ORTSGESPRÄCH
mit Anna Kleeblatt
Sie ist eine der umtriebigsten, gleichzeitig charmantesten Strippenzieherinnen dieser Stadt: Eine temperamentvolle Frau, selbst aufgewachsen im Theater ihrer Eltern, die etwas bewegt in München. Anna Kleeblatt berät nicht nur seit Jahren große Institutionen wie die Staatsoper oder die Tourismus Initiative München. Zusammen mit dem Kunsthalle-Chef Roger Diederen und Gasteig-Geschäftsführer Max Wagner hat Kleeblatt die Kreativen dieser Stadt für das ambitionierte „Faust-Festival“zusammengetrommelt. Heraus gekommen sind über 500 Veranstaltungen – vom klassischen Theater, über Ausstellungen bis hin zur Walpurgisnacht im Gasteig und zur Harry-Klein-Tanznacht in der Kunsthalle.
Frau Kleeblatt, wie viele Eselsohren hat denn Ihre „Faust“-Reclam-Ausgabe und wie viele sind in den letzten Wochen noch dazugekommen?
Schon recht viele. Ich muss gestehen, dass ich viele Szenen noch mal nachlesen musste. Außerdem hat die ReclamAusgabe schon deswegen viele Eselsohren, weil ich viel unterwegs bin. Natürlich knickt das Büchlein in der Tasche immer wieder. Aber das ist ja auch das Praktische an so einem Heftchen. Man kann es halt immer und überall dabei haben.
Gut möglich, dass der eine oder andere, den Sie als möglichen FestivalGast im Blick haben, ja leicht traumatische Schul-Erinnerungen hat. Wie kann Ihr Fest dagegen anhalten?
Ich glaube, das Festival muss vor allem begeistern. Es war von Anfang an unser Ziel, dass wir auf das Thema Faust Lust machen. Viele sagen sich vielleicht: Stimmt, lange her, dass ich ihn in der Schule lesen musste. Aber es muss ja einen Grund geben, dass sich die Menschen über hunderte von Jahren hinweg immer wieder mit diesem Stoff befassen. Wir kennen natürlich den Goethe-„Faust“. Aber es gibt ja noch viel mehr Fassungen des Stoffs. Wir wollen die Leute einfach einladen, sich mal wieder damit auseinanderzusetzen. Man muss den „Faust“deswegen nicht gleich lesen.
Ihr eigentlicher Ausgangspunkt ist ja doch ungewöhnlich – mit der FaustAusstellung in der Kunsthalle. Zunächst würde man ja vielleicht eher an ein Theaterfestival denken.
Roger Diederen, der Direktor der Kunsthalle, merkte rasch in der Auseinandersetzung mit der Faust-Ausstellung, die er mit seinem Team ja nur exklusiv für die Kunsthalle in München entwickelt hat, dass es so viel rund um das Thema zu zeigen gibt. Schnell stand für ihn fest, dass er allein das alles gar nicht unterkriegen würde. Darauf hin hatten wir ursprünglich einmal rund 100 andere Kulturpartner zu einem Frühstück eingeladen. Motto damals: Wir kümmern uns um Faust. Habt Ihr vielleicht Lust, auch etwas zu dem Thema zu machen?
Ungewöhnlicher Ansatz. Man denkt ja manchmal, dass die Herren oder Damen der großen Kultureinrichtungen ihre Häuser als abgeschlossene eigene Fürstentümer sehen und gar nicht so gern nach links und rechts schauen.
Bei uns ist das anders. Und das zeichnet sicherlich das Faust-Festival-Team aus, bei dem neben Roger Diederen auch Max Wagner als Geschäftsführer des Gasteigs mit dabei ist. Er war einer der ersten, der für die Idee brannte und der gleich die Vision eines Festivals gesehen hatte. Wir machen etwas Übergreifendes. Wir setzen uns ein gemeinsames Ziel und verfolgen eine Vision, mit der wir eigentlich alle Institutionen in der Stadt anstecken wollten. Und so kam es dann auch.
Klingt gut.
Max Wagner hat immer wieder gesagt, dass die Zeit einfach reif ist. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, die einzelnen Fürstentümer zu verlassen und Dinge gemeinsam zu stemmen. Das liegt vielleicht auch ein wenig an der „Jugend“der beiden Herren. In vielen Institutio- nen sitzt mittlerweile eine Generation, die fest davon überzeugt ist, dass man gemeinsam mehr erreichen kann.
