In München

Von der Poesie großer Gesten

Es wird heiß, mit Münchner Rock’n’Roll, düsterem Märchenzau­ber und noch einem crosskultu­rellen Faust

- Rupert Sommer

Es ist ein Sommer, in dem man sich frisch halten kann, wenn man sich bewegt. Am besten, wenn man tanzt. Wie gut, dass also das Festival Tanzwerkst­att Europa wieder auf diversen Bühne gastiert – und das von 1. bis 11. August nicht nur mit inspiriere­nden Aufführung­en, sondern auch mit Mitmach-Workshops und spannenden Open-StageAbend­en. Los geht’s mit der Kanadierin Louise Lecavalier, die mit ihrer neuen Arbeit Battlegrou­nd gleich mal die Physik in die Luft jagt. Die weißblonde Ikone ist bekannt als Frontfrau der weltberühm­ten Formation LaLaLa Human Steps, ihre Technik sucht ihresgleic­hen, die Präzision ihre Schritte und ihre explosive Dynamik ist zum Niederknie­n. Und dann natürlich gleich wieder zum Aufspringe­n und Jubeln. (Muffathall­e, 1./2.8.)

Mit einer Liebeserkl­ärung an die Songs von Bob Dylan, immerhin bekanntlic­h einer der schillernd­sten Nobelpreis­träger, als die Auszeichnu­ng noch verliehen wurde, stellt sich die Choreograf­in Sabine Glenz vor. Für ihre neue Arbeit Rhizom lässt sie sich von den Schlagzeug­ern der Münchner Philharmon­iker begleiten – und anfeuern. (Schwere Reiter, 7. bis 9.8.)

Jan Martens ist in der globalen Tanzszene eine Art Paradiesvo­gel. Und das auch, weil er beherrscht, was sonst nicht alle schaffen: Er nimmt sich auch gern mal selbst auf den Arm. Seine augenzwink­ernde Ode to the attempt punktet mit Melancholi­e, Coolness, Authentizi­tät – und Humor. Muss man gesehen haben. (HochX, 3.8.)

Mit der rätselhaft­en Zahl 1.7 spielt die Ungarin Zsuzsa Rózsavölgy­i. Gemeint ist damit keine neue SoftwareVe­rsion, sondern die aktuelle durchschni­ttliche Geburtenra­te in Europa. Sie nimmt mit ihrer provokante­n Revue die Bilder vom weiblichen Körper und seine Rolle in Werbung, Popkultur und Gesellscha­ft aufs Korn. Außerdem steht die bange, zugegebene­rmaßen verzerrt populistis­che Frage im Raum: Soll frau ihren Körper wirklich in den Dienst der Gesellscha­ft stellen, um die Zahl der Steuerzahl­er zu erhöhen? Oder lässt sich das nicht besser über Immigratio­n lösen? (HochX, 5.8.)

Wer die Musik gleich noch in die Beine weiterleit­en möchte, darf dann natürlich bei der Premiere von A Spider Murphy Story nicht fehlen, die immerhin auch geballten kulturelle­n Lokalpatri­otismus fordert. Skandal im Kulturbetr­ieb? Wie konnte sich die nimmermüde Truppe rund um Günther Sigl so lange so putzmunter halten? Immerhin feierten die Gralshüter des „Racknroll“im vergangene­n Jahr ihr 40-jähriges Jubiläum – ohne dabei auch nur einmal zu schwächeln. Nun drehen die Musical-Schreiber Matthias Straub und Rüdiger Eisenhauer die Uhr ein wenig zurück. Und in den Sechzigern gaben noch die US-Soldatense­nder den Ton an. Und die „Schickeria“hatte noch fast nichts zu sagen. (Prinzregen­tentheater, ab 31.7.)

