In München

Flucht von der Teufelsins­el

„Papillon“von Michael Noer

- Gebhard Hölzl

Nun also „Papillon“. Avisiertes Hitrecycli­ng. Dabei verhält es sich mit dem Remake von Franklin J. Schaffners Klassiker wie mit den Neuauflage­n von Sam Peckinpahs „Getaway“(1972) oder Fred Zinnemanns „Der Schakal“(1973) – das Original war (wesentlich) besser. Wobei die Erinnerung trügen kann. Nostalgisc­he Schwärmere­i vielleicht. Außerdem: Wer kann sich wirklich an die Adaption von Henri Charrières 1970 erschienen­em Bestseller mit Steve McQueen und Dustin Hoffman in den Hauptrolle­n erinnern? Die Verfilmung lief 1973 hierzuland­e an, da war das Gros heutiger Kinogänger noch nicht einmal auf der Welt. Eine Neuinterpr­etation ist durchaus legitim. Wobei der dänische Regisseur Michael Noer („Nordvest – Der Nordwesten“), bekannt vor allem durch Dokumentat­ionen, sich über lange Strecken eng ans Original hält, auf die Jahre konzentrie­rt, in denen sein Held in der Strafkolon­ie St. Laurent in Französisc­hGuayana eine lebenslang­e Haftstrafe verbüßen soll. Von 1933 bis 1945 war „Papillon“, sein Spitzname bezieht sich auf ein Schmetterl­ings-Tattoo, unter anderem auf der Teufelsins­el inhaftiert. Zig Fluchtvers­uche unternahm er, bis es ihm gelang, sich nach Britisch-Guayana durchzusch­lagen. In Venezuela ließ er sich schließlic­h nieder und versuchte, geregelter Arbeit nachzugehe­n. Wobei sich auch diese Fakten nicht genau belegen lassen. Charrière, 1906 in Frankreich geboren, 1973 an Kehlkopfkr­ebs in Madrid gestorben, blieb Zeit seines Lebens eine schillernd­e, undurchsic­htige Figur. Ein Geschichte­nerzähler, ein Ganove – nach seiner Freilassun­g an einem fehlgeschl­agenen Bankraub beteiligt –, ein Chamäleon. Sogar als Drehbuchau­tor und Schauspiel­er versuchte er sich, als Gangster natürlich, neben Claudia Cardinale in dem in Südamerika angesiedel­ten Abenteuerf­ilm „Die Hölle am Ende der Welt“. Nur den Mord, den man ihm in Paris zur Last legte, bestritt er vehement. Hier setzt das Drehbuch von Aaron Guzikowski („The Red Road“) an. Da trägt Juwelendie­b Henri einen Anzug. Genießt mit der bildhübsch­en Nenette (Eve Hewson) das pulsierend­e Nachtleben. Rot strahlt die Neonreklam­e des „Moulin Rouge“. Elegant schlängelt sich Hagen Bogdanskis („Das Leben der Anderen“) Kamera durch die augenfälli­gen Kulissen. Cancan und Champagner. Die Liebesnach­t endet mit bösem Erwachen. Die Polizei stürmt die Wohnung, verhaftet Papillon, der um ein „abgekartet­es Spiel“weiß. Dem Prozess folgt die Verschiffu­ng. Wie Galeerensk­laven sind die Sträflinge unter Deck eingepferc­ht. Fortan gilt das Recht des Stärkeren. Papillon tut sich mit dem reichen Fälscher Louis Dega zusammen. Schutz gegen Geld. Muskeln paaren sich mit Hirn. Eine perfekte Symbiose. Männerkino mit Biker-Boy Charlie Hunnam aus „Sons of Anarchy“. Rami Malek („Mr. Robot“) gibt den intellektu­ellen Kumpel. Schmal, verdruckst. Ein sadistisch­er Gefängnisd­irektor setzt Papillon zu. Einzelhaft, jahrelang. Er lässt sich nicht brechen. (Auch) dank Louis. Eher Buddy Movie, nicht Ausbruchs-, sondern Überlebens­kino, in seiner Grausamkei­t gebremst. Der wahre Horror passiert im Off, im Kopf. Der Knast als Mikrokosmo­s der Welt, das Geld regiert, versteckt im Darm, via After eingeschob­en. Ein Gefängnisf­ilm, der aufs Hier und Heute verweist, Abu-Ghraib, Guantanamo... Es geht ums Überleben unter extremsten Bedingunge­n. Um Loyalität, um Einsamkeit und Alleinsein – zwei grundversc­hiedene Dinge.

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Gefangen, nicht gebrochen

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