D Rap und Vorurteil
eutscher Hip-Hop hat einen schlechten Ruf. Zumindest wird das oft behauptet. Zu viel Aggression, Sexismus und teils sogar Nationalismus. Rap wird auf beleidigende Punch-Lines reduziert, die Texte wegen angeblich fehlendem Niveau belächelt. Dennoch: Seit den Anfängen des Deutsch-Raps in den 1980er-Jahren beweisen Künstler, dass sie sich Vorurteilen stellen können. Rap kann mehr als die Diskriminierungs-Keule zu schwingen. Es ist möglich Kritik zu üben ohne Niveau zu verlieren. Rap kann gefühlvoll sein ohne es den Kuschel-Rockern gleich zu machen. Frauen lassen sich schon lange nicht mehr einreden, HipHop sei nur etwas für „echte Männer“.
Es waren Advanced Chemistry, die in den 1980er und 1990er-Jahren als Wegbereiter des deutschen Raps gefeiert wurden. Mit „Fremd im eigenen Land“gelang der Hip-Hop-Formation aus Heidelberg 1992 der Durchbruch. Ihr Songtext sorgte für Aufregung, für Unterstützung und Ablehnung. Thematisiert wurden die Probleme von Migrantenkindern in Deutschland. Advanced Chemistry setzte ein klares Statement gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Zur selben Zeit waren die Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen in aller Munde. Weitere Musiker folgten ihrem Beispiel. Das populäre Hip-Hop-Trio Beginner benannte ihr 2016 erschienenes Album nach ihren legendären Vorgängern. Mit „Advanced Chemistry“flogen sie prompt auf Platz eins der deutschen AlbumCharts. Dass auch Rapper Fler im Werk der deutschen Rap-Ur-Väter Inspiration fand, wurde berechtigter Weise kritisiert. Nicht zuletzt von den Heidelbergern selbst.
Rap ist in Hamburg und Berlin zu Hause. Das weiß man. In Großstädten mit Problemvierteln und viel Potenzial für Kritik und Diskussion. Dagegen scheint München nur eins mit dem Genre gemeinsam zu haben: die Konfrontation mit Vorurteilen. Rap ist zu derb, München zu schickimicki. In Bayern wissen Künstler damit umzugehen. Man bedient sich aus der Schnittmenge beider Ressentiments. Das gelingt z.B. der Newcomer-Band Beta. Ihr kürzlich erschienener Song ”DSKS“, der gleichnamigen EP, macht Abrechnung mit den Klischeeträgern der Münchner Jugend. In Lines wie „Hollister und Neuraum definieren deinen Lifestyle? – Ich hab’ lieber kein’ Style, als dein’ Style“repräsentieren sie freche Schlagfertigkeit und die Alternative zum SchickeriaMainstream. Verständnis für ErsteWelt-Probleme? Nicht mit Beta. Hip-Hop ist eine Männer-Domäne. Behaupten Konservative. Lassen sich Frauen im Rap aber schon lang’ nicht mehr verklickern. Vergangenes Jahr sah man immer häufiger Namen wie SXTN, Mine oder Ace Tee in den Hip-Hop-Charts. Feministisch und kritisch bringt Rapperin Sookee in „Mortem und Makeup“ihre Meinung zu verstaubten Gesellschaftsstrukturen zum Besten. Es wird über „Queere Tiere“gerappt, in „Q1“gibt sie ganz persönliche Wahlempfehlungen und in „Bilderbücher Konferenz“macht sie verschiedene Verschwörungstheorien zunichte. Sookee wurde lange Zeit vorgeworfen, ihre Lyrics entsprächen einer SoziologieVorlesung und hätten kein Potenzial für Unterhaltungs-Rap. Das mag sein. Für mich gilt aber: Lieber Lyrics mit Kopf, als Punch-Lines zum Kopfschütteln.
