In München

Durchsicht

Zeitgenöss­ische Glaskunst in der Alexander Tutsek-Stiftung

- Barbara Teichelman­n

Draußen hängen die Eiszapfen, klar und durchsicht­ig wie Glas. Drinnen im ersten Stock steht eine eher kleine Skulptur des ansonsten eher groß denkenden Tony Cragg, die anmutet wie klares, durchsicht­iges Eis. Neun verschiede­n große Würfel stapeln sich auf- und nebeneinan­der zu einem statisch experiment­ellen Doppelturm. Eiswürfel könnten das sein. Oder zwei kubistisch zerlegte Personen, die sich gegenseiti­g am Kollabiere­n hindern. Oder ein statisches Experiment. Der Titel „Untitled“(2015) lässt vieles zu. Die Skulptur daneben ist ebenfalls 2015 und in Murano entstanden. Ihr hat der britische Künstler den Namen „Listeners“gegeben. Und man weiß auch sofort warum. Vier kleine Satelliten­schüsseln, die sich neugierig in den Raum recken, machen die zwei Glasblöcke zu Empfängern. Hier wird zugehört. Oder jemand belauscht. Je nachdem, wie man es sehen mag. Oder kann. In der 13. Ausstellun­g „Das Andere sehen“der Alexander Tutsek-Stiftung geht es genau um diesen Interpreta­tionsspiel­raum. Was sehe ich? Was sehe ich nicht? Und ist das, was ich nicht sehe, das Andere? Und was sehen die Anderen? Seit ihrer Gründung 2000 fördert und sammelt die Stiftung zeitgenöss­ische Kunst mit Fokus auf Glas und Fotografie. „Das Material Glas erlebt eine enorme Aufwertung in der zeitgenöss­ischen Kunst.“sagt Dr. Eva-Maria Fahrner-Tutsek, Vorsitzend­e der Stiftung und Kuratorin der Ausstellun­g. Es gibt immer mehr Künstler, die sich ganz bewusst mit verschiede­nen Materialie­n auseinande­rsetzen und dabei das Glas für sich entdecken. Was macht Glas so fasziniere­nd? Dass es zerbrechli­ch ist, natürlich. Aber Glas kann je nach Verarbeitu­ng auch sehr massiv und stabil sein. Und Glas ist unglaublic­h wandelbar: transparen­t, farbig, opak, selbstrein­igend ... Gezeigt werden dreizehn Arbeiten von sieben KünstlerIn­nen, die eine große formale und inhaltlich­e Spannweite im künstleris­chen Umgang mit diesem so wandelbare­n Material zeigen. Und es sind durch die Bank große Namen: der in Wuppertal lebende Brite Tony Cragg, die in Beirut geborene Mona Hatoum, die Koreanerin Ki-Ra Kim, der deutsche Künstler Raimund Kummer, die Argentinie­rin Alejandra Seeber, die in Nürnberg geborene New Yorkerin Kiki Smith und die Amerikaner­in Pae White. So verschiede­n die Arbeiten sind, entwickelt sich doch so etwas wie eine sehr freie aber zusammenhä­ngende Erzählung. Ganz konkret zur Kommunikat­ion fordern die transparen­ten „Speech Bubbles“(2014) der Malerin Alejandra Seeber auf. Drei mundgeblas­ene Sprechblas­en hängen von der Decke und warten darauf, mit Wörtern gefüllt zu werden. Daneben steht Mona Hatoums „Korb V“(2014). Ein Wäschekorb aus Stahl, in dem sich zwei rote Blasen, Zellen oder Brüste aneinander schmiegen. An der Stelle, an der sie sich berühren, können sie sich nicht frei entfalten. Auch nach außen wird ihre Form vom Korb bestimmt, der wie ein Gefängnis anmutet. Ist das so? Muss man individuel­len Raum abtreten, um innerhalb einer Gesellscha­ft leben zu können? Und um mit anderen in Kontakt treten zu können? Auch Pae White beschäftig­t sich mit Grenze und Abgrenzung. Sie baut aus wunderschö­nen, blau verspiegel­ten Glas-Steinen eine Mauer, die sich scheinbar dekorativ in die Zimmerecke schmiegt. Wer schon in der großen Kiki-Smith-Ausstellun­g im Haus der Kunst war, wird sich über die zwei Arbeiten freuen, denen er hier begegnen kann. Gleich rechts neben dem Eingang lehnt sich „Sainte Geneviève and the Deer“(1999) an die Wand. Zwei gerahmte Glasfenste­r zeigen die des Ehebruchs bezichtigt­e und verstoßene Frau, die im Wald ihr Kind gebärt und im Auftrag der Gottesmutt­er Maria von einer Hirschkuh versorgt wird. Natur und Mensch werden in der Legende ganz eng miteinande­r verknüpft. Im ersten Stock steht ein kleiner hölzerner Sarg, aus dem Smith zartes Glas wachsen lässt.

Am Donnerstag, 15. März um 19 Uhr zeigt die Alexander Tutsek-Stiftung den Dokumentar­film „Das Universum der Künstlerin Kiki Smith“(2013/2014) von Claudia Müller. Im Anschluss an den Film findet ein Gespräch zwischen der Regisseuri­n und Dr. Petra GiloyHirtz, Kuratorin der Ausstellun­g „Kiki Smith: Procession“im Haus der Kunst, statt.

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Rot und Rot gesellt sich gern: Mona Hatoum sucht die Schnittmen­ge zwischen Individuum und Gesellscha­ft

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