Ein wilder Haufen
Lorcas Frauen schreien auf: „In den Straßen keine Blumen“am Volkstheater
Eigentlich ist es ein freundlicher Raum. Mit dem hellblauen Bassin in der Mitte, wäre es nicht leer, würde es ganz schön nass werden im Lauf der Dinge. Drum herum das warme Hellbraun von zerbröseltem Kork, die Seitenwände sind mit weißen Tüchern behängt. Aber nach und nach werden diese heruntergerissen, und wir sehen, dass ihr feierliches Weiß nur eine kalte Realität verkleidet hat, nacktes Metall kommt zum Vorschein, ein Käfig, und am Ende ist Johanna Stenzels Bühne im Licht der Neonlampen nur noch Gefängnis. Hier führt Bernarda Alba das Regiment (in schwarzer Trauertracht: Margot Gödrös), und ihre Töchter, die sich gerade noch jede Menge Freiheit genommen haben (Yoga im Lotussitz, und mit einem A-capella-„Lick this pussy“, dem Song von Khia, haben sie sogar ein bisschen Provokation probiert), sind nun Eingesperrte, marschieren manisch vor und zurück, unter der Fuchtel der Alten. So endet die Uraufführung (für die es viel Applaus gibt) des neuen Textes von Charlotte Roos. Sie, die Düsseldorferin Jahrgang 1974, die in Köln lebt, die auch schon zusammen mit Juli Zeh Stücke geschrieben hat, greift hier für „In den Straßen keine Blumen“gleich auf vier der großen Dramen von Federico Garcia Lorca zurück, genauer: auf die Frauen und ihre Schicksale – „Bernarda Albas Haus“, „Bluthochzeit“, „Yerma“und „Dona Rosita bleibt ledig“. Auf Texte also, in denen es um Selbstfindung geht, um Sehnsucht und enttäuschte Hoffnung, um Gefühlsterror und Verzweiflung, um Zwang und Rache, und das immer im Kontext von Heirat und Ehe. Ein paar Männer werden an diesem Abend zwar auch gebraucht, aber Jonathan Hutter, Oleg Tikhomirov und Timocin Ziegler sind primär Projektionsflächen, sie dürfen ein bisschen mitspielen, auch mitblödeln: als tussige Glitzerbonbons. Aber wirklich was zu sagen haben hier nur die Frauen. Luise Deborah Daberkow, Carolin Hartmann, Pola Jane O’Mara, Laina Schwarz und Nina Steils sind ein wilder Haufen: verträumte Damen, aufgetakelte Ladies, bissige Vorstadtweiber, Powergirls, Satanstöchter, Leidensschwestern. Die Regie von Pinar Karabulut, die den Abend filmisch mit einem Vorspann beginnen lässt und mit moderatem Videoeinsatz die Empfindungen punktuell vergrößert, nimmt sich alles, was der Text von Roos/Lorca assoziativ hergibt: die tragische Note, das Elegische, die Poesie, die Ansprüche an Männer und das Leben überhaupt, die Rebellion, die Bedingungslosigkeit. Mal macht Karabulut Ernst. In beklemmender Konsequenz (lange würgt Yerma den Ungeliebten, bis er tot ist, und die anderen Frauen streicheln sie dabei), dann wieder wird ironisch gebrochen, übermütig auf einem Delfin durchs Becken gepaddelt oder man drapiert sich wie Botticellis Venus in einer Aufblasmuschel. Man murmelt und plärrt, man irrlichtert, tobt, rennt, tanzt, klettert. Ein durchaus chaotischer Abend, man blickt nicht immer durch, ein rumorender Abend, wie ein einziger Aufschrei: „Raus!“. Raus mit den Gefühlen, raus aus der eigenen Rolle, raus ins Leben. Das Manko: Wenn man vier große Lorca-Dramen in zweieinhalb Stunden packt, bleibt für die feinere Figurenentwicklung nicht die Zeit. So muss man sich abfinden mit den Setzungen und Volten dieses Abends, sonst wird man unglücklich und sehnt sich nach purerer Textpflege. Aber als probierfreudige Auseinandersetzung mit zugegeben nicht mehr ganz so heutig wirkenden Unterdrückungsmechanismen und vor allem als Futter für ein spielwütiges Ensemble spannend.