Von der Poesie großer Gesten
Es wird heiß, mit Münchner Rock’n’Roll, düsterem Märchenzauber und noch einem crosskulturellen Faust
Es ist ein Sommer, in dem man sich frisch halten kann, wenn man sich bewegt. Am besten, wenn man tanzt. Wie gut, dass also das Festival Tanzwerkstatt Europa wieder auf diversen Bühne gastiert – und das von 1. bis 11. August nicht nur mit inspirierenden Aufführungen, sondern auch mit Mitmach-Workshops und spannenden Open-StageAbenden. Los geht’s mit der Kanadierin Louise Lecavalier, die mit ihrer neuen Arbeit Battleground gleich mal die Physik in die Luft jagt. Die weißblonde Ikone ist bekannt als Frontfrau der weltberühmten Formation LaLaLa Human Steps, ihre Technik sucht ihresgleichen, die Präzision ihre Schritte und ihre explosive Dynamik ist zum Niederknien. Und dann natürlich gleich wieder zum Aufspringen und Jubeln. (Muffathalle, 1./2.8.)
Mit einer Liebeserklärung an die Songs von Bob Dylan, immerhin bekanntlich einer der schillerndsten Nobelpreisträger, als die Auszeichnung noch verliehen wurde, stellt sich die Choreografin Sabine Glenz vor. Für ihre neue Arbeit Rhizom lässt sie sich von den Schlagzeugern der Münchner Philharmoniker begleiten – und anfeuern. (Schwere Reiter, 7. bis 9.8.)
Jan Martens ist in der globalen Tanzszene eine Art Paradiesvogel. Und das auch, weil er beherrscht, was sonst nicht alle schaffen: Er nimmt sich auch gern mal selbst auf den Arm. Seine augenzwinkernde Ode to the attempt punktet mit Melancholie, Coolness, Authentizität – und Humor. Muss man gesehen haben. (HochX, 3.8.)
Mit der rätselhaften Zahl 1.7 spielt die Ungarin Zsuzsa Rózsavölgyi. Gemeint ist damit keine neue SoftwareVersion, sondern die aktuelle durchschnittliche Geburtenrate in Europa. Sie nimmt mit ihrer provokanten Revue die Bilder vom weiblichen Körper und seine Rolle in Werbung, Popkultur und Gesellschaft aufs Korn. Außerdem steht die bange, zugegebenermaßen verzerrt populistische Frage im Raum: Soll frau ihren Körper wirklich in den Dienst der Gesellschaft stellen, um die Zahl der Steuerzahler zu erhöhen? Oder lässt sich das nicht besser über Immigration lösen? (HochX, 5.8.)
Wer die Musik gleich noch in die Beine weiterleiten möchte, darf dann natürlich bei der Premiere von A Spider Murphy Story nicht fehlen, die immerhin auch geballten kulturellen Lokalpatriotismus fordert. Skandal im Kulturbetrieb? Wie konnte sich die nimmermüde Truppe rund um Günther Sigl so lange so putzmunter halten? Immerhin feierten die Gralshüter des „Racknroll“im vergangenen Jahr ihr 40-jähriges Jubiläum – ohne dabei auch nur einmal zu schwächeln. Nun drehen die Musical-Schreiber Matthias Straub und Rüdiger Eisenhauer die Uhr ein wenig zurück. Und in den Sechzigern gaben noch die US-Soldatensender den Ton an. Und die „Schickeria“hatte noch fast nichts zu sagen. (Prinzregententheater, ab 31.7.)
Gleich noch mehr Musical? Aber bitte! Das eigentlich hinterfotzig düstere Ostseemärchen hat sich der Komponist Marc Schubring vorgenommen. Als dem braven Fischer ein verwunschener Butt ins Netz geht, wird seine Frau ziemlich kirre: Seine Gattin wünscht sich so sehr eine bessere Zukunft. Doch ist automatisch immer mehr auch immer besser? Natürlich nicht, wie alle Fans Vom Fischer und seiner Frau wissen. (Deutsches Theater, ab 1.8.)
Und dann geht’s auch mit Jules Verne gleich noch mal ins Musiktheater – und hinab zum heißen Erdkern. Zwölf Opernsolisten folgen dem Alchimisten Arne Saknussen auf seiner abenteuerlichen Expedition hinein in einen isländischen Vulkankrater und damit auf eine Reise zum Mittelpunkt der Erde. Doch damit nicht genug: Den Lifechanging-Trip haben auch Tamino und Pamina aus der „Zauberflöte“, Wagners Brünnhilde und – man glaubt es kaum – ein singender Saurier gebucht. (Einstein Kultur, 1./2.8.)
Wie beruhigend, dass sich Regisseur Marcus Everding mit seiner Luisa Miller-Premiere dagegen eng an die Vorlage von Guiseppe Verdi und der an Schillers Sturm-und-Drang-Werk „Kabale und Liebe“hält. Münchens Kleinstes Opernhaus reicht den Zuschauern mal wieder mit einem charmanten Bückling die Hand und führt sie ins 18. Jahrhundert zurück. Grandioses im Kleinen! (Pasinger Fabrik, ab 3.8.)
Im 19. Jahrhundert, als auch da die Sitten noch andere waren, spielt August Strindbergs Fräulein Julie, das Regisseur Heiko Dietz auf die (Ausweich-)Bühne bringt. Julies Vater, der Graf, ist endlich verreist. Jeanne, die Haushälterin, nutzt die Gelegenheit, Mutiges zu wagen. Doch aus einem Spiel, einer Neckerei, einem Flirt um Macht und Status, wird bitterer Ernst. Julie lässt plötzlich durchblicken, dass sie von Männern wenig hält. Jeanne hat damit nicht gerechnet. (Fraunhofer, 25.7.)
Von flirrender sommerlicher Schönheit durchzogen ist die hinreißend melancholisch-verliebte Über-KreuzPaarung Eine MittsommernachtsSex-Komödie nach dem gleichnamigen Film von Woody Allen. Zum Schwitzen und Hinschmelzen. (Komödie im Bayerischen Hof, ab 1.8.)
Ebenfalls tragisch-melancholische Liebeswirren rauben den Kindern des Olymp den Atem: Der schönen Garance sind viele Männer verfallen, auch der sensible Mime Baptiste. Doch die beiden dürfen nicht glücklich werden. Als Baptiste Jahre später zum gefeierten Bühnenstar geworden ist, begegnen sie sich endlich wieder. Schauplatz des Treibens ist ein schön heruntergekommenes Gaukler- und SeiltänzerTheater, fast so malerisch wie im Film. (Metropoltheater, ab 30.7.)
Und weil auch mit Goethe immer noch nicht Schluss ein kann, sollte man unbedingt noch die eigenwillige Faust als neue deutsche Peking-OperProduktion von Anna Peschke mitnehmen. Die Regisseurin stellt sich der kniffligen Aufgabe, wie man den ureuropäischen Gelehrten- und Schürzenjäger-Mythos sinnfällig mit der hochartifiziellen Bühnenkunst Chinas zusammenbringt. Ja wie nur? (Teamtheater Tankstelle, 27.7.)