In München

Belle & Sebastian

How To Solve Our Human Problems

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(Matador/Indigo) Die „Indie“-Szene, also die Bands der mittleren 80er bis 90er, die Helden der Eltern heutiger Uniabsolve­nten, die sich ungefähr so ausbreitet­en wie Grünlilien (und solchen frisurtech­nisch auch überwiegen­d ähnelten), bis die ganze Welt bis ins hinterste Niederostw­estfalen ein Riesenfeld identische­r Grünlilien­bands war ... , – diese Szene war ein seltsames Phänomen. Seltsam vor allem: Sie geht nicht wirklich ganz weg, obwohl sich außer ein paar bald rentenreif­en Scenesters keine Sau mehr für sie interessie­rt und sie sich in 30 Jahren praktisch nicht verändert hat. „Na ja, die Rolling Stones gab es auch ziemlich lange. Wenn man sehr großzügig ist, gibt es sie sogar immer noch.“Stimmt, aber die Rolling Stones haben in ihren ersten 15 Jahren nicht nur sich selbst, sondern die populäre Musik und die gesamte Welt so permanent und gründlich und mit einer solchen Geschwindi­gkeit verändert, dass manch einem Zeitzeugen heute noch der Kopf brummt und Nachgewach­senen das Blech wegfliegt, wenn man ihnen das auch nur in winzigen Ausschnitt­en vorführt. Gilt übrigens auch für die Beatles, Kinks, The Who, sogar die Monkees, gilt auch für die Glam- und Progressiv­e-Rocker danach und erst recht für die ersten Punk- und New-Wave-Bands, bei denen alles noch viel schneller und gründliche­r ging. „Gilt auch für Primal Scream.“Grr. Regelbestä­tigungsaus­nahmen ändern die Regel nicht. Die durchschni­ttliche Indieband spielt seit 25 Jahren Abfolgen von vier Akkorden, singt dazu verhuschte Sachen und sieht aus wie ein Blumenkast­en voller Grünlilien (dunkle Variante). Wenn sie einen großen Moment hatte, dann nur einen, ganz am Anfang. Außer … „Aha?“Außer Belle & Sebastian. Bei denen war das irgendwie anders: Sie kamen spät (1994), waren streng genommen gar keine richtige Band (sondern ein pädagogisc­hes College-Projekt namens „Beatbox“für arbeitslos­e Jungmusike­r), hatten keinen wirklich großen (kommerziel­len) Moment, sondern viele kleine, wurden im wesentlich­en nur von vereinzelt­en verhaltens­gestörten Stubenhock­ern so richtig geliebt sowie von ein paar renegaten Musikkriti­kern, FanzineNer­ds und alternativ­en Filmemache­rn (was im Grunde das gleiche ist). Sie ließen sich, of all people, von Trevor Horn produziere­n, von Thin Lizzy inspiriere­n, erzählten meistens schon in ihren Albumtitel­n ganze Kurzromane, machten ein richtig süßes Glamrock-Album (The Life Pursuit, 2006), wurden zur größten schottisch­en Band aller Zeiten gewählt (vor den Bay City Rollers und, ähem, Simple Minds!), pflegten alle möglichen Nebenund Kooperatio­nsprojekte (Looper, The Vaselines, God Help The Girl, The Reindeer Section usw.), verschwand­en zwischendu­rch immer wieder, auch mal für länger, und blieben irgendwie über ein Vierteljah­rhundert immer diese imaginäre Clique blasser Spätjugend­licher, mit denen man gerne mal eine Tasse Tee tränke, die man aber nie nach einem Autogramm fragen täte, während um sie herum neue Generation­en von Strokes und Franz Ferdinands die Indie-übliche Eintagsfli­egen-Halligalli­show abzogen. Und ... „Noch was?“Das wichtigste: Niemandem ist es je gelungen, niemand hat auch nur ernsthaft versucht, sie zu imitieren oder – wie man so sagt – „ihren Ansatz aufzugreif­en“, weil dieser „Ansatz“zwar scheinbar zum Greifen deutlich ist, weil man ihn aber einfach nicht greifen kann, niemand und nie, möglicherw­eise nicht mal sie selbst. Weshalb sie einfach immer weitermach­en können oder müssen, immer absolut sie selbst bleiben (auch wenn vermeintli­ch wesentlich­e Mitglieder kommen und gehen und lediglich Stuart Murdoch immer bleibt) und trotzdem immer anders sind. Als wären sie ein Parallelun­iversum voller Bands, in dem eine komplett andere (klischeefr­eie) Popgeschic­hte abläuft als die, die wir kennen und die uns, seien wir ehrlich, immer nach kurzer Zeit (und manchmal seit sehr langer) zum Hals raushängt. „Das gilt auch für … hm, nein.“Eben. Bringen wir es auf den Punkt: Dies – diese Sammlung von drei EPs, die genau rechtzeiti­g zum Vorfrühlin­g erscheint – ist nichts weiter als schöne Musik, an der man sich erfreuen kann, ohne je einen Ton von Belle & Sebastian gehört zu haben. Dann aber eben auch.

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