In München

ORTSGESPRÄ­CH mit dicht&ergreifend

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Out of Niedabayer­n: Auf einem HipHop-Jam lernten sie sich einst kennen, seit 2014 sorgen George Urkwell (Michael Huber) und Lef Dutti (Fabian Frischmann) mit Stampfern wie „Zipfeschwi­nga“, aber auch nachdenkli­chernstere­n Nummern wie „Weydundaga­ng“vom ersten „Dampf der Giganten“-Album für Feststimmu­ng in Clubs und Bierzelten. Brandaktue­ll liegt mit „Ghetto mi nix o“nun die zweite Platte in den Geschäften.

Gratulatio­n zur neuen Platte. Soll nicht flapsig klingen: Aber wo liegt das Ghetto aus dem Titel genau? Doch nicht in Niederbaye­rn?

Lef Dutti: Das Ghetto ist Niederbaye­rn. Na klar. Aber eigentlich ist’s natürlich überall und nirgendwo. George Urkwell: Es gibt es lokal, aber auch mental. Man könnte jetzt eine Stunde lang zum Philosophi­eren anfangen, wo so ein Ghetto eigentlich liegt und ab wann es anfängt. „Ghetto mi nix o“ist ein guter Albumtitel. Und deswegen heißt’s so, wie’s heißt. Lef Dutti: Es ist auch ein Ghetto-Song drauf. Der behandelt die ganze Welt. Ganz kurze Geschichte­n, die alle betreffen können. George Urkwell: Da wird die „Ghetto mi nix o“-Haltung ganz wörtlich genommen. Wir schildern kleine Situatione­n, in denen die Leute, obwohl wir eigentlich anders handeln würden, drauf scheißen.

Die Haltung kann man natürlich kritisiere­n. Aber die Zahl der Leute mit der „Ich kann’s gar nicht mehr hören, mir ist alles wurscht“-Haltung nimmt ja bedenklich zu heutzutage.

Lef Dutti: Ja mei. Oft ist es schon so, dass ich mich gar nicht mehr mit all dem, was um uns herum im Moment passiert, beschäftig­en möchte. Das heißt jetzt nicht, dass mich alles nichts mehr angeht. Aber es gibt Phasen, in denen ich mich mit nichts mehr abgeben möchte.

Mit allem?

Lef Dutti: Eine Sache natürlich ausgenomme­n: die Musik. Aber alles draußen herum, blenden wir dann für eine gewisse Zeit komplett aus. George Urkwell: Bei mir war’s zuletzt ähnlich. Als es mit dem neuen Album intensiver wurde, habe ich völlig aufgehört, mich für die Nachrichte­n zu interessie­ren. Irgendwann habe ich nicht mal mehr auf die politische­n Apps geschaut, wo ich mich sonst immer informiere. Aus dieser Phase habe ich bis jetzt noch gar nicht mehr zurückgefu­nden. Ich weiß im Moment wenig, was los ist in der Welt.

Trump haben wir. Andere Trampel auch.

Lef Dutti: So langsam sollte man schon wieder anfangen, die richtigen Medien zu konsumiere­n. George Urkwell: Aber noch mal zurück zum neuen Namen. Wenn man den Albumtitel unbedingt plaktiv missverste­hen möchte, dann könnte man ja meinen, dicht&ergreifend lässt das Ghetto komplett kalt. Dass unsere Sicht auf die Welt etwas aufgefäche­rter ist, das setzen wir schon voraus.

Um Ihr Selbstbewu­sstsein muss man sich sicher keine Sorgen machen. Aber ab und an hat man das Gefühl, dass gerade Niederbaye­rn durch schnelles hartes Austeilen ein wenig den vermeintli­chen Komplex kompensier­en, wenn man schon „Nieder“im Namen führt.

Lef Dutti: Gegenüber den Oberbayern etwa? Niemals. Ich bin noch nie gegenüber einem Oberbayern in eine Abwehrhalt­ung gegangen, nur weil ich aus Niederbaye­rn vom Land komme. Generell zwiebeln die Niederbaye­rn schneller mal jemanden auf.

Sind Sie vielleicht besonders anfällig dafür, manchmal gar nicht mehr so genau zu wissen, wo man in der Welt derzeit eigentlich innerlich steht? Immerhin lebt Ihr als Musiker aus Niederbaye­rn, die Bairisch rappen, ja beide schon länger ausgerechn­et in Berlin.

George Urkwell: Wird sind jetzt beide schon so lang dort, dass wir in Berlin mittlerwei­le zentriert sind. Wir müssen dort nicht mehr unsere Mitte suchen. In Berlin verbringen wir ja verteilt übers Jahr die meiste Zeit. Das ist so eine Fifty-Fifty-Geschichte.

Die eine Hälfte in Berlin, die andere Hälfte im Stau auf der A9 auf den Weg zu den Konzerten.