Trotzdem war zu hören, dass beide fast ein wenig überrascht wirkten, wie viele offene Türen sie mit ihren FaustIdeen in der Stadt einrannten.
Auf dem ersten Frühstück, als dann auch ich zum Team dazu stieß, gab es schon einige Partner, die sich Projekte für ein mögliches Festival vorstellen konnten. Aber als wir wenig später ein richtiges Konzept entwickelten, war unser Leitbegriff: Ein Drama, eine Stadt, 100 Events. Damals dachten wir noch, dass die Zahl vielleicht ein wenig hoch gegriffen wäre. Von der Begeisterung der Bewegung, die wir in Gang gesetzt hatten, wurden wir danach immer wieder überrascht. Mittlerweile haben wir mehr als 500 Veranstaltungen.
Hut ab. Da haben Sie sich aber schon auch was aufgehalst.
(lacht) Stimmt.
Das An-einem-Strang-Ziehen lag möglicherweise tatsächlich in der Luft. Aber in wie weit war die Zeit ausgerechnet für Faust wieder reif? Ich denke schon. Verführung – im Guten wie im Schlechten – ist ein Thema, das immer präsent ist dieser Tage. Es geht uns aber auch um den Faust als Suchenden, als Getriebenen. Oder vielleicht passt auch „der gehetzte Mensch“Faust in unsere Zeit. Diese Themen haben nach wie vor Gültigkeit. Ein Faust-Festival liegt möglicherweise nicht zwingend auf der Hand. Es gibt kein rundes Jubiläum. Und wir wissen auch aus Berichten, dass Goethe, als er einmal für ein oder zwei Tage in München war, sich nicht besonders wohl fühlte. Das Wetter war schlecht, das Essen hatte ihm nicht geschmeckt. Aber er blieb der Stadt auch nach diesem eher eingetrübten Aufenthalt immer verbunden, das erfährt man aus seinen Briefwechseln. Sie haben Recht, einen äußeren Anlass gibt es nicht. Es geht uns eher darum, die kulturelle Vielfalt unserer Stadt mal so richtig zum Strahlen zu bringen.
Obwohl natürlich auch Münchner gerne Osterspaziergänge machen. Und ab und an wilde Feste feiern, fast so ausgelassen wie in der „Faust“-Walpurgisnacht.
Sehen Sie! Es soll ein Festival werden, das für alle da ist – für die Münchner in erster Linie, aber natürlich auch für alle Gäste, die bei uns in der Stadt sind und die eine oder andere Veranstaltung vom Faust-Festival mitnehmen wollen.
Wie groß war ihre Sorge, dass Ihnen zunächst lauter Theatergruppen die Vorschlaglisten füllen – und Sie vor der Qual der Wahl stünden?
Wir haben von Anfang an gesagt, dass uns jeder willkommen ist. Wir wollen neben den staatlichen und städtischen Institutionen auch freie Künstlergruppen und Einzel-Künstler dabei haben. Je wilder, desto besser! Es ging erstaunlich schnell, bis dann auch ziemlich verrückte Ideen auf meinem Tisch landeten.
Bis hin zum Faust-Boxkampf, oder?
Die Veranstalter vom Boxwerk waren mit die ersten, die auf uns zukamen. Faust – interessiert uns, war ihr Tenor. Das war vielleicht der allererste Moment, an dem wir uns Gedanken machen mussten, wie all das zusammen passen könnte. Mittlerweile sind wir uns sicher: Ohne das Boxwerk könnte das Faust-Festival gar nicht stattfinden. Sie sind einer von so vielen großartigen Partnern, die für uns außergewöhnliche Formate entwickelt haben.
Eingangshürden, mit denen man sich für das Festival qualifizieren müsste, haben Sie bei Ihrem offenen Bewerberaufruf nicht aufgestellt?
Ganz im Gegenteil. Es gab keine Jury für die Beurteilung von Vorschlägen. Es galt immer das Prinzip, das uns jeder willkommen ist. Vor allem im ersten Halbjahr 2017 sahen wir uns vor allem in der Rolle eines Ermöglichers und eines Plattform-Partners. Wir wollen Menschen, Künstler und Institutionen zusammenbringen. Ein wesentlicher Teil war unsere Suche-Biete-Plattform. Dort konnte sich jeder melden, der etwas Bestimmtes für sein Faust-Projekt benötigte. Gleichzeitig konnte er sich selbst als Anbieter präsentieren. So kamen auch Leute dazu, die von sich behaupteten, dass sie gar nicht so künstlerisch begabt wären – aber ein Hotelraum oder einen Seminar-Gebäude für Aufführungen zur Verfügung stellen konnten. Wir konnten viele Partner zusammenbringen, die zuvor noch nie miteinander gearbeitet hatten.
