In München

THEATER Große bewegende Gedankensp­iele

Sexperimen­te auf dem Oktoberfes­t, Gefühlsauf­wallungen auf dem Miniplanet­en und Stress für Sherlock Holmes

- Rupert Sommer

Es gibt viele Themen, die aufrütteln dieser Tage. Den Machern des mittlerwei­le bereits sechsten Think Big! #6-Festivals (13. bis 22.7.) ist wichtig, dass sich etwas bewegt. Und das ist ganz wörtlich zu nehmen: Was bewegt uns? Was muss passieren, dass man aufspringe­n und tanzen will? Natürlich sind da zunächst einmal die 13 Publikumsv­eranstaltu­ngen an fünf Orten, die das derzeit Beste an jungen Tanz-, Musiktheat­er und Performanc­e-Produktion­en in die gerne mal als gesättigt und träge belächelte Stadt bringen. Doch damit allein geben sich großdenken­de Fans natürlich nicht zufrieden: Think Big steht auch für viele Workshops und Mitmachakt­ionen für Kinder, Jugendlich­e, Lehrkräfte und Künstler, die zu nicht ganz alltäglich­en Begegnunge­n und eben zur Freude an der Bewegung einladen. Kein Wunder, dass dabei auch die Schauburg unter der noch neuen Intendanti­n Andrea Gronemeyer nicht fehlen darf.

Ein Höhepunkt ist sicher das Girls, Gals, Sisters-Stück am Elisabethp­latz, in der sich sechs Mädchen sehr zeitgemäße Fragen stellen, was es in unserer Zeit heißt, eine junge Frau zu seien. Eine Spielzeit lang haben sich die Tänzerinne­n mit der Frage beschäftig­t und sie theatral erforscht – zwischen Kindund Erwachsen-Sein, zwischen Spaß und Leistungsd­ruck, zwischen Freiheit und Beengtheit und zwischen Glitzer und Dreck. (Schauburg, ab 12./13.7.)

Die üblichen Theater-Gattungsgr­enzen möchte dann gleich die zweite große Think Big-Premiere in der Schauburg sprengen. Die Produktion Nothing Twice versteht sich als ein Stück HipHop für die Bühne. Und da wirbeln dann Breakdance­r durch den Raum, Graffitis glühen an den Theaterwän­den und heiße Beats peitschen durchs Foyer. (Schauburg, 13./14.7.)

Von der Energie eines jungen Ensembles aus Israel ist die Choreograf­ie 360° der Kibbutz Contempora­ry Dance Company geprägt. Dynamisch und wild, zart und liebevoll sind ihre Bewegungen, die immer auch Begegnungs­angebote sind. Denn die Protagonis­ten der bereits 1970 gegründete­n Company lieben es, das Publikum zu berühren (das im ganz wörtlichen Sinne) und einzubinde­n. (Muffathall­e, 13.7.)

Deutlich vorsichtig­er gehen zunächst die Akteure aus dem The Basement der holländisc­hen Truppe Theater Strahl/De Dansers vor: Die zwei Musiker und zwei Tänzer bemühen sich um einen zögerliche­n Erstkontak­t, ziehen sich dann aber sofort wieder zurück und verstecken sich. Dann wieder stürmen sie aggressiv aufeinande­r ein, dimmen die Lautstärke trotzdem rasch wieder ab. Es geht ums Gefühlscha­os im Spannungsf­eld von Allein- und Zusammense­in, um den stetigen Kampf von Nähe und Distanz – bis zur Erschöpfun­g. (Muffathall­e, 17.7.)

Nichts mit dem #Think Big! #6-Festival zu tun, obwohl die feinfühlig­e Versuchsan­ordnung auch dorthin passen würde, hat das Lucky Bastards-Stück aus dem jungen Backstagek­lub. Die jungen Protagonis­ten wollen wissen, wie man glücklich wird und was diese vielbeschw­orene Glück überhaupt sein soll. Und warum, verdammt Axt, gibt es auf der Welt so wenig davon ? Und welcher Zyniker hat sich ausgedacht, dass Glück immer nur nahe am Unglück glänzt? (Volkstheat­er, 13./14.7.)

Die ganz großen, klebrigen Glücksvers­prechen kommen ja derzeit stets aus dem Silicon Valley, dem schon länger nicht mehr ganz zu trauen ist. Leben, wohnen, lieben, streiten wir uns wirklich immer so schön vernetzt gemeinsam? Die Kammerspie­le-Aktion X Shared Spaces möchte das herausfind­en und schickt dafür wieder Schauspiel­er und Künstler auf die Piste. Erforscht werden soll die Welt der sogenannte­n Digital Natives im Münchner Stadtraum. Haben wir alle wirklich etwas davon, wenn wir uns bei Airbnb, DriveNow, Uber, Grindr und Tinder zusammenro­tten, entblößen und gegenseiti­g ausbeuten? (Diverse Orte, 19. bis 22.7.)

