AUSSTELLUNGEN Der Schein bestimmt das Sein
Irritierende Skulpturen, Licht im Raum, Filme, Müßiggang und die Frage nach dem Ich
Ein Stein ist schwer, eine Feder ist leicht, eine reife Tomate weich, Stahl kalt, und Zucker klebt. Diese Materialeigenschaften lernt man schon sehr früh. Und in der Regel kann man sich auch darauf verlassen. Also was aussieht wie Stein, ist ein Stein. Nicht so bei Fabio Viale. Der italienische Bildhauer spielt mit Schein und Sein und unseren Sehgewohnheiten. Da liegt ein Papierflieger auf dem Boden, gerade gelandet, zerknitterte Oberfläche, weiß, leicht durchscheinend ... Aber Obacht! Dieser Flieger ist, Sie ahnen es bereits, nicht das, was er scheint, sondern aus massivem Marmor. Autoreifen, Dübel, Holzkisten – Viale lässt den Schein das Sein bestimmen, indem er die Oberfläche des Steins so bearbeitet, dass er wahlweise aussieht wie Gummi, Plastik oder Holz. Unter dem Titel In Stein gemeißelt ... (12. Juli bis 30. September, Katalog) kombiniert die Glyptothek diese modernen Skulpturen mit antiken Marmorarbeiten und fordert uns so auf, mal wieder unsere Wahrnehmung der Welt zu hinterfragen.
Einerseits ist Licht unglaublich selbstverständlich. Es ist einfach da. Zumindest tagsüber. Andererseits ist Licht wahnsinnig abstrakt. Nicht zu fassen. Eine Form der elektromagnetischen Strahlung. Für unser Auge ist Licht ein Sinnesreiz. Für Dan Flavin war Licht Material und Farbe. Mit denen er Räume erkundete und Architektur sichtbar machte. Los ging es 1963, damals schraubte er eine Leuchtstoffröhre in einem 45-Grad-Winkel an die Wand seines Ateliers – nannte das Objekt „The diagonal of May 25, 1963“und war zufrieden. Die Kunstwelt wusste erst einmal nicht, was anfangen, reagierte teils irritiert, teils begeistert, und Flavins Karriere nahm Fahrt auf. Mit der Zeit wurden seine Installationen immer raumgreifender – 1969 baute er den ersten Lichtkorridor, blieb aber der minimalistischen Leuchtstoffröhre treu. 1968 und 1977 nahm der 1933 in New York geborene Künstler an der Documenta teil, 1994 machte er Station in München und entwickelte eigens für die Eröffnungsausstellung des Kunstbaus die Installation Untitled (for Ksenija), mit der er die besondere Architektur der Ausstellungsräume in mystisch buntes Licht tauchte, verfremdete
und so erst richtig sichtbar machte. Ein Raum aus Licht, Form und Farbe. Wer damals nicht dabei sein konnte, sollte jetzt die Gelegenheit (17. Juli bis 30. September) nutzen. Wer weiß, wann
das nächste Mal sein wird.
Und weil wir schon mal da sind, gehen wir auch gleich rüber ins Lenbachhaus, in die Ausstellung Marcia Hafif: Films (16. Juli bis 30. September). Rot, Blau, Gelb, Grün, Grau in sämtlichen Abstufungen und meist quadratisch – Hafif ist eine der bekanntesten und bedeutendsten Künstlerin, die sich vor allem mit monochromer Malerei beschäftigt hat. Ihre Arbeiten hängen weltweit in wichtigen Museen und Sammlungen – auch das Lenbachhaus hat über 20 Malereien und Zeichnungen im Lager. Und da bleiben sie vorerst auch, denn jetzt geht es um Hafifs filmisches Werk, das über mehrere Jahrzehnte hinweg in Kalifornien, Indien und New York entstand. Eigens für diese Ausstellung digitalisierte die 1929 in Kalifornien geborene Künstlerin ihre frühesten, bisher kaum bekannten Werke und komplettierte so ihr Filmarchiv aus den 1970er und 1990er Jahren. Kurz darauf, im April, ist sie mit 88 Jahren gestorben.
Meist ist im Südflügel im Haus der Kunst nicht viel los. Das ändert sich jetzt. Vom 21. bis 29. Juli präsentiert der Künstlerverbund dort 25 zeitgenössische, künstlerische Positionen. Pause (prelude) ist Thema, Motto und Titel zugleich. Ruhe, Stillstand, Ausruhen, Regeneration ... Wer aktiv ist, braucht auch passive Phasen, in denen sich Geist und Körper ordnen, sortieren und neu
ausrichten können. Künstler wie Beate Engl, Leoni Felle, Trude Friederich, Ute Heim, Klara Hobza, Tom Moody oder Peter Sauerer loten die gesellschaftliche Ambivalenz des Nichtstuns aus: Ist das Faulheit oder eine schöpferische Pause? Warum denken wir immer, produktiv sein zu müssen. Welche Rolle spielt dabei unser Leistungsdenken? Und warum haben wir ein schlechtes Gewissen, wenn wir am Ende eines Tages nichts vorzuweisen haben als die Löcher, die wir in die Luft geschaut haben? Vielleicht weiß ja das geladene „Institut für Leistungsabfall“von Martin Krejci mehr dazu (Performance am Sonntag, den 22. Juli, alle Performances und weitere Termine unter: kvhdk-muc.de)
Wer bin ich? Ja, ich halt. Ja schon, aber wer genau ist dieses Ich? Im Laufe eines Lebens kommt man nicht umhin, sich diese Fragen ab und an zu stellen. Um herauszufinden, wer und wie man gerade ist. Ob und wie man sich verändert hat. Heute macht man das täglich mehrmals, und man nennt es Selfie. Momentaufnahmen des Selbst. Früher zeichnete man oder malte man das, was man sah. Das wohl älteste Portrait hat man 2006 in einer Höhle in der Nähe von Angoulême in Westfrankreich gefunden: drei Striche, Auge, Nase und Mund. Die Porträtmalerei ist also eine sehr alte Kunstform, der das muca jetzt eine Ausstellung widmet: Imago (18. Juli bis 4. November). Über 30 Künstler und Künstlerinnen aus fünf verschiedenen Kontinenten wurden eingeladen, ein Portrait ihrer Wahl und ihres Mediums zu interpretieren. Allesamt aus der Urban Art Szene, alles Künstler, die sich mit den verschiedenen Epochen der Kunstgeschichte auseinandersetzen.