The Great Identity Swindle
Obession & Pretending hieße die Geschichte vermutlich, hätte Jane Austen sie aufgefedert. Aus ihrer ChesterfieldSofa-Ecke betrachtet, durchlüftet von einer Brise nüchterner britischer Seeluft, offenbart sich Vertigo als spekulationsund interpretationslüsternden Symbiose dieser beiden ewigen Dramatugenden: Besessenheit und Vortäuschung. Der Hitchcockflavour, der Vertigo bis heute anhaftet, verstärkt diesen Effekt wie ein Spiegelkabinett. Eben weil Hitchcock besessen war von Details und Tricks, von der psychologischen Wirkung seiner Filme und seiner Suspense-Ideologie, die den Zuschauer möglichst früh zum Mitwisser machte, während der Held beherzt durchs Tal der Ahnungslosen ritt. Das 50 Jahre später inszenierte Hörspiel von Regine Ahrem führt die Handlung von Hitchcockschen Frisco zurück ins 40s-Paris, dem Originalschauplatz der Vorlage von Pierre Boileau und Thomas Narcejac. Der Gaganess-Impact, mit dem Hörspiel-Privatnase Flavière die gefühlte Madeleine-Ähnlichkeitswettbewerbsgewinnerin Renée bedrängt, mit ihrer Rolle zu verschmelzen, spielt am selben Broadway wie James Stewarts Machmir-die-Madeleine-Amoktanz um Kim Novak. Flavières Analogrollentausch im Kleiderladen – er spricht mit der Verkäuferin, während Renée nur selten schüchterne Anmerkungen macht – und zum Schluss dieses „Wir nehmen das Kleid“, obwohl es Renée überhaupt nicht gefällt, das hat Bates-solides Psychoformat. Wo Besessenheit und Inszenierung in ihrer größten Intensität aufeinanderprallen, legen sie die Wahrheit frei. Eine moderne Interpretation hätte allerdings ein feministisches Update vertragen: Frauen, die ja noch in den Sechzigern klischeekompatibel ohnmächtig wurden, gehen also gerne ins Wasser um ihr Innenlicht auszuknipsen? Was für eine Promillecontentidee! Selbst für Nichtschwimmerinnen ist das ein extrem unpragmatischer Abgang. Klar, der Checkout war inszeniert, aber so dermaßen inszeniert, dass bei einem Brainsnoopy die Fake-Alert-Glocken bimmeln müssten. Womöglich steckt dahinter schon wieder eine Message: Wie die Vortäuschung ist auch die Besessenheit eine effiziente Nebelmaschine, die alles verhüllt, was man nicht sehen will. Pierre Boileau & Thomas Narcejac: Vertigo. Aus dem Reich der Toten. Hörspiel von Regine Ahrem, RBB 2009, 1 CD, ca. 1 Std., www.der-audio-verlag.de