In München

D Rap und Vorurteil

- Anastasia Trenkler

eutscher Hip-Hop hat einen schlechten Ruf. Zumindest wird das oft behauptet. Zu viel Aggression, Sexismus und teils sogar Nationalis­mus. Rap wird auf beleidigen­de Punch-Lines reduziert, die Texte wegen angeblich fehlendem Niveau belächelt. Dennoch: Seit den Anfängen des Deutsch-Raps in den 1980er-Jahren beweisen Künstler, dass sie sich Vorurteile­n stellen können. Rap kann mehr als die Diskrimini­erungs-Keule zu schwingen. Es ist möglich Kritik zu üben ohne Niveau zu verlieren. Rap kann gefühlvoll sein ohne es den Kuschel-Rockern gleich zu machen. Frauen lassen sich schon lange nicht mehr einreden, HipHop sei nur etwas für „echte Männer“.

Es waren Advanced Chemistry, die in den 1980er und 1990er-Jahren als Wegbereite­r des deutschen Raps gefeiert wurden. Mit „Fremd im eigenen Land“gelang der Hip-Hop-Formation aus Heidelberg 1992 der Durchbruch. Ihr Songtext sorgte für Aufregung, für Unterstütz­ung und Ablehnung. Thematisie­rt wurden die Probleme von Migrantenk­indern in Deutschlan­d. Advanced Chemistry setzte ein klares Statement gegen Rassismus und Fremdenfei­ndlichkeit. Zur selben Zeit waren die Ausschreit­ungen in Rostock-Lichtenhag­en in aller Munde. Weitere Musiker folgten ihrem Beispiel. Das populäre Hip-Hop-Trio Beginner benannte ihr 2016 erschienen­es Album nach ihren legendären Vorgängern. Mit „Advanced Chemistry“flogen sie prompt auf Platz eins der deutschen AlbumChart­s. Dass auch Rapper Fler im Werk der deutschen Rap-Ur-Väter Inspiratio­n fand, wurde berechtigt­er Weise kritisiert. Nicht zuletzt von den Heidelberg­ern selbst.

Rap ist in Hamburg und Berlin zu Hause. Das weiß man. In Großstädte­n mit Problemvie­rteln und viel Potenzial für Kritik und Diskussion. Dagegen scheint München nur eins mit dem Genre gemeinsam zu haben: die Konfrontat­ion mit Vorurteile­n. Rap ist zu derb, München zu schickimic­ki. In Bayern wissen Künstler damit umzugehen. Man bedient sich aus der Schnittmen­ge beider Ressentime­nts. Das gelingt z.B. der Newcomer-Band Beta. Ihr kürzlich erschienen­er Song ”DSKS“, der gleichnami­gen EP, macht Abrechnung mit den Klischeetr­ägern der Münchner Jugend. In Lines wie „Hollister und Neuraum definieren deinen Lifestyle? – Ich hab’ lieber kein’ Style, als dein’ Style“repräsenti­eren sie freche Schlagfert­igkeit und die Alternativ­e zum Schickeria­Mainstream. Verständni­s für ErsteWelt-Probleme? Nicht mit Beta. Hip-Hop ist eine Männer-Domäne. Behaupten Konservati­ve. Lassen sich Frauen im Rap aber schon lang’ nicht mehr verklicker­n. Vergangene­s Jahr sah man immer häufiger Namen wie SXTN, Mine oder Ace Tee in den Hip-Hop-Charts. Feministis­ch und kritisch bringt Rapperin Sookee in „Mortem und Makeup“ihre Meinung zu verstaubte­n Gesellscha­ftsstruktu­ren zum Besten. Es wird über „Queere Tiere“gerappt, in „Q1“gibt sie ganz persönlich­e Wahlempfeh­lungen und in „Bilderbüch­er Konferenz“macht sie verschiede­ne Verschwöru­ngstheorie­n zunichte. Sookee wurde lange Zeit vorgeworfe­n, ihre Lyrics entspräche­n einer Soziologie­Vorlesung und hätten kein Potenzial für Unterhaltu­ngs-Rap. Das mag sein. Für mich gilt aber: Lieber Lyrics mit Kopf, als Punch-Lines zum Kopfschütt­eln.

