BELÄSTIGUNGEN
Selbstversuch: raus aus dem inneren Exil, einen ganzen Tag lang „auf dem laufenden“bleiben! Das geht am besten mit Nachrichten. Zum Glück betreibt der Bayerische Rundfunk einen eigenen Nachrichtensender, der selbst mit modernen Digitalradios einigermaßen verständlich empfänglich ist. Einschalten, los geht‘s: „Bayern möchte Flüchtlinge, die bereits in einem anderen EU-Land registriert sind, an der Grenze zurückweisen“, lautet die erste Meldung. Schon beginnt das Denken: Schlaue Idee! Da Deutschland zwar der größte Fluchtverursacher in der EU, aber nahtlos von anderen EU-Ländern umgeben ist, kommt so kein einziger Flüchtling mehr auf deutschen Boden, und der durchschnittliche AfD-Nazi (der offenbar auch der deutsche Durchschnittsbürger ist, weil sich an seinen ideologischen Blähungen der gesamte Politikbetrieb abarbeitet) grunzt zufrieden. Es gibt aber ja andere Themen, nicht wahr? Offenbar nicht. „B5 aktuell“wiederholt „... möchte Flüchtlinge, die bereits in einem anderen EU-Land registriert sind, an der Grenze zurückweisen“in den folgenden Stunden circa hundertmal, dazwischen ein bißchen Sprachschaum über „Beratungen“. Blick in die Statistik: Die Zahl der Flüchtlinge, die in Deutschland ankommen, ist unerheblich. Also denkt man: Was soll‘s? Die wichtigen (oder wenigstens andere) Sachen werden gleich kommen. Kommen aber nicht. Unermüdlich mahlt die Mühle weiter: „möchte Flüchtlinge, die bereits in einem anderen EU-Land registriert sind, an der Grenze zurückweisen“. Ja, was möchten die denn zurückweisen, wenn da eh nichts kommt? Das erläutert zwischendurch ein Kommentator oder Experte. Zusammengefaßt: „Bla.“Skandale? Probleme? Vorkommnisse? Nichts dergleichen. Doch, ein bisserl schon: Börsengeplapper; die Anlieger zeigen sich wegen irgendAugen was „verunsichert“, „abwartend“oder so. Eine Autobahnraststätte, heißt es, sei wegen Sprengstoffverdacht geräumt worden. Sprengstoff wurde dann aber nicht gefunden. Passiert ist also: nichts. Das gilt so ähnlich auch für den Atomkrieg und die Flüchtlinge, und so keimt in mir ein Verdacht: Im Radio wird offenbar nur gemeldet, was nicht passiert. Aber wozu? Klar – der Bürger muß wissen, was alles passieren könnte! Sprengstoff! Terror! Flüchtlinge! Apropos: „... möchte Flüchtlinge, die bereits in einem anderen EU-Land registriert sind, an der Grenze zurückweisen“, tönt es aus dem Hintergrund. Weshalb sich der BR solche Mühe gibt, dutzende Korrespondenten und Reporter bezahlt, um ein ganzes Tagesprogramm mit Fake News zu füllen, ist mir dennoch ein Rätsel. Aber wie soll man nachdenken, wenn man schon wieder hören muß: „... möchte Flüchtlinge, die bereits in einem anderen EU-Land registriert sind, an der Grenze zurückweisen“? Derweil: werden Familien aus ihren Wohnungen geworfen, Städte bombardiert, Stadtteile in Luxusburgen verwandelt, denkmalgeschützte Häuser abgerissen, Landschaften vergiftet, asphaltiert und zubetoniert, Schaufenster von Immobilienhändlern eingeschlagen, Baumaschinen angezündet, Menschen entlassen, vertrieben, mißhandelt, beleidigt, verelendet, krank gemacht, verurteilt, ausgebeutet, gedemütigt, auf Autobahnen zerquetscht und zerfetzt (das immerhin führt gelegentlich zu der Mitteilung: „Zwischen X und Y acht Kilometer stockend“), werden Lebensmittel vernichtet, Pflanzen verpestet, Tiere mißhandelt, zerwurstet, artenweise ausgerottet, Grundnahrungsmittel patentiert, Wasserquellen privatisiert, und dieser größte Skandal der Weltgeschichte, den wir behelfsmäßig „Kapitalismus“nennen, spielt sich ununterbrochen vor unseren ab. Und der Rundfunk meldet: „möchte Flüchtlinge, die bereits in einem EU-Land registriert sind ...“Bleibt am Ende nur: die Flucht. Weg von Menschen und ihren Nachrichtenmaschinen, bevor das Gehirn in den Lähmungszustand verfällt, den wir von den Gesichtern namenloser Autoinsassen und Karrierearbeiter kennen. Es dauert eine Weile, bis sich der geistige Giftnebel lüftet. Dann hört man zwar noch das infernalische Röhren des Mittleren Rings, der den Skandal symbolisch verkörpert, aber nur aus der Ferne und momentweise übertönt vom lieblichen Gezwitscher der Vögel, die z. B. melden: „Tschilp! Tirili tröt brätirrri rilirirrrötilari!“Was das heißt, können wir mangels Sprachkenntnis nur ahnen. Ist auch egal, weil vor allem idyllisch und schön. Allerdings fällt mit der Zeit etwas auf: „Tschilp! Tirili tröt brätirrri rilirirrrötilari!“ertönt ohne große Variation immer wieder, im Fünfminutentakt; auch die Antworten der anderen gleichen sich: „Krah! Krah! Piep! Piep! Krah! Piep!“Kann es sein, daß sich der Vogel (als solcher) unbemerkt in einen Menschen verwandelt hat und „Tschilp! Tirili tröt brätirrri rilirirrrötilari!“nichts anderes heißt als „... möchte Flüchtlinge, die bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden, an der Grenze zurückweisen“? Oder ist der seltsame Vorgang mal wieder ein Beweis für die These, daß auch der Mensch nur ein Teil des Tierreichs ist und deswegen – wie der Hund bellt, die Katze jault, die Kuh muht, das Pferd wiehert, der Hahn kräht – von Zeit zu Zeit seinen Signalruf ausstoßen muß, zufällig eben „... möchte Flüchtlinge, die bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden, an der Grenze zurückweisen“? Wir wissen es nicht. Und weil es in der ganzen Welt offensichtlich keinerlei Quelle für irgendwelche Informationen gibt, die über Signalrufe hinausgehen, werden wir‘s nie erfahren.