Kuscheln und die Klappe halten, ginge das?
Intensive Zweier-Kiste: „Atmen“von Duncan Macmillan im Metropol
Es dauert 100 Minuten, bis sie sich das erste Mal anschauen. Jetzt, ganz am Ende, stehen sie am Keyboard, fabrizieren Musik: gemeinsam, endlich. Obwohl das Leben, der gemeinsame Weg nun schon vorbei ist. Ein Weg, der im Pflegeheim endet. Und bei IKEA beginnt, mit Stress, mit einem Gespräch mitten in der Schlange an der Kasse, Thema: Baby. Aber eigentlich geht es um Basics: überhaupt ein Gespräch führen. Schwierig. Autor Duncan Macmillan ist Brite und Jahrgang 1980, und er schaut sich seine Zeitgenossen genau an, wie sie sind, wie sie leben in der Zeit, in der sie leben. F und M heißen die beiden Thirtysomethings in „Atmen“(uraufgeführt 2011): Frau und Mann. Und sie schleppen alles mit sich rum, was die Koexistenz, in diesem Fall: von sich etwas intelligenter wähnenden Geschlechtern nicht erleichtert: Träume und Sehnsüchte, Erwartungshaltungen und Ansprüche, Vorurteile und Erfahrungen, Ideale und Rollenverständnis, und überhaupt die ganze Welt. Frau und Mann: im Café des Metropoltheaters spielen Agnes Decker und Benedikt Zimmermann, die schon vor Jahren im legendären „Woyzeck“von Hausherr Jochen Schölch beeindruckten, dieses Paar. Und sie spielen das – schlicht, emotional aufs Wesentliche konzentriert, mal witzig, dann wieder aggressiv, durch alle Hoch- und Tiefund Zwischenstimmungen – gänsehautgrandios. Auf der Bühne, die so leer ist wie vom Autor gefordert, ein kleiner, liegender KunstrasenQuader, stehen sie nebeneinander. Jeans, Pullis, er Musiker, sie promoviert irgendwann. Sie berühren sich nicht, nennen sich nicht beim Vornamen, schauen sich nie an. Nur gelegentlich fällt der Blick mal genervt zur Seite, ansonsten geht er in die Ferne, ins Licht, als ob da die Antworten lägen, als ob sich da die Entwirrungen fänden, für all die Gedanken, für all die Bedenken. Dieses ständige Ja-aber und Vielleichtdoch-nicht, dieses ständige Auf und Ab hat Regisseur Domagoj Maslov (er war Assistent bei Schölch, Gil Mehmert und Dominik Wilgenbus) für seine erste Inszenierung am Metropol wörtlich genommen und in die Bühnenidee übersetzt. Der Boden teilt sich in zwei Bretter, und die lassen sich separat von den beiden Spielern zum Schwingen bringen. Ein fatales Konstrukt, in den euphorischen Momenten verleitet es zu wahren Luftsprüngen, im Normalfall ist es eine dauerhafte Schaukel der Unsicherheit, des Ungefähren. Und es ist kongeniales Instrument zur Bebilderung von Macmillans Dialogen, die eigentlich ein einziger langer sind. Verinnerlichte Überzeugungen wechseln mit unmotivierten Fetzen, wortreiches Stottern hängt im Raum, manchmal nur ein Wort, dann geht`s auch mal durcheinander. Ein WortGefühl-Existenz-Chaos, mit einem Sog, der nicht an einem vorbei-, sondern tief in einen reinzieht. Alles nicht fremd, wie sie in dieser Langzeit-Doku durch die Jahre hetzen, wie sie ringen um Verständigung, erste Liebe, Fehlgeburt, die Erde, der CO2-Fußabdruck von Windeln, verlassen, sich wieder zusammenraufen, Sex, ungewolltes Kind, die Haltung zu den Eltern: die lebenslange Suche nach der Leichtigkeit des Seins. Was wünscht sich die Frau einmal? Einfach nur kuscheln und die Klappe halten, ginge das? Langer Beifall. (noch am 9./10. März, Wiederaufnahme im Sommer).