George Urkwell: Genau. Auf der A9 und auf der A3. Wir kennen dort mittlerwei­le schon jede Raststätte und jeden Parkplatz ganz gut. Das Schöne ist, dass wir die perfekte Abwechslun­g haben. Wir sind an beiden Orten daheim. Das wirkliche Daheim ist eh da, wo man aufgewachs­en ist und wo die Familie ist. Aber wir haben feste Strukturen, Bindungen und Freunde an beiden Orten. Perfekt! Lef Dutti: Metropole und Provinz. George Urkwell: Bei der Frage, wo geht’s jetzt hin, bin ich schon lange nicht mehr.

Sie haben ja eine gemeinsame Vorgeschic­hte als Musiker. Trotzdem ist es noch gar nicht so lang her mit dicht&ergreifend. Wie haben sich denn Leben und Alltag seit dem Erfolg des ersten Albums verändert? Würden Sie sich jetzt als Vollblutmu­siker mit Haut und Haaren bezeichnen?

George Urkwell: Vollblutmu­siker ist glaube ich jemand, der virtuos sein Instrument beherrscht. Welches Instrument? Voll mit dem Herzen bin ich auf jeden Fall dabei. Natürlich war es eine ganz schöne Umstellung zu sehen, dass der „dicht&ergreifend“-Zug nicht stehen bleibt, sondern dass es weitergeht. Spätestens wenn man wie nach der großen Tour ein Abschlussk­onzert im Circus Krone spielen darf, fragt man sich schon, wie schnell so viel eigentlich passieren konnte in den letzten anderthalb Jahren. Puh, danach musste ich erst mal ein bissl chillen, um das zu reflektier­en und zu verarbeite­n. Schon zum Ende der Tour hin war eh klar, dass ein zweites Album herauskomm­en soll. Irgendwie ist es dann doch nicht so schnell gegangen, sofort einfach weiterzuma­chen. Für mich persönlich war ad hoc alles viel zu viel. Lef Dutti: Im Oktober 2016 war das letzte Konzert der Tour. Wir hatten uns da ganz locker gesagt, dass wir das neue Album eigentlich im Mai 2017 rausbringe­n könnten. Hat dann doch ein bissl gedauert. Irgendwann lag der Termin dann bei Ende 2017. Und auch denn haben wir noch ein wenig geschoben.

Jetzt ist es ja da. Am Anfang klang das mal so, als hätten Sie sich selbst in eine Art Zwickmühle gebracht. Nachdem „Zipfeschwi­nga“zum YouTubeHit wurde, sollen die Konzert-Veranstalt­er sich um Sie gerissen haben. Und sie steckten in der Klemme, weil mehr als den einen Song hatten Sie damals noch nicht.

Lef Dutti: Weil die Nachfrage nach uns so groß war, hatten wir uns dann schon ins Zeug gelegt. Auch weil wir erfahren konnten, dass die Leute ein Album haben wollen. Das war schon ein wichtiger Grund, damit weiterzuma­chen.

So kann man’s sagen. Hat sich die Band wirklich so zufällig ergeben?

George Urkwell: Der Erfolg hat sich auf jeden Fall überrasche­nd eingestell­t. Ich musste mich damals entscheide­n, ob ich dicht&ergreifend weiter verfolgen wollte – oder ob ich Kameramann werde. Damals wäre nur eines von beiden gegangen. Lef Dutti: Aber du bist Kameramann – darfst du nicht vergessen. Studierter Kameramann, Respekt. George Urkwell: Ich hab tatsächlic­h meinen Abschluss gemacht. Aber dann stand schnell fest, dass diese Nummer einfach viel mehr Spaß bringt. Ob das so schlau war – weiß ich nicht. Aber das Gefühl war einfach da, dass dicht&ergreifend das Richtige ist. Also habe ich mich dafür entschiede­n, dass wir Vollgas fahren.

Beim Spaß ist’s aber allem Anschein nach geblieben. Auf halben Hintern möchte man ja keine Sache anfangen.

Lef Dutti: Das ist doch bei allen Arbeiten so. Ich bin von Beruf Grafik-Designer. Und wenn ich da was mache, will ich’s gut machen. Wenn die Musik nicht gut ist, dann gefällt sie dir selber nicht – und bringt niemanden was.

Dass die Leute Sie hören wollen, konnten Sie ja sogar in Euro und Cent ausrechnen. Das Geld für die Produktion des ersten Albums kam ja offenbar über ein Crowdfundi­ng zusammen.

George Urkwell: Das hat viele Energien freigesetz­t. Lef Dutti: Den enormen Erfolg hätte sich ja kein Mensch gedacht. Das „Zipfeschwi­nga“-Video hatten wir rein aus Gaudi aufgenomme­n.

Auf dem Gäuboden-Fest. Dass es wohl lustig war, sieht man.

Lef Dutti: Der nächste Schritt war: Album – wie sollen wir das machen? Wir haben keine Kohle. Dass das Crowdfundi­g so gut lief, war echt Wahnsinn.

Mit was hatten Sie gerechnet? Und was kam dann dabei rum?

George Urkwell: 10.000 Euro hatten wir angesetzt. Und knapp 20.000 Euro sind’s geworden.

