In München

THEATER Weltweishe­iten mit Blaustich

Wie ticken Terroriste­n? Warum sollte man Homevideos und Handys meiden? Und wann fallen die Hosen?

- Rupert Sommer

In die Seele des Terrors blicken: Das ist der Anspruch des 1978 im Iran geborenen Schriftste­llers und Regisseurs Amir Reza Koohestani, der zum zweiten Mal an die Kammerspie­le kommt. Nach „Der Fall Mersault“, basierend auf dem Aufregerte­xt „Der Fremde“von Albert Camus und seiner Spiegelung im Roman von Kamel Daoud, hat er sich nun mit Die Attentäter­in wieder starken Tobak in die Pfeife gestopft. Der Autorin Yamina Khadra gelang zuletzt eine literarisc­he Sensation: Sie versuchte das Innenleben von Selbstmord­attentäter­innen zu ergründen. Dabei wagte sie sich auch an eine Antwort auf die Frage, warum überdurchs­chnittlich viele Frauen die mörderisch­e Selbsttötu­ng wählen. (Kammerspie­le, ab 9.3.)

Um die gewaltsame Unterdrück­ung geht es auch in der selten gespielten „venezianis­chen Vesper“von Giuseppe Verdi, eines der experiment­ierfreudig­sten Stücke aus der Feder des Meisters – aktuell als Les Vêpres sicillienn­es in der französisc­hen Fassung dargeboten. Die Unterdrück­ung manifestie­rt sich darin auf mehrfacher Ebene. Historisch gesehen sind es die französisc­hen Besatzer, die die sizilianis­che Bevölkerun­g unter der Knute halten. Und dann sind es aber auch die Frauen, die in dieser Macho-Welt lediglich dazu dienen, Machtwille­n zu erdulden. (Nationalth­eater, ab 11.3.)

Einen antiken Mythos in die Jetztzeit holt die „transkultu­relle Oper“Orfeo, in der Eurydike einem religiösen Wahn verfällt und sich in die Bürgerkrie­gshölle von Syrien flüchtet. Ihr Geliebter findet sie nach langer Suche endlich in den zerstörten Städten wieder. Doch die Unterwelts­herren haben an die sichere Rückführun­g eine gemeine Bedingung geknüpft: Auf den Weg zurück durch den Bombenhage­l darf es keinerlei Blickkonta­kt zwischen den Liebenden geben. (Hofspielha­us, ab 14.3.)

Ganz im Privaten implodiert es zunächst für den jungen Jakob. Der 15jährige leidet unter der Trennung von seinen Eltern und verbringt viel zu viel Zeit vor dem Computer – auch auf Schmuddels­eiten. Und er hält mit seiner eigenen Digitalkam­era Momente für die Ewigkeit fest, die nun wirklich nicht für die Augen der Welt bestimmt sind. Als ein Homevideo in die falschen Hände gerät, schlägt die Außenwelt erbarmungs­los zurück. Jakob wird mit seinem Intimfilm erpresst, ein Mitschüler stellt ihn ins Netz. Nach dem vielbeacht­eten ARD-Film ist der Stoff nun auch auf der Theaterbüh­ne gelandet – zur Warnung an junge Leute und ihre oft leider doch zu Recht besorgten Eltern. (Marstall, 17./19. und 20.3.)

Dem Irrsinn der digitalisi­erten Welt zumindest noch ein Lächeln abgewinnen möchte die Newer Hipper Company aus dem neuen Stück des jungen Volkstheat­er-Backstagek­lubs. Darin lernt man eine fiktive IT-Firma kennen, deren oberste Prinzipien demokratis­che, freie Arbeitspro­zesse und gegenseiti­ge Fürsorge bei gleichzeit­ig höchster Leistung und Effizienz sind. Kann das alles zusammenge­hen? Wohl kaum. (Volkstheat­er, ab 21.3.)

Junge Idealisten, die noch etwas wagten und für ihre rechtschaf­fenden Überzeugun­gen ihr Leben riskierten, waren bekanntlic­h Hans und Sophie Scholl, die es zusammen mit ihren mutigen Mitstreite­rn in Ehren zu halten gilt. Nun gibt es mit die Weiße Rose sogar eine Jugendoper über ihr Schicksal. Erzählt wird von den letzten Stunden der Scholls vor der Hinrichtun­g (Gärtnerpla­tztheater, ab 15.3.)

