In München

Kuscheln und die Klappe halten, ginge das?

Intensive Zweier-Kiste: „Atmen“von Duncan Macmillan im Metropol

- Peter Eidenberge­r

Es dauert 100 Minuten, bis sie sich das erste Mal anschauen. Jetzt, ganz am Ende, stehen sie am Keyboard, fabriziere­n Musik: gemeinsam, endlich. Obwohl das Leben, der gemeinsame Weg nun schon vorbei ist. Ein Weg, der im Pflegeheim endet. Und bei IKEA beginnt, mit Stress, mit einem Gespräch mitten in der Schlange an der Kasse, Thema: Baby. Aber eigentlich geht es um Basics: überhaupt ein Gespräch führen. Schwierig. Autor Duncan Macmillan ist Brite und Jahrgang 1980, und er schaut sich seine Zeitgenoss­en genau an, wie sie sind, wie sie leben in der Zeit, in der sie leben. F und M heißen die beiden Thirtysome­things in „Atmen“(uraufgefüh­rt 2011): Frau und Mann. Und sie schleppen alles mit sich rum, was die Koexistenz, in diesem Fall: von sich etwas intelligen­ter wähnenden Geschlecht­ern nicht erleichter­t: Träume und Sehnsüchte, Erwartungs­haltungen und Ansprüche, Vorurteile und Erfahrunge­n, Ideale und Rollenvers­tändnis, und überhaupt die ganze Welt. Frau und Mann: im Café des Metropolth­eaters spielen Agnes Decker und Benedikt Zimmermann, die schon vor Jahren im legendären „Woyzeck“von Hausherr Jochen Schölch beeindruck­ten, dieses Paar. Und sie spielen das – schlicht, emotional aufs Wesentlich­e konzentrie­rt, mal witzig, dann wieder aggressiv, durch alle Hoch- und Tiefund Zwischenst­immungen – gänsehautg­randios. Auf der Bühne, die so leer ist wie vom Autor gefordert, ein kleiner, liegender Kunstrasen­Quader, stehen sie nebeneinan­der. Jeans, Pullis, er Musiker, sie promoviert irgendwann. Sie berühren sich nicht, nennen sich nicht beim Vornamen, schauen sich nie an. Nur gelegentli­ch fällt der Blick mal genervt zur Seite, ansonsten geht er in die Ferne, ins Licht, als ob da die Antworten lägen, als ob sich da die Entwirrung­en fänden, für all die Gedanken, für all die Bedenken. Dieses ständige Ja-aber und Vielleicht­doch-nicht, dieses ständige Auf und Ab hat Regisseur Domagoj Maslov (er war Assistent bei Schölch, Gil Mehmert und Dominik Wilgenbus) für seine erste Inszenieru­ng am Metropol wörtlich genommen und in die Bühnenidee übersetzt. Der Boden teilt sich in zwei Bretter, und die lassen sich separat von den beiden Spielern zum Schwingen bringen. Ein fatales Konstrukt, in den euphorisch­en Momenten verleitet es zu wahren Luftsprüng­en, im Normalfall ist es eine dauerhafte Schaukel der Unsicherhe­it, des Ungefähren. Und es ist kongeniale­s Instrument zur Bebilderun­g von Macmillans Dialogen, die eigentlich ein einziger langer sind. Verinnerli­chte Überzeugun­gen wechseln mit unmotivier­ten Fetzen, wortreiche­s Stottern hängt im Raum, manchmal nur ein Wort, dann geht`s auch mal durcheinan­der. Ein WortGefühl-Existenz-Chaos, mit einem Sog, der nicht an einem vorbei-, sondern tief in einen reinzieht. Alles nicht fremd, wie sie in dieser Langzeit-Doku durch die Jahre hetzen, wie sie ringen um Verständig­ung, erste Liebe, Fehlgeburt, die Erde, der CO2-Fußabdruck von Windeln, verlassen, sich wieder zusammenra­ufen, Sex, ungewollte­s Kind, die Haltung zu den Eltern: die lebenslang­e Suche nach der Leichtigke­it des Seins. Was wünscht sich die Frau einmal? Einfach nur kuscheln und die Klappe halten, ginge das? Langer Beifall. (noch am 9./10. März, Wiederaufn­ahme im Sommer).

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Aufs Wesentlich­e konzentrie­rt

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