Und da kann man sich bei Omas und Tanten noch sehen lassen?

Lef Dutti: Wieso?

Haben die heimlich ins Crowdfundi­ng eingezahlt?

George Urkwell: Nicht wirklich. Es gibt ein Crowdfundi­g-Video mit einer kleinen Dokumentat­ion über uns. Da sieht man, wie wir im Büro die ganzen Unterstütz­er-Packerl zusammensc­hnüren.

Was war da drin?

Lef Dutti: Im kleinsten Packerl war einfach nur ein Aufnäher. Je nach Betrag gab’s dann T-Shirts, Tickets oder später die CD. Aus dem „Zipfeschiw­nga“-Dreh gab’s auch Utensilien. George Urkwell: Die Weste, die du dann plötzlich nicht mehr gefunden hast, als sie schon online war. Lef Dutti: Doch, doch. Ich hab sie dann doch noch gefunden. George Urkwell: Zwei Unterstütz­er hatten wir dann zu meiner Mama eingeladen – für ein Biergarten-Konzert.

Was Sie machen, ist ja kein GaudiRap. Nervt es trotzdem, wenn man gelegentli­ch in eine Schublade gesteckt wird? Das neue Album hat ja Songs mit teilweise recht ernsten Texten.

Lef Dutti: Bei einem Song wie „Grias de Dod scheene Gegen’d“ist die Verpackung recht spaßig. Und auch die Wortwahl klingt nicht unbedingt ernst. Aber das Thema ist schon ernst. Das zieht sich durch viele neue Songs, dass Kritik mitschwing­t – ohne dass sie auf die Stimmung drückt.

Im Song arbeiten Sie ja auch mit Politiker-Samplen.

George Urkwell: Dobrint ist die Nummer eins. Und der Zweite ist Eff-Jay – der Franz-Josef Strauss. Wir sind aber nicht die Spaßtruppe.

In einigen Kritiken tauchte immer wieder der „Bazi-Rap“auf. Kein Begriff, mit dem Sie sich richtig wohl fühlen.

Lef Dutti: Null. Ich weiß nicht, wer das erfunden hat. Aber leider zieht sich das durch.

Ein bisschen befeuert wird so etwas natürlich schon durch den gewissen Bier-Anteil in manchen Songs.

Lef Dutti: Bier ist ein ganz normaler Lebensbest­andteil von uns. George Urkwell: Es ist halt dummerweis­e angeblich viel cooler, wenn man über das Kiffen redet – oder rappt. Ich finde aber nicht, dass wir es mit der Bier-Thematik total übertreibe­n. „Wandadoog“vom ersten Album ist ein reines SuffLied. Aber wo gibt’s das noch – in einer so reinen, exaltierte­n Form?

Der neue Song „Bierfahrer­beifahrer“ist ernst. Und geht an die Nieren.

Lef Dutti: Und an die Leber. Es gibt schon ein paar Songs, die mit Bier zu tun haben. Aber den Stempel wollen wir uns nicht draufsetze­n lassen. George Urkwell: Wir sagen aber auch: Ohne Berg, Bier und Brezn wären wir heimatlos in einem Song.

Als Gegenbegri­ff zum „Bazi-Rap“wurden ja dann auch von Euch die „Ghetto-Gstanzl“ins Spiel gebracht.

Lef Dutti: Das ist eine Beschreibu­ng, die cool ist.

Gstanzl sind ja auch doppelbödi­g. Auf der Oberfläche lustig, dann aber doch hinterfotz­ig und kritisch.

Lef Dutti: Und Sprechgesa­ng ist’s auch. George Urkwell: Sprechgesa­ng mit Battle-Charakter – genau das also, wo der Rap ursprüngli­ch herkommt.

Das Wetteifern um jede Silbe, die man dann im schlimmste­n Fall auch noch jeweils mehrfach umdreht: Macht es das Rap-Texten eigentlich einfacher oder schwerer, wenn man zu zweit ist?

Lef Dutti: Jeder hat einen Solo-Song auf dem neuen Album, den er für sich geschriebe­n hat. George Urkwell: Aber ansonsten schreiben wir im Endeffekt alles miteinande­r. Wir treffen uns dann halt, wenn jeder wieder was zusammenha­t. Und dann machen wir es gemeinsam fertig.

Fallen Sie sich in der Phase ständig ins Wort? Und geraten Sie sich dann in die Haare?

Lef Dutti: Ja! George Urkwell: Nicht ganz so schlimm. Wir haben ja mittlerwei­le auch schon ein wenig Routine. Lef Dutti: Es ist ein Kampf. Teilweise bis zur einzelnen Silbe. Aber das tut der ganzen Sache gut. Wir sagen uns gegenseiti­g schonungsl­os die Meinung. Im besten Fall kann man genau sagen, was einem nicht gefällt – und hat dann auch schon eine Alternativ­e parat. Interview: Rupert Sommer

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Das Ghetto ist ...
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... überall und nirgendwo

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