf nicht aufgestell­t?

Ganz im Gegenteil. Es gab keine Jury für die Beurteilun­g von Vorschläge­n. Es galt immer das Prinzip, das uns jeder willkommen ist. Vor allem im ersten Halbjahr 2017 sahen wir uns vor allem in der Rolle eines Ermögliche­rs und eines Plattform-Partners. Wir wollen Menschen, Künstler und Institutio­nen zusammenbr­ingen. Ein wesentlich­er Teil war unsere Suche-Biete-Plattform. Dort konnte sich jeder melden, der etwas Bestimmtes für sein Faust-Projekt benötigte. Gleichzeit­ig konnte er sich selbst als Anbieter präsentier­en. So kamen auch Leute dazu, die von sich behauptete­n, dass sie gar nicht so künstleris­ch begabt wären – aber ein Hotelraum oder einen Seminar-Gebäude für Aufführung­en zur Verfügung stellen konnten. Wir konnten viele Partner zusammenbr­ingen, die zuvor noch nie miteinande­r gearbeitet hatten.

Münchner Bands, Theatergru­ppen, freie Künstler dürften die Ohren spitzen: Nach Räumen giert ja jeder in dieser teuren Stadt. Na klar. Für uns wäre das Größte, wenn wir über das Festival Verbindung­en schaffen können, die darüber hinaus tragen können. Schönes Beispiel: Cor-

nelia Hamanns, eine Künstlerin vom Tegernsee, die Bronzeskul­pturen macht, hat über unsere Plattform das Münchner Künstlerha­us und das Hotel Bayerische­r Hof kennengele­rnt. Beide werden während der Festivalze­it Werke von ihr ausstellen. Das könnte der Beginn einer wunderbare­n Freundscha­ft werden, die vielleicht für diese Partner besonders lange dauert. Ähnlich erging’s Kasperls Spuikastl: Die Gruppe wird bei verschiede­nen Münchner Institutio­nen mit einer speziellen Kasperle-Variante zum Doktor Faust auftreten.

Gab’s in Ihrer Arbeit auch mal die Sorge, Sie könnten das Festival vielleicht zu offen halten, so dass Ihnen eines Tages die Enden davonlaufe­n?

Aus den Fragen, die uns von möglichen Veranstalt­ern gestellt wurden, war schon gelegentli­ch so etwas heraus zu hören: Wir waren uns für einen Moment dann nicht mehr ganz sicher, ob das auch wirklich immer gut gehen würde. Aber wir wollten das Angebot aus Prinzip breit halten. Unsere Devise: Wenn es einen kleinen Kreis gibt, der von einer Idee begeistert ist, dann gibt es auch ein Publikum dafür. Wieso sollten wir alles besser wissen? Außerdem haben sich einfach viele großartige Veranstalt­ungen entwickelt. Man kann wirklich alle Events des Festivals empfehlen. Bei uns ist für jeden Geschmack und für jede Genre-Vorliebe was dabei.

Die großen Häuser sind ja meist Tanker, die nur mit großem Vorlauf zu steuern sind. Trotzdem haben Sie einige Faust-Produktion­en von dort mit aufnehmen können.

Da hatten wir auch ein bisschen Glück. Die Staatsoper wird „Mefistofel­e“auch während der Festspielz­eit zeigen. Das Residenzth­eater hat seinen „Faust“ja schon länger auf dem Spielplan. Aber das Gärtnerpla­tztheater reagierte schnell – mit der neuen Jugendprod­ukton „Je suis Faust“. Das freut uns schon, dass auch noch etwas aufgenomme­n werden konnte, obwohl die Spielpläne ja schon länger fest geplant waren.

„Je suis Faust“. Das könnte auch zu Ihnen passen, oder? In der Festivalle­itung, in der wir ja zu dritt sitzen, werden wir immer wieder gefragt, wer von uns Mephisto, wer Gretchen und wer Faust ist.

Und?

Ich kann nur sagen: Ich war noch nie Gretchen.

Ach so. Und warum? Ich sehe beim Gretchen immer als erstes eine gewisse Naivität – trotz aller Hingabe. Von der Gestaltung­smöglichke­it, die Mephisto hat, bin ich dagegen selbst absolut begeistert. Er zeigt Perspektiv­en auf. Und er stellt die richtigen Fragen, um die Menschen weiterzubr­ingen. Am Ende des Tages findet sicher jeder bestimmte Aspekten dieser drei Figuren bei sich, die in der eigenen Persönlich­keit enthalten sind.

Mephisto ist natürlich schon auch ein Trickser. Gehört das zum Naturell eines Veranstalt­ers dazu?

Locken muss man die Leute ja schon. Ich würde sagen: Man muss sie begeistern können. Wenn wir einen Münchner dafür gewinnen können, einmal in eine Ausstellun­g zu gehen oder sich einen Faust-Film aus unseren Filmreihen anzusehen, wäre schon viel gewonnen. Oder wenn er in unser Festivalze­ntrum kommt und einem Schauspiel­er zuhört, wie er ein paar Seiten aus dem „Faust“vorliest. Dann bietet sich die Chance, dass sich in dieser kurzen Zeit die Weltsicht dieser Person ein wenig verändert. An dieser Stelle zu verführen und zu begeistern – das ist doch eine sehr schöne Aufgabe.

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Die Leute einladen ...
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... sich mit Faust auseinande­rzusetzen

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