„Wir sind kulturelle Triebtäter“
Kulturkraftwerk mitten in der Stadt: Ursprünglich erzeugte die Muffathalle Strom. Dann flogen dort lange im wohl schönsten, geheimsten Trainingszentrum die Tennisbälle eines Stadtwerke-Sportvereins. Seit 25 Jahren stehen Dietmar Lupfer und Christian Waggershauser, Feuerwerker des Muffatwerks und derzeit auch Herren über diverse plastikzersetzende Mehlwürmer, an den Kultur-Turbinen des Werks. Höchste Zeit für eine Zwischenbilanz.
Herr Lupfer, Herr Waggershauser, trauen Sie sich eigentlich auf Tennis-Anlagen aufzutauchen, wo vielleicht noch ältere Stadtwerke-Mitarbeiter trainieren?
Waggershauser: Was viele nicht wissen: Als den Stadtwerke-Sportlern ihre Tennishalle, die heutige Muffathalle, genommen wurde, haben sie im Ausgleich eine komplett neue Freianlage in einem Zelt bekommen, in dem sie im Sommer wie im Winter spielen können. Sie haben also mindestens einen gleichwertigen Ersatz bekommen. Deswegen kann ich ohne Angst durch sämtliche Tenninsanlagen dieser Stadt gehen.
Kein schlechter Tausch. Und die Stadt hat viel gewonnen.
Waggershauser: Ist doch so. Für beide war das – wie man heute so schön sagt – eine Win-Win-Situation.
Das Geschäft mit dem Betreiben der Muffathalle kennen Sie ja wirklich vom ersten Tag an. Aber wie fühlt sich das an, wenn plötzlich der Geschichtsmantel vorbeirauscht – mit einem Vierteljahrhundert Historie? Waggershauser: Wir stehen noch unter Schockstarre.
Lupfer: So richtig glauben können wir es beide noch nicht. Die 25 Jahre sind schon ein Abschnitt. Aber man muss ja immer nach vorne denken. Ein bisschen rastlos muss man schon sein, wenn man so etwas machen möchte.
Vieles von dem, was heute verwirklicht werden konnte, basiert ja auf Ihren ursprünglichen Ideen. Aber ist es wirklich das Muffatwerk, das Ihnen immer vorgeschwebt hat? Waggershauser: Wir haben uns natürlich auch mit unserem Programm weiterentwickelt – gerade im Bereich Neue Medien, Internet, IT. Da hat sich ja wahnsinnig viel getan. Als wir anfingen, saß ich noch vor einer Schreibmaschine. Und in der Ecke surrte ein Fax. Es gab anfangs nur einen Mitarbeiter im Büro, der schon einen Computer hatte. Allein daran sieht man ja schon, wie sich die Zeit verändert hat. Und wir bereiteten das entsprechend künstlerisch weiter. Wenn man jetzt das Unsplit-Festival zum Geburtstag nimmt: Mit so etwas hätten wir Anfang der 90er Jahre noch nicht loslegen können. Nun zeigen wir eine Kunstform der jetztigen – oder auch der zukünftigen – Zeit.
Lupfer: Wir wollen immer auf etwas Neues gehen – aber nicht allein deshalb, weil es neu ist. Es geht uns um wichtige Entwicklungen. Die muss man nicht unbedingt Agitprop-mäßig aufarbeiten. Aber es geht uns darum, die Sensoren auszufahren und zu schauen, was kommt. Ich glaube, das ist uns von Anfang an gelungen. Damals war es halt nicht Bio-Art, sondern die Robotik, die uns faszinierte. Früh sind wir auch auf das Phänomen des Social Networkings eingestiegen, das damals im Internet aufkam. Uns hat bei solchen Themen immer schon interessiert, wie jeweils die Subkultur dazu aussehen könnte.
Wie schwer fällt das, da die Nervenenden angespannt zu lassen?
Lupfer: Ich bin in den 80er Jahren resozialisiert worden. Da war Underground-Musik, amerikanischer Hardcore, Punk von Black Flag bis Nick Cave mein Thema. Das war Subkultur damals. Man kann aber nicht so tun, als ob so etwas Subkultur bleibt. Spätestens dann, als Nirvana Anfang der 90er Jahre komplett durch die Decke ging. Auch im Tanz steckte früher viel Subkultur – etwa bei unserem Projekt „Sieben Tänzer, sieben Länder“. Alle Fragen, die sich mit der offenen Gesellschaft beschäftigten, steckten damals schon in einem Tanz-Ensemble. Spätestens ab Anfang der 2000er Jahre ging bei uns vieles in Richtung Medienaktivismus. Wir wollen immer darauf achten, die Rezeptoren feinfühlig zu halten.
Ist die Muffathalle eigentlich nicht selbst so etwas wie ein analoges Facebook – also eine Plattform, in der sich die Vielfalt der Szenen widerspiegelt und in der sich die Stadt vernetzt? In real?
Lupfer: Ich finde es wunderbar, wenn man sich analog trifft und auch einen Ort dafür hat. Wie weit man sich auf Facebook real austauscht, ist ja eine große Frage. Selbst wenn man EMails unter Kollegen und Freunden hin- und herschickt, weiß man ja nie, wie genau der andere das jetzt verstanden hat.
Waggershauser: Das Live-Geschäft brummt ja auch. Das zeigt die Erfahrung der vergangenen Jahre: Die Leute wollen die Künstler live sehen. Und nicht im Internet oder auf irgendwelchen sozialen Medien. Sie sind dafür auch bereit, Konzert-Tickets zu kaufen. Seit drei bis vier Jahren geht das schon so weit, dass wir fast rund ums Jahr Konzert-Saison haben.
Im Gegensatz wozu?
Waggershauser: Früher war der Herbst die Haupt-Konzertsaison, weil die Künstler ihre CD unter dem Christbaum verkaufen wollten. Um der Nachfrage der Fans gerecht zu werden, ist mittlerweile eine echte neue Saison im Frühjahr entstanden. Ich höre auch gerne CDs. Aber ein analoges Live-Erlebnis ist durch nichts zu ersetzen.
Mit dem Anspruch, neben dem Alltagsgeschäft, das die Hallen füllen muss, immer wieder auch Neues zu antizipieren, haben Sie sich ja selbst durchaus unter Druck gesetzt. Beim Bio-Art-Festival war von Ihnen sogar zu hören, dass man in zehn Jahren behaupten kann, man war damals schon bei etwas Wichtigem dabei. Die Latte hängen Sie hoch.
Lupfer: Es darf zu keinem ständigen Automatismus werden. Man kann nicht jede Woche eine neue Sensation durchs Dorf treiben. In dieser Hinsicht muss man auch entschleunigen. Es geht darum zu prüfen, welche Entwicklung auch wirklich in der Zukunft Gewicht haben wird oder was nur eine Meldung, eine Modeerscheinung ist. Die Leute müssen bei uns das Gefühl haben, dass die Sachen, die wir auf die Beine stellen, sie auch tangieren können – und dass sie deswegen auch hingehen.
Waggershauser: Die Mischung des Programms muss stimmen. Du musst für die verschiedenen Ziel-Publika, die wir haben, immer wieder etwas Spannendes anbieten. Bei unserem Unsplit-Festival, das wir bewusst bei freiem Eintritt gehalten haben, haben wir durchaus die Hoffnung, dass es mit einer gewissen Medienöffentlichkeit, die es erfährt, auch mal Leute erreicht, die sich so etwas sonst vielleicht nicht ansehen würden. Man muss in der Muffathalle keine Schwellenangst haben. Wer den Laden von Konzerten oder Partys kennt, kann sich ja auch einmal etwas Anderes bei uns ansehen, wenn es interessant ist. Wir wollen bei den Leuten Neugier wecken.
Man darf davon ausgehen, dass in zehn Jahren plastikfressende Mehlwürmer noch stärker Stadtgespräch sind als heute?
Waggershauser: Hoffentlich! Lupfer: Mit einer Performance verbinden wir bislang immer den Mensch. Nun geht es uns darum, dass auch ein Tier im Mittelpunkt stehen kann. Es geht um die Frage, in wie weit ein Mensch auch weiter über sich hinaus denken und sich als Teil einer Gesamtheit auf einem Globus sehen kann. Das wird sicher eine große Diskussion in der Zukunft sein: Wie denke ich den Planeten? Reicht es, wenn der Mensch sich nur im Mittelpunkt sieht oder zerstört er das Miteinander?
Waggershauser: Noch mal kurz zur Frage, ob wir uns das alles so vorgestellt haben und ob wir uns im Programm treu geblieben sind: In den 90er Jahren fanden zum Beispiel Lesungen klassischerweise entweder in Buchhandlungen oder in den etablierten Sälen statt. Wir haben dann große Autoren zu uns in die Halle geholt. Und dann kamen die Slams auf. Mittlerweile ist das ein Format, das für die Jungen total interessant ist. Wir haben gemerkt, dass wir junge Leute so an Literatur und Lyrik heranführen können.
