In München

In Love with these Times

- Harry Kämmerer

So lautet der Titel eines Samplers des neuseeländ­ischen Indie-Labels Flying Nun mit Songs aus den späten 80er Jahren mit den Chills, Verlaines oder Tall Dwarfes. Jugenderin­nerungen. Ja, manchmal erschrecke ich, ob ich auch schon an Retromania leide. Aber alles gut, solange es nicht Classic-Rock ist, der heute um finanzkräf­tige Noch-Plattenkäu­fer buhlt, mit 180-Gramm-Vinyl-Boxsets und dem ganzen Klimbim. Meine Wurzeln liegen neben 60ties Soul (mehr retro geht eh nicht) vor allem im IndieRock der späten 80er- und frühen 90erJahre. Manche der Bands und Musiker von damals beschäftig­en mich noch heute. Es ist gar nicht so lange her, dass ich den Flying-Nun-Sampler gekauft habe. Nicht im Internet, sondern wie ich es immer mache – im Laden, spontan und wie so oft in einer anderen Stadt, wenn ich unterwegs bin. Ich mag den Gedanken, beim Anhören der Platten zuhause gleich nochmal zu verreisen.

In Love with these Times finde ich an einem heißen Sommertag in Hamburg. Ich bin dienstlich hier und froh, dass der letzte Termin vorbei ist. Ich will noch ein bisschen was von der Stadt sehen, ein Eis essen, nichts reden, nur schauen. Ich streife durch das Schanzenvi­ertel, überall Leute, Autos, Obst- und Gemüsestän­de, Plastiktüt­en flattern über den Asphalt. Viele Tische vor den Lokalen sind bereits besetzt. Schließlic­h Stille in einer Backsteing­asse im Karolinenv­iertel. Aber nur kurz, dann brausender Verkehr. Jenseits der vierspurig­en Straße sehe ich das Stadion am Millerntor. Ein paar Meter die Straße runter erklingt laute Musik aus einem Hauseingan­g: eine raue Stimme, ein rumpliges Schlagzeug und breite Gitarrenak­korde. Den Verkehr höre ich jetzt nicht mehr. Wie ein Magnet zieht es mich in den Plattenlad­en im Hochparter­re, der durch die offene Tür die Straße beschallt. Kurz darauf blättere ich durch die Platten- und CD-Fächer und finde dort meine halbe Studentenz­eit. Viele Sachen aus Neuseeland, die ich ewig nicht mehr gehört habe. Ich stoße auf den Flying-Nun-Sampler und eine LP von The Cakekitche­n mit Graeme Jeffries. Ich hatte ganz vergessen, was der für eine unglaublic­he Stimme hat, so tief und warm. Mit den zwei Fundstücke­n gehe ich zur Kasse. Durch den Raum hallt immer noch die Musik, die mich hier reingelock­t hat. Die Stimme des Sängers balanciert auf einem schmalen Grat zwischen Euphorie und Verzweiflu­ng. Endlich frage ich den Ladenbesit­zer, was da für tolle Musik läuft. Richard Buckner, sagt er. Nie gehört. Oder klingelt da was? Irgendein Song auf einem Glitterhou­se-Sampler aus den frühen Neunzigern? Vielleicht. Das Album Impasse von Richard Buckner kaufe ich jedenfalls auch noch.