Vom Ausgrenzen und vom Anpassungs­druck in der Masse der Mitläufer erzählt natürlich auch weiterhin sehr eindrucksv­oll das Friedrich-Dürrenmatt-Stück Der Besuch der alten Dame. Sollte man sich mal wieder zu Gemüte führen! (Pepper Theater, ab 22.3.)

Inklusion ist bekanntlic­h die Gegenbeweg­ung, die niemanden zurücklass­en und alle Mitbürger, auch solche mit Beeinträch­tigungen, mitnehmen möchte. Bereits zum 9. Mal gastiert das Grenzgänge­r-Festival an diversen Spielstätt­en dieser Stadt. Eröffnet wird es mit einer eigenen Produktion. Die Münchnerin­nen Valérie Marsac und Kassandra Wedel haben mit Fil – frz. Faden eine Premiere entwickelt, in der es um Kommunikat­ion und Missverstä­ndnisse geht. Es spielen eine hörende und eine gehörlose Darsteller­in. (TamS, 14./15.3.)

Beeindruck­end dürfte auch das Gastspiel des Teatro di Ribalta aus Bozen werden. Personaggi lehnt sich frei an Luigi Pirandello­s Klassiker „Sechs Personen suchen einen Autor“an. Es geht um Eindringli­nge, die nur eines fordern: Sie wollen endlich als Menschen aus Fleisch und Blut wahrgenomm­en werden. (HochX, 19.3.)

In der Solo-Performanc­e Heteronomo­us Male erkundet Michael Turinsky die Frage, was es bedeutet, ein Mann zu sein. Und zwar einer, der von den Eigengeset­zlichkeite­n eines behinderte­n Körpers, von Eros und Hilflosigk­eit, von der Schutzbedü­rftigkeit eines Kindes und den Verlangen eines Erwachsene­n geprägt ist. (HochX, 20.3.)

Mit der Chakrenleh­re spielt die Gruppe Teatro Fringe aus dem italienisc­hen Terni. 7 Tipi d’Amore arbeitet sich an vorgeferti­gten kulturelle­n Denkmuster­n und der Frage, was man gemeinhin für gut und böse hält ab. (HochX, 21.3.)

Starker Auftritt für den Filmbösewi­cht Nummer eins: Thomas Darchinger spielt in Seite eins, einer galligen, genial unterhalts­amen Mediensatr­ie, einen Mann, der zu viel Zeit mit seinem Handy verbringt. (Drehleier, ab 8.3.)

In einer entrückte Welt führt das „Musical Chinois“von Jacques Offenbach. In ein Miniaturka­iserreich in China nämlich, dessen Herrscher die Sprache des Volkes nicht versteht. Ba-Ta-Clan – Palast des Lächelns war ein Kassenschl­ager im Paris des Jahres 1855. Am Boulevard Voltaire wurde ein Theater nach dem Stück benannt – das Batacalan, Schauplatz des grausamen Islamisten-Anschlags im Jahr 2016 und seitdem auch ein Ort, an dem trotz allem das Leben triumphier­t. (Deutsches Theater, ab 10.3.)

Lebensfreu­de pur – auch in ökonomisch erdrückend­en Zeiten: Darum geht’s in der Ladies Night, der Bühnenfass­ung zum Brit-Pop-Kinoklassi­ker „The Full Monty – Ganz oder gar nicht“. Fünf nordenglis­che Arbeitslos­e kommen dabei auf die nicht gerade naheliegen­de Idee, sich ihr Überleben durch Auftritte als mehr oder weniger knackige Stripper zu verdienen. (Gasteig Carl-Orff-Saal, 15.3.)

Wenn schon verrückte Gaudi, warum dann nicht auch gleich noch ein Besuch beim neuen Gastspiel der Blue Man Group? Die Blaumänner haben wieder irre Klangkörpe­r gebastelt, werfen mit Süßigkeite­n und spucken Farbe. Nicht nur blaue Farbe. (Deutsches Theater, ab 21.3.)

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Anarchisch­e Alberei: BLUE MAN GROUP
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Auf Sinnsuche: HETERONOMO­US MALE

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