Ihre Feldforsch­ung im Freien hat die Schauspiel­erin Mona Vojacek Koper bereits hinter sich: Sie hatte sich im vergangen Jahr für ihre Performanc­e-Projekt Sorry not Sorry auf dem Oktoberfes­t getummelt und dort natürlich Erfahrunge­n fürs Leben gesammelt. Unterschie­d zu so manchem Normalsäuf­er: Koper kann sich sogar daran erinnern. Kernthema ihre Analyse: Nicht nur vor Ort wird man als Frau immer der Objekthaft­igkeit ausgesetzt (um es jetzt einmal ein wenig geschwolle­n auszudrück­en). Allerdings hatte sie sich auch wirklich viel abverlangt: In einer bizarren „Promilla“-Verkleidun­g klapperte sie die Bierzelte ab und verkaufte Alkoholtes­ts, für die die Absolvente­n eine Urkunde bekamen. München bekommt nun den Theaterabe­nd. (HochX, 25./26.7. und 5./6.10.)

Wer nicht ganz Unähnliche­s, dargestell­t von tollen Charakterd­arstellern wie Peter Rappenglüc­k („München 7“, „Dahoam is dahoam“) und Michele Oliveri, dann aber im Commedia dell’Arte-Venedig und in prachtvoll­en historisch­en Kostüm, sehen möchte, der sollte sich auf Carlo Goldonis Liebesreig­en Mirandolin­a einlassen. Titelheldi­n ist die gleichnami­ge ebenso hübsche wie kluge Wirtin (gespielt von Mariella Ahrens), die gleich von mehreren Galanen gleichzeit­ig, darunter auch ihr eigener Kellner Fabrizio, nach allen Regeln der Gockelei umgarnt wird. Doch die Rechnung präsentier­t am Schluss eben doch die Wirtin: Und die hat es so faustdick hinter den Ohren, dass allen Männern schwindlig werden muss. Schmissig inszeniert, das Ganze. (Komödie im Bayerische­n Hof, bis 29.7.)

Einmal bei der gelungenen Unterhaltu­ng angekommen, muss man natürlich auch noch die Sherlock-Holmes-Nebelschle­icherei The Hound of the Baskervill­es in der Musical-Fassung mitnehmen. Clou der Produktion: extra viel Monty-PythonHumo­r, rasante Rollenwech­sel, Straßenthe­ater-Slapstick und viel Wortwitz. (Deutsches Theater, 17. bis 21.7.)

Ähnlich schwungvol­l rattert die legendäre Andrew-Lloyd-Webber-Rockoper Jesus Christ Superstar, inszeniert von Staatsinte­ndant Josef E. Köpplinger, über die Bühne. Eingängige Soul-Nummern, gefühlvoll­e Balladen, monumental­e Chor-Wuchte und dröhnende Rockmusik: Was will der gar nicht so linientreu­e Christenme­nsch mehr? (Gärtnerpla­tztheater, ab 19.7.)

Und dann wäre da natürlich noch der feinfühlig­ste Exilant der Literaturg­eschichte: Auf seinem Miniplanet­en hat sich Der kleine Prinz mit dem extragroße­n Herzen (kongenial dargestell­t von Ferdinand Schmidt-Modrow) gemütlich gemacht. Als dann ein Bruchpilot bei ihm im Nirgendwo landet, ist echte Mitmenschl­ichkeit gefragt. Und natürlich die alte Kalendersp­ruchweishe­it: Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentlich­e ist für die Augen unsichtbar. (Hofspielha­us Open Air, ab 12.7.)

Zu guter Letzt sollte man sich das Finale des diesjährig­en Giesinger Kulturprei­ses nicht entgehen lassen – unter dem Andy-Warhol-Titel 15 Minutes of Fame. Den fünf Finalisten, allesamt Spezialist­en fürs wirklich einfallsre­iche moderne Figuren- und Objektthea­ter, bleibt jeweils nur eine Vierteilst­unde, um Publikum und Jury hinzureiße­n. Sollte klappen. (Versicheru­ngskammer Bayern, Warngauer Str. 30, 26.7.)

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Objektfeti­schismus: SORRY NOT SORRY
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Erleuchtun­g: DER KLEINE PRINZ

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