THEATER Große bewegende Gedankenspiele
Sexperimente auf dem Oktoberfest, Gefühlsaufwallungen auf dem Miniplaneten und Stress für Sherlock Holmes
Es gibt viele Themen, die aufrütteln dieser Tage. Den Machern des mittlerweile bereits sechsten Think Big! #6-Festivals (13. bis 22.7.) ist wichtig, dass sich etwas bewegt. Und das ist ganz wörtlich zu nehmen: Was bewegt uns? Was muss passieren, dass man aufspringen und tanzen will? Natürlich sind da zunächst einmal die 13 Publikumsveranstaltungen an fünf Orten, die das derzeit Beste an jungen Tanz-, Musiktheater und Performance-Produktionen in die gerne mal als gesättigt und träge belächelte Stadt bringen. Doch damit allein geben sich großdenkende Fans natürlich nicht zufrieden: Think Big steht auch für viele Workshops und Mitmachaktionen für Kinder, Jugendliche, Lehrkräfte und Künstler, die zu nicht ganz alltäglichen Begegnungen und eben zur Freude an der Bewegung einladen. Kein Wunder, dass dabei auch die Schauburg unter der noch neuen Intendantin Andrea Gronemeyer nicht fehlen darf.
Ein Höhepunkt ist sicher das Girls, Gals, Sisters-Stück am Elisabethplatz, in der sich sechs Mädchen sehr zeitgemäße Fragen stellen, was es in unserer Zeit heißt, eine junge Frau zu seien. Eine Spielzeit lang haben sich die Tänzerinnen mit der Frage beschäftigt und sie theatral erforscht – zwischen Kindund Erwachsen-Sein, zwischen Spaß und Leistungsdruck, zwischen Freiheit und Beengtheit und zwischen Glitzer und Dreck. (Schauburg, ab 12./13.7.)
Die üblichen Theater-Gattungsgrenzen möchte dann gleich die zweite große Think Big-Premiere in der Schauburg sprengen. Die Produktion Nothing Twice versteht sich als ein Stück HipHop für die Bühne. Und da wirbeln dann Breakdancer durch den Raum, Graffitis glühen an den Theaterwänden und heiße Beats peitschen durchs Foyer. (Schauburg, 13./14.7.)
Von der Energie eines jungen Ensembles aus Israel ist die Choreografie 360° der Kibbutz Contemporary Dance Company geprägt. Dynamisch und wild, zart und liebevoll sind ihre Bewegungen, die immer auch Begegnungsangebote sind. Denn die Protagonisten der bereits 1970 gegründeten Company lieben es, das Publikum zu berühren (das im ganz wörtlichen Sinne) und einzubinden. (Muffathalle, 13.7.)
Deutlich vorsichtiger gehen zunächst die Akteure aus dem The Basement der holländischen Truppe Theater Strahl/De Dansers vor: Die zwei Musiker und zwei Tänzer bemühen sich um einen zögerlichen Erstkontakt, ziehen sich dann aber sofort wieder zurück und verstecken sich. Dann wieder stürmen sie aggressiv aufeinander ein, dimmen die Lautstärke trotzdem rasch wieder ab. Es geht ums Gefühlschaos im Spannungsfeld von Allein- und Zusammensein, um den stetigen Kampf von Nähe und Distanz – bis zur Erschöpfung. (Muffathalle, 17.7.)
Nichts mit dem #Think Big! #6-Festival zu tun, obwohl die feinfühlige Versuchsanordnung auch dorthin passen würde, hat das Lucky Bastards-Stück aus dem jungen Backstageklub. Die jungen Protagonisten wollen wissen, wie man glücklich wird und was diese vielbeschworene Glück überhaupt sein soll. Und warum, verdammt Axt, gibt es auf der Welt so wenig davon ? Und welcher Zyniker hat sich ausgedacht, dass Glück immer nur nahe am Unglück glänzt? (Volkstheater, 13./14.7.)