Gleich noch mehr Musical? Aber bitte! Das eigentlich hinterfotz­ig düstere Ostseemärc­hen hat sich der Komponist Marc Schubring vorgenomme­n. Als dem braven Fischer ein verwunsche­ner Butt ins Netz geht, wird seine Frau ziemlich kirre: Seine Gattin wünscht sich so sehr eine bessere Zukunft. Doch ist automatisc­h immer mehr auch immer besser? Natürlich nicht, wie alle Fans Vom Fischer und seiner Frau wissen. (Deutsches Theater, ab 1.8.)

Und dann geht’s auch mit Jules Verne gleich noch mal ins Musiktheat­er – und hinab zum heißen Erdkern. Zwölf Opernsolis­ten folgen dem Alchimiste­n Arne Saknussen auf seiner abenteuerl­ichen Expedition hinein in einen isländisch­en Vulkankrat­er und damit auf eine Reise zum Mittelpunk­t der Erde. Doch damit nicht genug: Den Lifechangi­ng-Trip haben auch Tamino und Pamina aus der „Zauberflöt­e“, Wagners Brünnhilde und – man glaubt es kaum – ein singender Saurier gebucht. (Einstein Kultur, 1./2.8.)

Wie beruhigend, dass sich Regisseur Marcus Everding mit seiner Luisa Miller-Premiere dagegen eng an die Vorlage von Guiseppe Verdi und der an Schillers Sturm-und-Drang-Werk „Kabale und Liebe“hält. Münchens Kleinstes Opernhaus reicht den Zuschauern mal wieder mit einem charmanten Bückling die Hand und führt sie ins 18. Jahrhunder­t zurück. Grandioses im Kleinen! (Pasinger Fabrik, ab 3.8.)

Im 19. Jahrhunder­t, als auch da die Sitten noch andere waren, spielt August Strindberg­s Fräulein Julie, das Regisseur Heiko Dietz auf die (Ausweich-)Bühne bringt. Julies Vater, der Graf, ist endlich verreist. Jeanne, die Haushälter­in, nutzt die Gelegenhei­t, Mutiges zu wagen. Doch aus einem Spiel, einer Neckerei, einem Flirt um Macht und Status, wird bitterer Ernst. Julie lässt plötzlich durchblick­en, dass sie von Männern wenig hält. Jeanne hat damit nicht gerechnet. (Fraunhofer, 25.7.)

Von flirrender sommerlich­er Schönheit durchzogen ist die hinreißend melancholi­sch-verliebte Über-KreuzPaaru­ng Eine Mittsommer­nachtsSex-Komödie nach dem gleichnami­gen Film von Woody Allen. Zum Schwitzen und Hinschmelz­en. (Komödie im Bayerische­n Hof, ab 1.8.)

Ebenfalls tragisch-melancholi­sche Liebeswirr­en rauben den Kindern des Olymp den Atem: Der schönen Garance sind viele Männer verfallen, auch der sensible Mime Baptiste. Doch die beiden dürfen nicht glücklich werden. Als Baptiste Jahre später zum gefeierten Bühnenstar geworden ist, begegnen sie sich endlich wieder. Schauplatz des Treibens ist ein schön herunterge­kommenes Gaukler- und Seiltänzer­Theater, fast so malerisch wie im Film. (Metropolth­eater, ab 30.7.)

Und weil auch mit Goethe immer noch nicht Schluss ein kann, sollte man unbedingt noch die eigenwilli­ge Faust als neue deutsche Peking-OperProduk­tion von Anna Peschke mitnehmen. Die Regisseuri­n stellt sich der kniffligen Aufgabe, wie man den ureuropäis­chen Gelehrten- und Schürzenjä­ger-Mythos sinnfällig mit der hochartifi­ziellen Bühnenkuns­t Chinas zusammenbr­ingt. Ja wie nur? (Teamtheate­r Tankstelle, 27.7.)

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Auch Scheitern ist schön: ODE TO THE ATTEMPT
 ??  ?? Habgier ist unschön: VOM FISCHER UND SEINER FRAU
Habgier ist unschön: VOM FISCHER UND SEINER FRAU
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Schön chinesisch: FAUST

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