Jugendlicher und mit etwas mehr Pfiff gelingt das Ebow. Die gebürtige Münchnerin ist gelangweilt von gängigen Stereotypen und Einseitigkeit. Als Deutsche mit türkischen Wurzeln scheint ihr die Konfrontation mit konservativen Vorurteilen nicht fremd zu sein. Mit „Punani Power“rechnet sie ab. Ebow setzt ein Zeichen für starke Frauenbilder. Einen modernen Feminismus. Einseitigkeit ist nicht ihr Ding. Der Plattentitel ist Programm. „Komplexität“bietet ein buntes Musikerlebnis. „Live in Dubai“ist perfekt zum Loslassen und Entspannen. In „1000 Elefanten“schickt sie den Hörer auf eine sphärische Traumreise und lässt dezent psychedelische Klangbilder mit einfließen. In ihrem letzten Song wird sie wieder direkt, konfrontiert mit aktuellen Problemen. Sie spart sich den lehrenden Zeigefinger und mahnende Moralpredigten. Stattdessen packt sie einen starken Beat in den Song „Asyl“und überzeugt mit ausdrucksstarkem Songtext. Zeitgenössische Thematiken bettet sie gekonnt in R’n’B-Rhythmen und experimentiert mit orientalischen Klängen, sowie elektronischen Einflüssen. Deutlich, aber nicht übertrieben. Es gelingt eine Mischung aus Brüchen und Gegensätzen, ohne die im HipHop groß geschriebene Realness zu verlieren.
Echt sein, man selbst sein und das auch bleiben. Die Musikbranche kann hart sein. Künstlerische Freiheit ist schnell gesagt, aber selten leicht gelebt. Künstlerin Fiva hat das am eigenen Leib erlebt. Ihr zweites Album wollte sie nach eigenen Vorstellungen gestalten und releasen. Niemand sollte dazwischen funken. Darum gründete sie ihr eigenes Plattenlabel. Von Kritikern und Mahnern lässt sie sich schon lange nichts mehr sagen. Diese Botschaft gibt sie auch an ihr Publikum weiter. „Keine Angst vor Legenden“heißt ihr 2016 erschienenes Album. Im gleichnamigen Song findet sie klare Worte: „Du bist zu alt, zu jung, zu klug, zu dumm, zu dünn, oder zu dick. Mach da nicht mit, kein Grund, in Vergleichen zu denken.“Fiva ist weder Battle-Rap noch klassischer Old-School. Im aktuellen Album holt sie sich musikalische Unterstützung von der Jazzrausch Bigband aus München. Zusammen ergibt das eine spannende Mixtur, die gute Laune macht, aber auch nachdenklich stimmt. „3 Ausrufezeichen“ähnelt einem musikalischen Poetry-Slam und hat mit hartem Rap rein gar nichts gemeinsam. Kein Wunder, Fiva stand bereits als Dichterin in der Öffentlichkeit, moderierte auch für einen Radiosender. Eine Allrounderin also? Man kann sie nennen, wie man will. Das ist ihr sowieso egal. Fiva macht ihr Ding und sie macht es verdammt gut.
Genug getadelt und geschimpft! Rap kann auch lieb sein, zumindest gefühlvoll. Ob Wut, Schmerz, Liebe oder Lebensfreude, Casper deckt die ganze Gefühlspalette ab. Sein Album „Hinterland“gleicht einer Fahrt auf der Gefühlsachterbahn. Man könnte die Sprünge als spät pubertär bezeichnen, oder die gelungenen Gratwanderungen zwischen Emotionen und Stilrichtungen erkennen. Ein Bilderbuch-Rapper ist Casper sicherlich nicht, dafür sehr musikalisch. Bereits der erste Album-Song „Im Ascheregen“beginnt mit einem dramatischen Instrumental. Über eine Minute lange erklingen Trommeln und Trompeten, Glockenspiel und Chorgesang. Dann erst setzt Casper zur Wutpredigt gegen das verhasste Hinterland ein und nimmt Abschied. Dieser verläuft nicht ganz reibungslos, das lassen darauf folgende Songs erahnen. Casper springt. Von Groll zu Hoffnung, findet Halt in „Alles endet (aber nie die Musik)“. Getanzt wird zu „Jambalaya“. Sitzen bleiben wird hier schwer gemacht. Die raue Stimme des Musikers wird von treibenden Trompeten und Kindersprechgesang unterstützt. Es wird auf den Neubeginn angestoßen. Im letzten Song ist Casper dann „Endlich angekommen“, im Erfolgsleben voller Applaus und an der Spitze der deutschen Album-Charts. ... hat seit klein auf ein Herz für HipHop und gute Lyrics. Sie selbst schreibt keine Songs, dafür aber Texte für die Junge Leute Seite der Süddeutschen Zeitung. Neben Musik beschäftigt sie sich auch mit vielem anderen, das München jünger, bunter und kreativer macht.