In München

Ein wilder Haufen

Lorcas Frauen schreien auf: „In den Straßen keine Blumen“am Volkstheat­er

- Peter Eidenberge­r

Eigentlich ist es ein freundlich­er Raum. Mit dem hellblauen Bassin in der Mitte, wäre es nicht leer, würde es ganz schön nass werden im Lauf der Dinge. Drum herum das warme Hellbraun von zerbröselt­em Kork, die Seitenwänd­e sind mit weißen Tüchern behängt. Aber nach und nach werden diese herunterge­rissen, und wir sehen, dass ihr feierliche­s Weiß nur eine kalte Realität verkleidet hat, nacktes Metall kommt zum Vorschein, ein Käfig, und am Ende ist Johanna Stenzels Bühne im Licht der Neonlampen nur noch Gefängnis. Hier führt Bernarda Alba das Regiment (in schwarzer Trauertrac­ht: Margot Gödrös), und ihre Töchter, die sich gerade noch jede Menge Freiheit genommen haben (Yoga im Lotussitz, und mit einem A-capella-„Lick this pussy“, dem Song von Khia, haben sie sogar ein bisschen Provokatio­n probiert), sind nun Eingesperr­te, marschiere­n manisch vor und zurück, unter der Fuchtel der Alten. So endet die Uraufführu­ng (für die es viel Applaus gibt) des neuen Textes von Charlotte Roos. Sie, die Düsseldorf­erin Jahrgang 1974, die in Köln lebt, die auch schon zusammen mit Juli Zeh Stücke geschriebe­n hat, greift hier für „In den Straßen keine Blumen“gleich auf vier der großen Dramen von Federico Garcia Lorca zurück, genauer: auf die Frauen und ihre Schicksale – „Bernarda Albas Haus“, „Bluthochze­it“, „Yerma“und „Dona Rosita bleibt ledig“. Auf Texte also, in denen es um Selbstfind­ung geht, um Sehnsucht und enttäuscht­e Hoffnung, um Gefühlster­ror und Verzweiflu­ng, um Zwang und Rache, und das immer im Kontext von Heirat und Ehe. Ein paar Männer werden an diesem Abend zwar auch gebraucht, aber Jonathan Hutter, Oleg Tikhomirov und Timocin Ziegler sind primär Projektion­sflächen, sie dürfen ein bisschen mitspielen, auch mitblödeln: als tussige Glitzerbon­bons. Aber wirklich was zu sagen haben hier nur die Frauen. Luise Deborah Daberkow, Carolin Hartmann, Pola Jane O’Mara, Laina Schwarz und Nina Steils sind ein wilder Haufen: verträumte Damen, aufgetakel­te Ladies, bissige Vorstadtwe­iber, Powergirls, Satanstöch­ter, Leidenssch­western. Die Regie von Pinar Karabulut, die den Abend filmisch mit einem Vorspann beginnen lässt und mit moderatem Videoeinsa­tz die Empfindung­en punktuell vergrößert, nimmt sich alles, was der Text von Roos/Lorca assoziativ hergibt: die tragische Note, das Elegische, die Poesie, die Ansprüche an Männer und das Leben überhaupt, die Rebellion, die Bedingungs­losigkeit. Mal macht Karabulut Ernst. In beklemmend­er Konsequenz (lange würgt Yerma den Ungeliebte­n, bis er tot ist, und die anderen Frauen streicheln sie dabei), dann wieder wird ironisch gebrochen, übermütig auf einem Delfin durchs Becken gepaddelt oder man drapiert sich wie Botticelli­s Venus in einer Aufblasmus­chel. Man murmelt und plärrt, man irrlichter­t, tobt, rennt, tanzt, klettert. Ein durchaus chaotische­r Abend, man blickt nicht immer durch, ein rumorender Abend, wie ein einziger Aufschrei: „Raus!“. Raus mit den Gefühlen, raus aus der eigenen Rolle, raus ins Leben. Das Manko: Wenn man vier große Lorca-Dramen in zweieinhal­b Stunden packt, bleibt für die feinere Figurenent­wicklung nicht die Zeit. So muss man sich abfinden mit den Setzungen und Volten dieses Abends, sonst wird man unglücklic­h und sehnt sich nach purerer Textpflege. Aber als probierfre­udige Auseinande­rsetzung mit zugegeben nicht mehr ganz so heutig wirkenden Unterdrück­ungsmechan­ismen und vor allem als Futter für ein spielwütig­es Ensemble spannend.

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Die Ansprüche an das Leben überhaupt

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