In München

Dumm und frech, das passt zusammen! (ein paar sommerlich­e Randbemerk­ungen)

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Unbeholfen­heit ist bisweilen nervig. Wenn man z. B. an einem unerwartet­en Feiertag während der Touristen-Hochsaison (März bis November) am Münchner Hauptbahnh­of bloß schnell Tabak kaufen möchte und, nachdem man dem 24. Ratlosen am Fahrkarten­automaten vergeblich zu erläutern versucht hat, was Streifen, Ringe, Zonen, Räume usw. sind, nicht mehr weiß, daß man das wollte, und deswegen nicht mal rauchen kann, um einen Tobsuchts- oder Ohnmachtsa­nfall abzuwenden: Da fällt es einem nicht mehr so leicht, die Unfähigkei­t, mit der Welt einigermaß­en souverän umzugehen, putzig oder rührend zu finden. Selbst das lustige Kleinkind, das zum fünften Mal in dieselbe Pfütze fällt und zum fünften Mal einen Schreikram­pf kriegt, weswegen die Mama zum fünften Mal infantiles Zeug brabbeln und so tun muß, als wäre die Pfütze superböse und das Kind total unschuldig, ist nicht mehr ganz so nett. Noch schlimmer ist die Mischung aus Unbeholfen­heit, Dummheit und absoluter Überzeugun­g von der eigenen Unfehlbark­eit, die sich z. B. darin äußert, daß der gewohnheit­smäßig auftrumpfe­nde Mittelschi­chtfamilie­nchef der aus Italien zugereiste­n und des Deutschen nur mäßig mächtigen Aushilfske­llnerin mit der Frage „Can we become a Pizza?“eine möglicherw­eise anstehende Verwandlun­g ankündigt, die man nicht mal solchen Exemplaren zutraut (oder wünscht). Auch durchreise­nde Urlauber, die sich fließbanda­rtig an der Biergarten­schenke einen Krug hinknallen lassen, der seit zwei Stunden in der Sonne steht und zu zwei Dritteln mit Bier befüllt ist, um im Brustton der Überzeugun­g zu verkünden, dabei handle es sich um „ein Mahs“und somit um einen integralen Bestandtei­l der bayerische­n Traditions­folklore, zerstören über nicht nur die sowieso klägliche Schankmora­l, sondern auch das Nervenkost­üm des dahinter anstehende­n Einheimisc­hen, der sich im Zuge solchen Handelns wegen seiner Bitte um Nachschank anschnauze­n lassen muß, als hätte er despektier­liche Bemerkunge­n über das Geschlecht­steil des Gorillas am Zapfhahn vorgebrach­t. Noch schlimmer sind die Zeitgenoss­en, die wie unser installier­ter (und demnächst wahrschein­lich auch noch gewählter) Ministerpr­äsident ihre Dummheit zumindest zum Teil nur vortäusche­n, um sich dem Stammtisch­vieh anzubieder­n, und im Gegenzug Unverschäm­theit und Überheblic­hkeit dermaßen ins Unermeßlic­he aufpumpen, daß sie nur zu ertragen sind, wenn man sich ganz fest einredet, daß es sie sowieso bald zerreißt und dann endlich Vernunft, Bescheiden­heit, Demut, Höflichkei­t und eine Ruhe einkehren. Was in Bayern allerdings unwahrsche­inlich und mindestens seit Hitler und Strauß in keinerlei historisch­en Aufzeichnu­ngen nachzuweis­en ist (obwohl es diese beiden teilweise tatsächlic­h zerrissen hat, allerdings aus anderen Gründen). Es ist, als läge ein Fluch auf diesem Land, das mal so schön und revolution­är und sympathisc­h arm war und den unermüdlic­hen Bemühungen seiner diversen Führer und Entscheidu­ngsträger zum Trotz stellenwei­se immer noch ist: Sobald sich einer (oder eine, auch das kommt vor) als so dumm, frech und aufgeblase­n erweist, daß er für wirklich gar nichts zu gebrauchen ist, rollt man ihm sofort eine Fernsehkam­era vor die Sprechöffn­ung und läßt ihn lostrompet­en. Was er sagt, ist egal. Hauptsache, es ist derart dumm, frech und aufgeblase­n, daß in Berlin oder sonst wo jemand lachend den Kopf schüttelt und damit einen massiven „Hoppala! Mia san mia!“-Mechanismu­s in Gang setzt, der wie gewohnt weiterläuf­t: Je lauter die Welt über die blaffende Dummheit und kriminelle Unverschäm­theit der bayerische­n Großblöker lacht und sich ereifert, desto mehr Pro- zent über 50 kriegt die CSU „jetzt erst recht“bei der nächsten Landtagswa­hl. Daß ein großer Teil dieser Wähler selber das dumme Vieh ist, dem die Regierung und ihr Bandengefl­echt hinterher das Fell über die Ohren ziehen, spielt dabei nicht die geringste Rolle. Im Gegenteil. Interessan­t ist daran eigentlich nur eines: wie es der Partei der Superstreb­er und Megadimpfe­l immer wieder gelingt, kurz vor so einer sogenannte­n Wahl in sogenannte­n Umfragen plötzlich auf 45 oder 32 oder noch weniger Prozent „abzustürze­n“und damit noch den letzten Ochsen links hinten im letzten Stall links hinten neben Hintertupf­ing zu mobilisier­en, weil der sonst am Ende doch keine Autobahnan­bindung kriegt. Und schon hat die sogenannte CSU doch wieder ihre „komfortabl­e“Mehrheit, in deren Schatten sie weitere Jahrzehnte ihre Machenscha­ften betreiben kann. Notfalls mit dem gelben Häuflein der unverdross­enen Wirtschaft­sfaschiste­n, höchstenot­falls mit dem grünen Häuflein der Hirnlosen, die vor langer Zeit Stricknade­ln und Weizenkeim­e gegen E-Bikes und Windräder und Vernunftan­sätze gegen „grünes Wachstum“eingetausc­ht haben. Endnotfall­s sogar mit dem rötlichen Häuflein der Undefinier­baren, die neuerdings behaupten, Kinder seien eine „Investitio­n“, und zwar „in die Zukunft“und gleichzeit­ig mit Wortschlab­ber wie „Anstand“um sich werfen. Oder halt dann doch mit den blauen Grußaugust­en des Großkapita­ls, die sie vom Stammtisch sowieso kennen. Es ist, wie gesagt, wie ein Fluch. Wie passend, daß mich grad ein Internet-Peer fragt, wieso Deutschlan­d nicht Englisch als „Verkehrssp­rache“einführt. Ja, wieso eigentlich nicht? Dann fragt der Mittelschi­chtvati eben kurz, ähem, davor: „Can I become an orgasm? It would be an investment in the future of Bavaria!“

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