Leave No Trace
„Leave No Trace“von Debra Granik
Nein, das ist kein Wochenendausflug. Für den Mann und das Mädchen, die sich mit großer Selbstsicherheit durch tiefe Wälder bewegen, ist dies eine selbst gewählte Lebensform am Rande der Gesellschaft: der Kriegsveteran Will und seine dreizehnjährige Tochter Tomasin haben sich schon seit mehreren Jahren in den Wäldern eines Nationalparks in Oregon häuslich eingerichtet. Für Thoma- sin, deren Mutter früh gestorben ist, ist dieser Zustand die Normalität, auch wenn sie der gelegentliche Weg in die Stadt mit dem Einkaufen im Supermarkt und der Abholung jener Schmerzmittel, die die posttraumatische Depression des Vaters lindern sollen, von Zeit zu Zeit in Kontakt mit der Zivilisation bringt. Als die Polizei sie aufgreift, sesshaft macht und Thomasin in die Schule kommt, krempelt das ihr Leben um – genau das, was der Vater nicht will, während sie sich an den Kontakt mit anderen gewöhnt. Schon bald drängt Will wieder zum Aufbruch. Dass es etwas zwischen dem angepassten Leben in der normalen Gesellschaft und dem Leben in den Wäldern geben kann, erschließt sich den beiden, als sie Aufnahme in einer landwirtschaftlichen Gemeinschaft finden, wo der verletzte Vater gesund gepflegt wird. Aber dessen Auffassungen sind bereits verhärtet, so dass er kaum das Gute sehen kann. Bleibt die Frage, wann seine Tochter darauf pochen wird, ihr eigenes Leben zu leben? Väter, die ihren Nachwuchs außerhalb der Gesellschaft auf ihre eigene Art und Weise erziehen, hat es im unabhängigen US-Kino der letzten Jahre öfter gegeben, Woody Harrelson in „Schloss aus Glas“oder Viggo Mortensen in „Captain Fantastic“. Anders als sie wird der Vater hier nie zum Tyrannen, der seine Tochter mit Worten oder gar mit körperlichem Zwang auf Linie bringt. Das ist umso erstaunlicher, als dieser Vater besetzt ist mit Ben Foster, der in vielen Filmen (zuletzt etwa in „Feinde – Hostiles“und in „Hell and High Water“) Männer verkörpert hat, die dazu neigen, leicht zu explodieren und deren angestaute Wut sich in Gewaltexzessen entlädt. Vielmehr herrscht hier zwischen Vater und Tochter eine große Nähe, eine absolute Vertrautheit. Die kann man als den Kern des Films bezeichnen, gilt sie doch auch für das Zurechtfinden der beiden in der Natur, mit all den notwendigen Handgriffen, die ihnen ihr Überleben sichern – und genauso trifft es zu auf die Vertrautheit der Filmemacherin mit ihren Figuren. Wie schon im Vorgänger „Winter’s Bone“(und auch in dem dazwischen entstandenen Dokumentarfilm „Stray Dog“) erweist sich die Regisseurin Debra Granik als Ethnografin, die in fremde Gemeinschaften (die doch im eigenen Land existieren) eintaucht und deren Eigenheiten mit genauem Blick einfängt. Während „Winter’s Bone“dabei auch durch die erzählerische Konvention des Zeitdrucks geprägt war, der auf der Mission der jungen Protagonistin lastete und damit an Genremotive anknüpfen konnte, lässt „Leave No Trace“dies hinter sich und erzählt ganz entspannt. Das mag für den Zuschauer auf den ersten Blick eine Herausforderung sein, aber wer sich darauf einlässt, wird mit einem einzigartigen Film belohnt.