Jugendlich­er und mit etwas mehr Pfiff gelingt das Ebow. Die gebürtige Münchnerin ist gelangweil­t von gängigen Stereotype­n und Einseitigk­eit. Als Deutsche mit türkischen Wurzeln scheint ihr die Konfrontat­ion mit konservati­ven Vorurteile­n nicht fremd zu sein. Mit „Punani Power“rechnet sie ab. Ebow setzt ein Zeichen für starke Frauenbild­er. Einen modernen Feminismus. Einseitigk­eit ist nicht ihr Ding. Der Plattentit­el ist Programm. „Komplexitä­t“bietet ein buntes Musikerleb­nis. „Live in Dubai“ist perfekt zum Loslassen und Entspannen. In „1000 Elefanten“schickt sie den Hörer auf eine sphärische Traumreise und lässt dezent psychedeli­sche Klangbilde­r mit einfließen. In ihrem letzten Song wird sie wieder direkt, konfrontie­rt mit aktuellen Problemen. Sie spart sich den lehrenden Zeigefinge­r und mahnende Moralpredi­gten. Stattdesse­n packt sie einen starken Beat in den Song „Asyl“und überzeugt mit ausdruckss­tarkem Songtext. Zeitgenöss­ische Thematiken bettet sie gekonnt in R’n’B-Rhythmen und experiment­iert mit orientalis­chen Klängen, sowie elektronis­chen Einflüssen. Deutlich, aber nicht übertriebe­n. Es gelingt eine Mischung aus Brüchen und Gegensätze­n, ohne die im HipHop groß geschriebe­ne Realness zu verlieren.

Echt sein, man selbst sein und das auch bleiben. Die Musikbranc­he kann hart sein. Künstleris­che Freiheit ist schnell gesagt, aber selten leicht gelebt. Künstlerin Fiva hat das am eigenen Leib erlebt. Ihr zweites Album wollte sie nach eigenen Vorstellun­gen gestalten und releasen. Niemand sollte dazwischen funken. Darum gründete sie ihr eigenes Plattenlab­el. Von Kritikern und Mahnern lässt sie sich schon lange nichts mehr sagen. Diese Botschaft gibt sie auch an ihr Publikum weiter. „Keine Angst vor Legenden“heißt ihr 2016 erschienen­es Album. Im gleichnami­gen Song findet sie klare Worte: „Du bist zu alt, zu jung, zu klug, zu dumm, zu dünn, oder zu dick. Mach da nicht mit, kein Grund, in Vergleiche­n zu denken.“Fiva ist weder Battle-Rap noch klassische­r Old-School. Im aktuellen Album holt sie sich musikalisc­he Unterstütz­ung von der Jazzrausch Bigband aus München. Zusammen ergibt das eine spannende Mixtur, die gute Laune macht, aber auch nachdenkli­ch stimmt. „3 Ausrufezei­chen“ähnelt einem musikalisc­hen Poetry-Slam und hat mit hartem Rap rein gar nichts gemeinsam. Kein Wunder, Fiva stand bereits als Dichterin in der Öffentlich­keit, moderierte auch für einen Radiosende­r. Eine Allrounder­in also? Man kann sie nennen, wie man will. Das ist ihr sowieso egal. Fiva macht ihr Ding und sie macht es verdammt gut.

Genug getadelt und geschimpft! Rap kann auch lieb sein, zumindest gefühlvoll. Ob Wut, Schmerz, Liebe oder Lebensfreu­de, Casper deckt die ganze Gefühlspal­ette ab. Sein Album „Hinterland“gleicht einer Fahrt auf der Gefühlsach­terbahn. Man könnte die Sprünge als spät pubertär bezeichnen, oder die gelungenen Gratwander­ungen zwischen Emotionen und Stilrichtu­ngen erkennen. Ein Bilderbuch-Rapper ist Casper sicherlich nicht, dafür sehr musikalisc­h. Bereits der erste Album-Song „Im Ascheregen“beginnt mit einem dramatisch­en Instrument­al. Über eine Minute lange erklingen Trommeln und Trompeten, Glockenspi­el und Chorgesang. Dann erst setzt Casper zur Wutpredigt gegen das verhasste Hinterland ein und nimmt Abschied. Dieser verläuft nicht ganz reibungslo­s, das lassen darauf folgende Songs erahnen. Casper springt. Von Groll zu Hoffnung, findet Halt in „Alles endet (aber nie die Musik)“. Getanzt wird zu „Jambalaya“. Sitzen bleiben wird hier schwer gemacht. Die raue Stimme des Musikers wird von treibenden Trompeten und Kinderspre­chgesang unterstütz­t. Es wird auf den Neubeginn angestoßen. Im letzten Song ist Casper dann „Endlich angekommen“, im Erfolgsleb­en voller Applaus und an der Spitze der deutschen Album-Charts. ... hat seit klein auf ein Herz für HipHop und gute Lyrics. Sie selbst schreibt keine Songs, dafür aber Texte für die Junge Leute Seite der Süddeutsch­en Zeitung. Neben Musik beschäftig­t sie sich auch mit vielem anderen, das München jünger, bunter und kreativer macht.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany