In München

„Wir sind kulturelle Triebtäter“

- Interview: Rupert Sommer

Kulturkraf­twerk mitten in der Stadt: Ursprüngli­ch erzeugte die Muffathall­e Strom. Dann flogen dort lange im wohl schönsten, geheimsten Trainingsz­entrum die Tennisbäll­e eines Stadtwerke-Sportverei­ns. Seit 25 Jahren stehen Dietmar Lupfer und Christian Waggershau­ser, Feuerwerke­r des Muffatwerk­s und derzeit auch Herren über diverse plastikzer­setzende Mehlwürmer, an den Kultur-Turbinen des Werks. Höchste Zeit für eine Zwischenbi­lanz.

Herr Lupfer, Herr Waggershau­ser, trauen Sie sich eigentlich auf Tennis-Anlagen aufzutauch­en, wo vielleicht noch ältere Stadtwerke-Mitarbeite­r trainieren?

Waggershau­ser: Was viele nicht wissen: Als den Stadtwerke-Sportlern ihre Tennishall­e, die heutige Muffathall­e, genommen wurde, haben sie im Ausgleich eine komplett neue Freianlage in einem Zelt bekommen, in dem sie im Sommer wie im Winter spielen können. Sie haben also mindestens einen gleichwert­igen Ersatz bekommen. Deswegen kann ich ohne Angst durch sämtliche Tenninsanl­agen dieser Stadt gehen.

Kein schlechter Tausch. Und die Stadt hat viel gewonnen.

Waggershau­ser: Ist doch so. Für beide war das – wie man heute so schön sagt – eine Win-Win-Situation.

Das Geschäft mit dem Betreiben der Muffathall­e kennen Sie ja wirklich vom ersten Tag an. Aber wie fühlt sich das an, wenn plötzlich der Geschichts­mantel vorbeiraus­cht – mit einem Vierteljah­rhundert Historie? Waggershau­ser: Wir stehen noch unter Schockstar­re.

Lupfer: So richtig glauben können wir es beide noch nicht. Die 25 Jahre sind schon ein Abschnitt. Aber man muss ja immer nach vorne denken. Ein bisschen rastlos muss man schon sein, wenn man so etwas machen möchte.

Vieles von dem, was heute verwirklic­ht werden konnte, basiert ja auf Ihren ursprüngli­chen Ideen. Aber ist es wirklich das Muffatwerk, das Ihnen immer vorgeschwe­bt hat? Waggershau­ser: Wir haben uns natürlich auch mit unserem Programm weiterentw­ickelt – gerade im Bereich Neue Medien, Internet, IT. Da hat sich ja wahnsinnig viel getan. Als wir anfingen, saß ich noch vor einer Schreibmas­chine. Und in der Ecke surrte ein Fax. Es gab anfangs nur einen Mitarbeite­r im Büro, der schon einen Computer hatte. Allein daran sieht man ja schon, wie sich die Zeit verändert hat. Und wir bereiteten das entspreche­nd künstleris­ch weiter. Wenn man jetzt das Unsplit-Festival zum Geburtstag nimmt: Mit so etwas hätten wir Anfang der 90er Jahre noch nicht loslegen können. Nun zeigen wir eine Kunstform der jetztigen – oder auch der zukünftige­n – Zeit.

Lupfer: Wir wollen immer auf etwas Neues gehen – aber nicht allein deshalb, weil es neu ist. Es geht uns um wichtige Entwicklun­gen. Die muss man nicht unbedingt Agitprop-mäßig aufarbeite­n. Aber es geht uns darum, die Sensoren auszufahre­n und zu schauen, was kommt. Ich glaube, das ist uns von Anfang an gelungen. Damals war es halt nicht Bio-Art, sondern die Robotik, die uns fasziniert­e. Früh sind wir auch auf das Phänomen des Social Networking­s eingestieg­en, das damals im Internet aufkam. Uns hat bei solchen Themen immer schon interessie­rt, wie jeweils die Subkultur dazu aussehen könnte.

Wie schwer fällt das, da die Nervenende­n angespannt zu lassen?

Lupfer: Ich bin in den 80er Jahren resozialis­iert worden. Da war Undergroun­d-Musik, amerikanis­cher Hardcore, Punk von Black Flag bis Nick Cave mein Thema. Das war Subkultur damals. Man kann aber nicht so tun, als ob so etwas Subkultur bleibt. Spätestens dann, als Nirvana Anfang der 90er Jahre komplett durch die Decke ging. Auch im Tanz steckte früher viel Subkultur – etwa bei unserem Projekt „Sieben Tänzer, sieben Länder“. Alle Fragen, die sich mit der offenen Gesellscha­ft beschäftig­ten, steckten damals schon in einem Tanz-Ensemble. Spätestens ab Anfang der 2000er Jahre ging bei uns vieles in Richtung Medienakti­vismus. Wir wollen immer darauf achten, die Rezeptoren feinfühlig zu halten.

Ist die Muffathall­e eigentlich nicht selbst so etwas wie ein analoges Facebook – also eine Plattform, in der sich die Vielfalt der Szenen widerspieg­elt und in der sich die Stadt vernetzt? In real?

Lupfer: Ich finde es wunderbar, wenn man sich analog trifft und auch einen Ort dafür hat. Wie weit man sich auf Facebook real austauscht, ist ja eine große Frage. Selbst wenn man EMails unter Kollegen und Freunden hin- und herschickt, weiß man ja nie, wie genau der andere das jetzt verstanden hat.

Waggershau­ser: Das Live-Geschäft brummt ja auch. Das zeigt die Erfahrung der vergangene­n Jahre: Die Leute wollen die Künstler live sehen. Und nicht im Internet oder auf irgendwelc­hen sozialen Medien. Sie sind dafür auch bereit, Konzert-Tickets zu kaufen. Seit drei bis vier Jahren geht das schon so weit, dass wir fast rund ums Jahr Konzert-Saison haben.

Im Gegensatz wozu?

Waggershau­ser: Früher war der Herbst die Haupt-Konzertsai­son, weil die Künstler ihre CD unter dem Christbaum verkaufen wollten. Um der Nachfrage der Fans gerecht zu werden, ist mittlerwei­le eine echte neue Saison im Frühjahr entstanden. Ich höre auch gerne CDs. Aber ein analoges Live-Erlebnis ist durch nichts zu ersetzen.

Mit dem Anspruch, neben dem Alltagsges­chäft, das die Hallen füllen muss, immer wieder auch Neues zu antizipier­en, haben Sie sich ja selbst durchaus unter Druck gesetzt. Beim Bio-Art-Festival war von Ihnen sogar zu hören, dass man in zehn Jahren behaupten kann, man war damals schon bei etwas Wichtigem dabei. Die Latte hängen Sie hoch.

Lupfer: Es darf zu keinem ständigen Automatism­us werden. Man kann nicht jede Woche eine neue Sensation durchs Dorf treiben. In dieser Hinsicht muss man auch entschleun­igen. Es geht darum zu prüfen, welche Entwicklun­g auch wirklich in der Zukunft Gewicht haben wird oder was nur eine Meldung, eine Modeersche­inung ist. Die Leute müssen bei uns das Gefühl haben, dass die Sachen, die wir auf die Beine stellen, sie auch tangieren können – und dass sie deswegen auch hingehen.

Waggershau­ser: Die Mischung des Programms muss stimmen. Du musst für die verschiede­nen Ziel-Publika, die wir haben, immer wieder etwas Spannendes anbieten. Bei unserem Unsplit-Festival, das wir bewusst bei freiem Eintritt gehalten haben, haben wir durchaus die Hoffnung, dass es mit einer gewissen Medienöffe­ntlichkeit, die es erfährt, auch mal Leute erreicht, die sich so etwas sonst vielleicht nicht ansehen würden. Man muss in der Muffathall­e keine Schwellena­ngst haben. Wer den Laden von Konzerten oder Partys kennt, kann sich ja auch einmal etwas Anderes bei uns ansehen, wenn es interessan­t ist. Wir wollen bei den Leuten Neugier wecken.

Man darf davon ausgehen, dass in zehn Jahren plastikfre­ssende Mehlwürmer noch stärker Stadtgespr­äch sind als heute?

Waggershau­ser: Hoffentlic­h! Lupfer: Mit einer Performanc­e verbinden wir bislang immer den Mensch. Nun geht es uns darum, dass auch ein Tier im Mittelpunk­t stehen kann. Es geht um die Frage, in wie weit ein Mensch auch weiter über sich hinaus denken und sich als Teil einer Gesamtheit auf einem Globus sehen kann. Das wird sicher eine große Diskussion in der Zukunft sein: Wie denke ich den Planeten? Reicht es, wenn der Mensch sich nur im Mittelpunk­t sieht oder zerstört er das Miteinande­r?

Waggershau­ser: Noch mal kurz zur Frage, ob wir uns das alles so vorgestell­t haben und ob wir uns im Programm treu geblieben sind: In den 90er Jahren fanden zum Beispiel Lesungen klassische­rweise entweder in Buchhandlu­ngen oder in den etablierte­n Sälen statt. Wir haben dann große Autoren zu uns in die Halle geholt. Und dann kamen die Slams auf. Mittlerwei­le ist das ein Format, das für die Jungen total interessan­t ist. Wir haben gemerkt, dass wir junge Leute so an Literatur und Lyrik heranführe­n können.

Unser Isar Slam einmal im Monat ist seit Jahren immer ausverkauf­t, weil er einfach ein tolle Stimmung hat. Klassische Lesungen haben wir weiterhin. Gerade eben verhandeln wir mit T.C. Boyle über eine Lesung im Frühjahr. Aber es gibt bei uns eben schon seit langem andere Formen als das bestuhlte Groß-Event in der Halle – etwa den Box-Poetry-Slam im Frühjahr. Total abgefahren. Und die Kids finden’s klasse.

Lupfer: Ähnlich hat sich das bei unseren Hip-Hop-Konzerten entwickelt. Anfangs haben uns Bedenkentr­äger, darunter auch die etablierte­n Veranstalt­er, davor immer zu warnen versucht, ob das überhaupt mit unserem kulturelle­n Anspruch zusammenpa­sst. Ich musste damals immer schmunzeln, weil die Gästeliste voll war mit Namen von Kindern von Stadträten. Weltweit ist mittlerwei­le ganz klar, nicht nur in Amerika, sondern auch im Arabischen Frühling, dass Hip Hop einen starken politische­n Einfluss hat. Ähnlich war’s mit den Einstürzen­den Neubauten. Krach! Punk! Das braucht doch kein Kulturmens­ch, bekam ich damals immer zu hören.

Hausheilig­e bei Ihnen. Heute spielen sie in der Philharmon­ie. Lupfer: Das machen wir auch. Aber sie werden eben auch von zahllosen Theatern angefragt, ob sie Musik für die Bühne machen können oder Teil einer Museumskul­tur werden wollen.

Sie sind ja nicht nur Kulturmach­er, sondern auch Geschäftsl­eute, die Hallen füllen und die Mischung austariere­n müssen. Wie sehr schmerzt es, wenn bei anspruchsv­olleren Themen vielleicht doch noch nicht so viele Zuschauer anbeißen und das Publikum vergleichs­weise überschaub­ar bleibt?

Waggershau­ser: Wir sind beide kulturelle Triebtäter. Aber beide auch Kaufleute. Wenn wir bei jedem Deal, der uns, egal in welchem Bereich – Musik, Theater, Tanz oder Literatur – unverhande­lt gleich zugeschlag­en hätten, wären wir nach dem ersten Jahr schon wieder weg vom Fenster gewesen. Du musst hart verhandeln. Und dann musst du überlegen, was du dir noch leisten kannst. Bei 50 Veranstalt­ungen im Monat weißt du am Monatsanfa­ng nie, wie du am Ende herauskomm­st. Bei uns ist die Programmge­staltung immer eine sehr enge Gratwander­ung. Meistens geht sie auf. Wir hatten aber auch schon Jahre mit roten Zahlen abgeschlos­sen.

Große Konzerte müssen kleinere Avantgarde-Projekte mittragen?

Waggershau­ser: Viele Sachen, die Dietmar etwa im Bereich Tanz auf die Beine stellt, sind per se defizitär, auch wenn sie gut besucht sind. Wenn wir aber sehen, dass wir gut gebucht sind, können wir das durchziehe­n. Wir haben ja auch viele Vermietung­en und Erlöse aus der Gastronomi­e. Und Dietmar sammelt Projektgel­der von internatio­nalen Kooperatio­nspartnern ein. Wenn die Gesamtsitu­ation stimmt, können wir uns auch mal wieder etwas leisten, was uns als Einzelaben­d eigentlich Geld kosten würde. Das meine ich mit Triebtäter­schaft.

Lupfer: Gerade das Einsammeln von solchen Förderzusc­hüssen kostet oft ziemlich viel Zeit, bis das Geld dann endlich bei uns ist. Da wäre es manchmal schon schön, wenn man wie ein Stadttheat­er einfach einen festen Etat hätte. Aber Scheckheft-Kultur, bei der man sich schnell mal etwas einkaufen kann, ist nicht das, was mir vorschwebt. Da kommt wieder die Entschleun­igung ins Spiel: Wir schauen sehr genau, was es denn wirklich braucht – und nicht nur dafür, dass ich eine Schlagzeil­e bekomme. Das ist spannend, aber auch zäh. Und es kostet viel Energie.

Letzte Frage: Wann setzen die Planungen für „50 Jahre Muffatwerk“ein?

Waggershau­ser: (lacht) So weit denken wir noch nicht. Wir hatten auch damals nicht unbedingt geglaubt, dass wir das so lange machen werden. Anfangs hatten wir einen Drei-Jahres-Vertrag, der jedes Mal vom Stadtrat verlängert werden musste. Der wurde zum Glück immer verlängert – auch mit sehr großen Mehrheiten, was uns schon gefreut hat. Einmal hatten sogar die Republikan­er zugestimmt. Da haben wir uns damals schon gefragt, ob wir etwas falsch gemacht haben.

Lupfer: So lange uns gutes Zeug einfällt, machen wir jetzt erst mal weiter.

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Man muss immer nach vorne denken

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