Mit diesen drei Platten kehre ich zurück nach München. Vor allem Richard Buckner bekomme ich in den nächsten Wochen kaum mehr aus dem Sinn und aus den Ohren. Der Soundtrack eines Sommernach­mittags in den Straßen von Hamburg. Inzwischen habe ich mir eine Handvoll weiterer Alben von Richard Buckner zusammenge­kauft. Mal spielt er mit Band, mal singt er nur zur akustische­n Gitarre, aber alle Songs atmen dieselbe herbe Schönheit. Ich habe recherchie­rt, was das für ein Typ ist: Richard Buckner ist mein Jahrgang, und auf den Fotos und Videos im Internet sieht er bereits etwas mitgenomme­n aus. Habe ich auch schon solche Gebrauchss­puren? Hoffentlic­h nicht. Offenbar läuft es karrierete­chnisch nicht so gut für Buckner. Trotzdem bringt er bis heute immer wieder wunderbare Songs und Platten raus und spielt kleine Konzerte in Bars und Wohnzimmer­n in den USA. Tja, nach Deutschlan­d kommt der bestimmt nie. Graeme Jeffries, der mal eine Zeit lang in Deutschlan­d gelebt hat, habe ich zumindest einmal in Landsberg gesehen. Ich war ganz hin und weg von dem schlaksige­n Mann mit der traurigen Stimme und der dröhnenden Flying-VGitarre. Richtig bekannt geworden ist Jeffries nie, obwohl er z.B. den wunderschö­nen Intro-Song für Leander Haußmanns Kinofilm „Sonnenalle­e“geschriebe­n und eingespiel­t hat. Wenn ich solche Musiker höre, denke ich mir immer wieder: ‚Warum können die nicht auch mal Erfolg haben?‘ Und gleichzeit­ig: ‚Wie denn? Wenn sie ihr Ding durchziehe­n, ihre Vision von Musik verfolgen, ohne nach links und rechts zu schauen.‘ Dass sie auch bei ausbleiben­dem kommerziel­len Erfolg nicht aufgeben, kann einen wundern, verdient aber vor allem eines: Bewunderun­g. Ich bin jedenfalls froh, wenn solche Typen immer weitermach­en und ich das Glück habe, sie irgendwann für mich zu entdecken.

Und noch ein letztes Fundstück aus der Vergangenh­eit, das mich bis heute verfolgt: das Debüt-Album von The Bathers. Ich entdecke es irgendwann in den späten 80er Jahren im WOM in Münchens Kaufingers­traße. Über einen der Kopfhörer, die von der Decke hängen, höre ich mir immer wieder die A-Seite dieser LP an. Schon den Albumtitel Unusual Places to die finde ich ungewöhnli­ch. Die Songs sind großer, mutiger Kitsch, mit bescheiden­en Mitteln produziert, und alles ist erleuchtet von der unfassbare­n Sandpapier­stimme des schottisch­en Sängers Chris Thomson. Leider reicht meine Kohle nicht, um die LP zu kaufen. Als ich wieder bei Kasse bin, ist die Platte nicht mehr im Laden. Ich kaufe irgendwas anderes und vergesse die Bathers erst einmal. Jahre später finde ich das Nachfolgea­lbum und staune erneut über die großartige Musik. Heute besitze ich alle Alben der Band – bis auf das eine. Das Debüt auf Go! Discs habe ich nicht mehr in die Finger bekommen.

Die Bathers hatten keinen Erfolg. Was mich immer noch erstaunt, weil die Band soviel mehr hatte als nur Indie-Appeal. Aber klar, das ist keine Ausnahme, was würden dann erst Bands wie die Go-Betweens sagen? Die Bathers sind komplett in der Versenkung verschwund­en. Es wäre fantastisc­h, wenn sich Chris Thomson nochmal aufrafft und ein neues Bathers-Album aufnimmt. Vielleicht würde heute sein seelenvoll­er Gesang bei mehr Menschen Gehör finden. Einen Hauch Hoffnung gibt es zumindest, wie der schottisch­e Journalist Peter Ross in der Times von 2016 zu einem Reunion-Konzert schreibt: „The Bathers are Scotland’s great lost band. They coulda, woulda, shoulda been big. They released seven albums between 1987 and 2001 and then vanished. Fifteen years of silence.“Bei dem Konzert 2016 vor kleinem Publikum in Glasgow war auch einer ihrer größten Fans dabei, der schottisch­e Bestseller-Autor Ian Rankin, der sogar in einem seiner Bücher eine Songzeile der Bathers zitiert. Chris Thomson hat zu dieser Zeit von einem neuen und letzten Album der Band mit dem Titel Sirinesque gesprochen. Bis heute ist es nicht erschienen. Keine Ahnung, ob das je passiert. Solange vertreibe ich mir die Zeit damit, in Secondhand­läden weiter nach dem Debüt-Album zu suchen. Klar, die LP würde ich im Internet kriegen, aber Spaß macht das ja keinen – „the joy is not the same without the pain“(Badly Drawn Boy).

... ist Redaktions­leiter des Südwest Verlags und freischaff­ender Krimiautor. Soeben ist sein neuester Roman „Kalter Kaffee“bei Heyne erschienen. Am 19.7. liest er ab 20 Uhr im Buch & Töne in Haidhausen.

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