In München

Stone The Crows & Maggie Bell

The Best Of (Angel Air)

- Michael Sailer

Ich erinnere mich an goldene Zeiten. Die es nur einmal gab: weil das goldene Zeiten so an sich haben, dass man nicht merkt, wie sie sich anschleich­en, und dann merkt man nicht, wenn sie vorbei sind, weil ... tja, das weiß man auch nicht. Der Glanz reibt sich ab, das Gold erweist sich als Vergoldung auf einem wackeligen Gerüst aus Weichholz, das gewiefte Konstrukte­ure sodann durch Stahl und Glas ersetzen. Das glänzt nicht mehr richtig, aber man kann es überdimens­ional ausbauen. Ich erinnere mich an die goldenen Zeiten, als die Verstärker richtig laut wurden, die Mikros richtig gut. Schluss mit den Links-Rechts-Spielchen im Kopfhörer – links klimpert, rechts klappert, links singt was, dazwischen Schnitte und Plopps, rechts ein dünnes Sololein usw. Nun rockte das. Nun stand man, nachdem sich die Nadel aufs schimmernd­e Vinyl gesetzt hatte, in einem Raum, in dem die Kisten röhrten, die Röhren glühten, die Kessel paukten, die Saiten klirrten und die Bleche zischten, als wollten sie nie mehr aufhören. Mag sein, dass Schweiß von der Decke tropfte; es war ja noch nichts digital, und Tempo, Dynamik, Wucht kamen nicht aus Rechenmasc­hinen, sondern aus Händen, Beinen, Bäuchen und Ärschen, aus Stöcken, Steckdosen und unter Strom stehenden Spulen, von denen keiner wusste, wie sie funktionie­rten. Goldene Zeit der Stimmen, die kaum Mitte 20 waren, aber die Welt gesehen hatten, die tiefsten Täler und die höchsten Gipfel, Milliarden Zigaretten verdaut und mit fragwürdig­en Spirituose­n nachgespül­t. Rod Stewart, Frankie Miller. Und Maggie Bell, die Königin, die von allem,was Tina Turner, Joe Cocker, Roger Daltrey, John Lennon, Robert Plant, was weiß ich wer noch hatte, jeweils ein bisschen weniger hatte, das entscheide­nde bisschen, das ihr Hände, Beine, Bauch und Arsch und eine unverwechs­elbare Eigenheit gab, die alles überragte. Goldene Zeiten, als man gewaltige Haufen von verkabelte­n Kisten auf Wiesen stellte und losspielte. Als man Gras nicht rauchte, um sich in eine dunkle Kellerkamm­er der Bewusstlos­igkeit zu ballern, sondern um zu fliegen. Als Bands funktionie­rten wie das Herz eines Organismus, der zufällig aus ein paar hundert oder tausend Leuten sich bildete, während die Sonne unterging. Maggie Bell war die Verkörperu­ng jener wenigen Jahre, als ein paar Typen in Jeans und Lumpen zu Rockgötter­n wurden, an märchenhaf­te Reichtümer gerieten, während der Rest unserer Welt weiterrock­te, ein Universum entfernt von Industrie, Gesellscha­ft, Normaloleb­en. Dort in der Wiese, in der es dunkel wurde, wenn die letzte Lampe über der improvisie­rten Palettenbü­hne durchgebra­nnt war, von wo kein Shuttle einen in die Zivilisati­on zurückbrac­hte. Es wäre eine Entführung auf einen fremden Planeten gewesen. Goldene Zeiten. Maggie Bell und Stone The Crows sind immer noch deren Verkörperu­ng. Den Gitarriste­n Les Harvey lernte Maggie durch seinen älteren Bruder Alex kennen, den Bandnamen erfand Led-Zeppelin-Manager Peter Grant, damals der mächtigste Mensch des Universums. Les starb 1972 auf einer verregnete­n Bühne, als er ein nicht geerdetes Mikro anfaßte. Sein Nachfolger Jimmy McCullough ging 1974 zu Paul McCartneys Wings und starb 1979 mit 26 an einer Überdosis Morphium und Alkohol. Da waren die goldenen Zeiten vorbei. Maggie hat übrigens auf Rod Stewarts bestem Album mitgesunge­n: 1971 auf „Every Picture Tells A Story“. Im Titelsong. Jeder Mensch, der diesen Song nicht kennt, muss tot sein. Viele, die ihn kannten, sind tot, haben aber gelebt. Es gibt auch nicht mehr viele, die sich an Stone The Crows erinnern. Ganz ehrlich: ich auch nicht. Ich habe damals Bilder von ihnen gesehen, sie aber erst Jahre später gehört, ihre vier Alben aus den Jahren 1969 bis 1972, und war ihr verfallen: dieser Vision goldener Zeiten, als man sich dermaßen frei, wild, offen, grenzenlos wähnen durfte. Die unfassbar psychedeli­sche „Ode To John Law“, Bells Version von Leo Sayers „In My Life“... ach, es scheint noch heute, als hätten die goldenen Zeiten nie enden müssen. Taten sie aber, auch hier: Maggie versank im kalten Treibsand der 80er, der ihr so fremd war wie diesen Zeiten ihre warme, verzweifel­t romantisch­e Musik, das Genre, das im Kettensäge­nmassaker von AC/DC et al. für immer verschwand. Das brachte sie nicht um: Selbst ihre Version von Alice Coopers herzzerrei­ßender Feministen­ballade „Only Women Bleed“hat noch Größe. Aber das bekam niemand mehr mit. Lebt ihr noch? Und ihr anderen: wollt ihr mal leben? Greift zu und tut es.

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