Unser Isar Slam einmal im Monat ist seit Jahren immer ausverkauft, weil er einfach ein tolle Stimmung hat. Klassische Lesungen haben wir weiterhin. Gerade eben verhandeln wir mit T.C. Boyle über eine Lesung im Frühjahr. Aber es gibt bei uns eben schon seit langem andere Formen als das bestuhlte Groß-Event in der Halle – etwa den Box-Poetry-Slam im Frühjahr. Total abgefahren. Und die Kids finden’s klasse.
Lupfer: Ähnlich hat sich das bei unseren Hip-Hop-Konzerten entwickelt. Anfangs haben uns Bedenkenträger, darunter auch die etablierten Veranstalter, davor immer zu warnen versucht, ob das überhaupt mit unserem kulturellen Anspruch zusammenpasst. Ich musste damals immer schmunzeln, weil die Gästeliste voll war mit Namen von Kindern von Stadträten. Weltweit ist mittlerweile ganz klar, nicht nur in Amerika, sondern auch im Arabischen Frühling, dass Hip Hop einen starken politischen Einfluss hat. Ähnlich war’s mit den Einstürzenden Neubauten. Krach! Punk! Das braucht doch kein Kulturmensch, bekam ich damals immer zu hören.
Hausheilige bei Ihnen. Heute spielen sie in der Philharmonie. Lupfer: Das machen wir auch. Aber sie werden eben auch von zahllosen Theatern angefragt, ob sie Musik für die Bühne machen können oder Teil einer Museumskultur werden wollen.
Sie sind ja nicht nur Kulturmacher, sondern auch Geschäftsleute, die Hallen füllen und die Mischung austarieren müssen. Wie sehr schmerzt es, wenn bei anspruchsvolleren Themen vielleicht doch noch nicht so viele Zuschauer anbeißen und das Publikum vergleichsweise überschaubar bleibt?
Waggershauser: Wir sind beide kulturelle Triebtäter. Aber beide auch Kaufleute. Wenn wir bei jedem Deal, der uns, egal in welchem Bereich – Musik, Theater, Tanz oder Literatur – unverhandelt gleich zugeschlagen hätten, wären wir nach dem ersten Jahr schon wieder weg vom Fenster gewesen. Du musst hart verhandeln. Und dann musst du überlegen, was du dir noch leisten kannst. Bei 50 Veranstaltungen im Monat weißt du am Monatsanfang nie, wie du am Ende herauskommst. Bei uns ist die Programmgestaltung immer eine sehr enge Gratwanderung. Meistens geht sie auf. Wir hatten aber auch schon Jahre mit roten Zahlen abgeschlossen.
Große Konzerte müssen kleinere Avantgarde-Projekte mittragen?
Waggershauser: Viele Sachen, die Dietmar etwa im Bereich Tanz auf die Beine stellt, sind per se defizitär, auch wenn sie gut besucht sind. Wenn wir aber sehen, dass wir gut gebucht sind, können wir das durchziehen. Wir haben ja auch viele Vermietungen und Erlöse aus der Gastronomie. Und Dietmar sammelt Projektgelder von internationalen Kooperationspartnern ein. Wenn die Gesamtsituation stimmt, können wir uns auch mal wieder etwas leisten, was uns als Einzelabend eigentlich Geld kosten würde. Das meine ich mit Triebtäterschaft.
Lupfer: Gerade das Einsammeln von solchen Förderzuschüssen kostet oft ziemlich viel Zeit, bis das Geld dann endlich bei uns ist. Da wäre es manchmal schon schön, wenn man wie ein Stadttheater einfach einen festen Etat hätte. Aber Scheckheft-Kultur, bei der man sich schnell mal etwas einkaufen kann, ist nicht das, was mir vorschwebt. Da kommt wieder die Entschleunigung ins Spiel: Wir schauen sehr genau, was es denn wirklich braucht – und nicht nur dafür, dass ich eine Schlagzeile bekomme. Das ist spannend, aber auch zäh. Und es kostet viel Energie.
Letzte Frage: Wann setzen die Planungen für „50 Jahre Muffatwerk“ein?
Waggershauser: (lacht) So weit denken wir noch nicht. Wir hatten auch damals nicht unbedingt geglaubt, dass wir das so lange machen werden. Anfangs hatten wir einen Drei-Jahres-Vertrag, der jedes Mal vom Stadtrat verlängert werden musste. Der wurde zum Glück immer verlängert – auch mit sehr großen Mehrheiten, was uns schon gefreut hat. Einmal hatten sogar die Republikaner zugestimmt. Da haben wir uns damals schon gefragt, ob wir etwas falsch gemacht haben.
Lupfer: So lange uns gutes Zeug einfällt, machen wir jetzt erst mal weiter.