Münchner Bands, Theatergruppen, freie Künstler dürften die Ohren spitzen: Nach Räumen giert ja jeder in dieser teuren Stadt. Na klar. Für uns wäre das Größte, wenn wir über das Festival Verbindungen schaffen können, die darüber hinaus tragen können. Schönes Beispiel: Cor-
nelia Hamanns, eine Künstlerin vom Tegernsee, die Bronzeskulpturen macht, hat über unsere Plattform das Münchner Künstlerhaus und das Hotel Bayerischer Hof kennengelernt. Beide werden während der Festivalzeit Werke von ihr ausstellen. Das könnte der Beginn einer wunderbaren Freundschaft werden, die vielleicht für diese Partner besonders lange dauert. Ähnlich erging’s Kasperls Spuikastl: Die Gruppe wird bei verschiedenen Münchner Institutionen mit einer speziellen Kasperle-Variante zum Doktor Faust auftreten.
Gab’s in Ihrer Arbeit auch mal die Sorge, Sie könnten das Festival vielleicht zu offen halten, so dass Ihnen eines Tages die Enden davonlaufen?
Aus den Fragen, die uns von möglichen Veranstaltern gestellt wurden, war schon gelegentlich so etwas heraus zu hören: Wir waren uns für einen Moment dann nicht mehr ganz sicher, ob das auch wirklich immer gut gehen würde. Aber wir wollten das Angebot aus Prinzip breit halten. Unsere Devise: Wenn es einen kleinen Kreis gibt, der von einer Idee begeistert ist, dann gibt es auch ein Publikum dafür. Wieso sollten wir alles besser wissen? Außerdem haben sich einfach viele großartige Veranstaltungen entwickelt. Man kann wirklich alle Events des Festivals empfehlen. Bei uns ist für jeden Geschmack und für jede Genre-Vorliebe was dabei.
Die großen Häuser sind ja meist Tanker, die nur mit großem Vorlauf zu steuern sind. Trotzdem haben Sie einige Faust-Produktionen von dort mit aufnehmen können.
Da hatten wir auch ein bisschen Glück. Die Staatsoper wird „Mefistofele“auch während der Festspielzeit zeigen. Das Residenztheater hat seinen „Faust“ja schon länger auf dem Spielplan. Aber das Gärtnerplatztheater reagierte schnell – mit der neuen Jugendprodukton „Je suis Faust“. Das freut uns schon, dass auch noch etwas aufgenommen werden konnte, obwohl die Spielpläne ja schon länger fest geplant waren.
„Je suis Faust“. Das könnte auch zu Ihnen passen, oder? In der Festivalleitung, in der wir ja zu dritt sitzen, werden wir immer wieder gefragt, wer von uns Mephisto, wer Gretchen und wer Faust ist.
Und?
Ich kann nur sagen: Ich war noch nie Gretchen.
Ach so. Und warum? Ich sehe beim Gretchen immer als erstes eine gewisse Naivität – trotz aller Hingabe. Von der Gestaltungsmöglichkeit, die Mephisto hat, bin ich dagegen selbst absolut begeistert. Er zeigt Perspektiven auf. Und er stellt die richtigen Fragen, um die Menschen weiterzubringen. Am Ende des Tages findet sicher jeder bestimmte Aspekten dieser drei Figuren bei sich, die in der eigenen Persönlichkeit enthalten sind.
Mephisto ist natürlich schon auch ein Trickser. Gehört das zum Naturell eines Veranstalters dazu?
Locken muss man die Leute ja schon. Ich würde sagen: Man muss sie begeistern können. Wenn wir einen Münchner dafür gewinnen können, einmal in eine Ausstellung zu gehen oder sich einen Faust-Film aus unseren Filmreihen anzusehen, wäre schon viel gewonnen. Oder wenn er in unser Festivalzentrum kommt und einem Schauspieler zuhört, wie er ein paar Seiten aus dem „Faust“vorliest. Dann bietet sich die Chance, dass sich in dieser kurzen Zeit die Weltsicht dieser Person ein wenig verändert. An dieser Stelle zu verführen und zu begeistern – das ist doch eine sehr schöne Aufgabe.