Dach überm Kopf
Performances unter freiem Himmel, Tatort-Fotografie, ein Raum für alle und Kunst ohne Markt
Die erste von drei Performances ist schon rum. Das ist natürlich schade, macht aber insofern nix, als dass es keinerlei Vorkenntnisse braucht, die kommenden zwei zu sehen. Und das Beste: Sie können draußen bleiben, denn En plein air (weitere Infos: kunstraummuenchen.de) ist eine dreiteilige Performance-Reihe, organisiert vom Kunstraum München, die sich im öffentlichen Raum und unter freiem Himmel abspielt. Zwei Künstlerinnen und ein Künstler wurden eingeladen, Stellung zu beziehen zu der Frage „Wo liegt die Grenze zwischen Utopie und Wirklichkeit im heutigen Europa?“Die in Berlin lebende Iranerin Farkhondeh Shahroudi war bereits dran. Der nächste ist der Italiener Daniele Maffeis am Samstag, den 28. Juli. „The Island“(unangekündigte Kunstaktion) und ab 19 Uhr „Tales From The Island“heißt seine Arbeit, mit der er die Aufhebung der Sexualität in der Freikörperkultur erkundet und so der Naturraum zu einem CruisingGebiet von Homosexuellen wird. Martina Maria Riescher hat ihre Performance zweigeteilt. Der erste Teil von „Smoking Constitution“findet am Samstag, den 4. August, um 17 Uhr am Königsplatz statt, der zweite Teil folgt dann um 19 Uhr im Kunstraum. Ihr inhaltlicher Ausgangspunkt ist ein historisches Dokument: das Manifest von Ventotene, eine 1941 verfasste programmatische Schrift der italienischen Antifaschisten Altiero Spinelli, Eugenio Colorini und Ernesto Rossi, welche die drei in Haft heimlich auf Zigarettenpapier schrieben. Es gelang Ihnen, das Manifest von der Gefängnisinsel Santo Stefano zu schmuggeln und in Rom als Flugblatt unter die Leute zu bringen. Beide Performances fordern zur Interaktion auf, im Kopf oder auch ganz konkret. Das Publikum hat die Möglichkeit, in das Geschehen einzugreifen und es aktiv mitzugestalten.
Von 2000 bis 2007 ermordeten Mitglieder des NSU neun Männer türkischer und griechischer Abstammung und eine Polizistin. Am 4. November 2011 wurde die rechtsextreme terroristische Vereinigung aufgedeckt, das Urteil fiel am 11. Juli 2018. Und jetzt? Wird man sehen. Aber eines ist schon mal klar: Das darf es nicht gewesen sein. Dafür sorgt zum Beispiel die Fotoausstellung Blutiger Boden – die Tatorte des NSU (bis 14. Oktober) in der Rathausgalerie Kunsthalle. Im Frühjahr 2013 begann Regina Schmeken, die Tatorte zu fotografieren. Ihre großformatigen Schwarzweißaufnahmen zeigen die verstörende Normalität dieser Schauplätze von Hass und Gewalt und versuchen so, das Ungeheuerliche dieser Taten zu reflektieren. Der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger beschreibt das so: „Das Beklemmendste an diesen Fotografien ist, dass auf ihnen weder die Mörder noch die Mordopfer zu sehen sind. An Schmekens Aufnahmen wirkt gerade das Unauffällige, Banale und Gewöhnliche unheimlich.“Dort an der Straße in Nürnberg, wo der türkische Blumenhändler Enver Simsek getötet wurde, steht heute wieder ein Blumenstand. Davor eine Regenpfütze.
„Habibi“ist arabisch und bedeutet soviel wie „mein Geliebter“, „mein Lieber“, „mein Freund“. Habibi ist vielfältig einsetzbar, man kann es zu seinem Ehemann sagen, zu einem Kind oder zu einem guten Freund. Habibi ist auch ein arabischer Nachname. Und ab sofort auch ein Vorname für ein kollektives künstlerisches Projekt: Habibi Dome (3. August bis 7. Oktober, habibidome. org) ist Raumskulptur und modu- lare Architektur zugleich. Begonnen hat das Projekt, bei dem auch die Münchner Künstler Franziska Wirtensohn und Michael Wittmann mitwirkten, 2016 im Norden Griechenlands in der offenen Werkstatt „Habibi. Works“in Katsikas. Die Idee: gemeinsam mit Menschen auf der Flucht einen selbstbestimmten Raum schaffen. Die im Internet frei zugängliche architektonische Struktur des Geodesic Dome von Richard Buckminster Fuller wurde zur Vorlage. Gleichzeitig steht der Dome für kollaborative Prozesse, in denen Menschen gemeinsam, eigenverantwortlich und über Grenzen hinweg handeln. Das Ergebnis ist ein offener Raum von drei Metern Höhe und einem Durchmesser von sechs Metern, ein Raum zum Lernen und Unterrichten, zum Freunde einladen und treffen, zum Versammeln und Diskutieren, für Musik und Konzerte. Der erste Habibi Dome steht weiterhin in Katsikas. Aber die Idee hat sich fortgepflanzt, und so gibt es bereits mehrere Räume, die an unterschiedlichen Orten zum Nachdenken anregen. In Obersendling zum Beispiel wird ein Habibi Dome als temporäres Konzerthaus genutzt, das nach dieser Station an andere Münchner Orte wandern wird. Ein weiterer Dome macht jetzt im MaximiliansForum Station und stellt sich als angewandtes Prinzip für soziale Kunst zur Diskussion.
Es gibt einen weitern Grund, nach Bernried am Starnberger See zu fahren: euward7 (bis 9. September). Die Ausstellung im Buchheim Museum zeigt Arbeiten der Preisträger und aller nominierten Künstlerinnen und Künstler. Sie wissen nicht, was der Euward ist? Dann mal bitte herhören: „Der Euward ist der jährlich verliehene europäische Kunstpreis für Malerei und Graphik von Künstlern mit geistiger Behinderung.“2000 wurde er von der Augustinum Stiftung initiiert und rückt seitdem „Kunst von Außenseitern“in Richtung Zentrum. Was wunderbar ist, denn die Arbeiten sind eigenständig und beeindruckend. Aber halt nicht Teil des Kunstmarktes. Aber genau das macht sie interessant.