Die ganz großen, klebrigen Glücksversprechen kommen ja derzeit stets aus dem Silicon Valley, dem schon länger nicht mehr ganz zu trauen ist. Leben, wohnen, lieben, streiten wir uns wirklich immer so schön vernetzt gemeinsam? Die Kammerspiele-Aktion X Shared Spaces möchte das herausfinden und schickt dafür wieder Schauspieler und Künstler auf die Piste. Erforscht werden soll die Welt der sogenannten Digital Natives im Münchner Stadtraum. Haben wir alle wirklich etwas davon, wenn wir uns bei Airbnb, DriveNow, Uber, Grindr und Tinder zusammenrotten, entblößen und gegenseitig ausbeuten? (Diverse Orte, 19. bis 22.7.)
Ihre Feldforschung im Freien hat die Schauspielerin Mona Vojacek Koper bereits hinter sich: Sie hatte sich im vergangen Jahr für ihre Performance-Projekt Sorry not Sorry auf dem Oktoberfest getummelt und dort natürlich Erfahrungen fürs Leben gesammelt. Unterschied zu so manchem Normalsäufer: Koper kann sich sogar daran erinnern. Kernthema ihre Analyse: Nicht nur vor Ort wird man als Frau immer der Objekthaftigkeit ausgesetzt (um es jetzt einmal ein wenig geschwollen auszudrücken). Allerdings hatte sie sich auch wirklich viel abverlangt: In einer bizarren „Promilla“-Verkleidung klapperte sie die Bierzelte ab und verkaufte Alkoholtests, für die die Absolventen eine Urkunde bekamen. München bekommt nun den Theaterabend. (HochX, 25./26.7. und 5./6.10.)
Wer nicht ganz Unähnliches, dargestellt von tollen Charakterdarstellern wie Peter Rappenglück („München 7“, „Dahoam is dahoam“) und Michele Oliveri, dann aber im Commedia dell’Arte-Venedig und in prachtvollen historischen Kostüm, sehen möchte, der sollte sich auf Carlo Goldonis Liebesreigen Mirandolina einlassen. Titelheldin ist die gleichnamige ebenso hübsche wie kluge Wirtin (gespielt von Mariella Ahrens), die gleich von mehreren Galanen gleichzeitig, darunter auch ihr eigener Kellner Fabrizio, nach allen Regeln der Gockelei umgarnt wird. Doch die Rechnung präsentiert am Schluss eben doch die Wirtin: Und die hat es so faustdick hinter den Ohren, dass allen Männern schwindlig werden muss. Schmissig inszeniert, das Ganze. (Komödie im Bayerischen Hof, bis 29.7.)
Einmal bei der gelungenen Unterhaltung angekommen, muss man natürlich auch noch die Sherlock-Holmes-Nebelschleicherei The Hound of the Baskervilles in der Musical-Fassung mitnehmen. Clou der Produktion: extra viel Monty-PythonHumor, rasante Rollenwechsel, Straßentheater-Slapstick und viel Wortwitz. (Deutsches Theater, 17. bis 21.7.)
Ähnlich schwungvoll rattert die legendäre Andrew-Lloyd-Webber-Rockoper Jesus Christ Superstar, inszeniert von Staatsintendant Josef E. Köpplinger, über die Bühne. Eingängige Soul-Nummern, gefühlvolle Balladen, monumentale Chor-Wuchte und dröhnende Rockmusik: Was will der gar nicht so linientreue Christenmensch mehr? (Gärtnerplatztheater, ab 19.7.)
Und dann wäre da natürlich noch der feinfühligste Exilant der Literaturgeschichte: Auf seinem Miniplaneten hat sich Der kleine Prinz mit dem extragroßen Herzen (kongenial dargestellt von Ferdinand Schmidt-Modrow) gemütlich gemacht. Als dann ein Bruchpilot bei ihm im Nirgendwo landet, ist echte Mitmenschlichkeit gefragt. Und natürlich die alte Kalenderspruchweisheit: Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar. (Hofspielhaus Open Air, ab 12.7.)
Zu guter Letzt sollte man sich das Finale des diesjährigen Giesinger Kulturpreises nicht entgehen lassen – unter dem Andy-Warhol-Titel 15 Minutes of Fame. Den fünf Finalisten, allesamt Spezialisten fürs wirklich einfallsreiche moderne Figuren- und Objekttheater, bleibt jeweils nur eine Vierteilstunde, um Publikum und Jury hinzureißen. Sollte klappen. (Versicherungskammer Bayern, Warngauer Str. 30, 26.7.)