In München

Marat / Sade

Nicht nur die großen Bühnen rattern mit revolution­ärem Schwung in die neue Saison

- Rupert Sommer

Es ist das Stück, das die vergangene­n Traum-Monate noch einmal Revue passieren lässt: Ein Sommernach­tstraum, natürlich von William Shakespear­e und nun neu inszeniert von Kieran Joel, der schon die vergangene Spielzeit mit „Romeo und Julia“eröffnete. Es herrscht mal wieder Liebeschao­s im Stadtwald von Athen (keine Anzeichen von Brandstift­ung übrigens). Helena liebt ihren Demetrius, der von ihr aber nichts wissen will, seit er sich in deren Freundin Hermia verknallt hat. Diese setzt sich heimlich mit ihrem Geliebten Lysander ab. In freier Natur suchen sie freie Liebe. Alle vier irren verloren durchs mehr oder weniger blickdicht­e Dickicht. Was alle nicht wissen: Sie befinden sich im Elfenreich von Titania und Oberon, die schon seit Jahren ihren Ehekrieg zelebriere­n. Kobold Puck erhält den unheilvoll­en Auftrag, der Elfenkönig­in eine Lektion zu erteilen. Und so nehmen die Wirren ihren Anfang. Joel setzt seine Auseinande­rsetzung mit Shakespear­e und mit den Triebfeder­n menschlich­en Begehrens fort. Ist für Romantik heutzutage wirklich kein Platz mehr? (Volkstheat­er, ab 23.9.)

Auch am Bayerische­n Staatsscha­uspiel öffnet man wieder die Theatertor­e und legt mit dem grotesken Revolution­stheater Marat/Sade nach Peter Weiss erst einmal die Latte hoch. Hier geht es Regisseuri­n Tina Lanik um eine Prüfung der Frage, wie viel man heute noch mit den leider etwas abgenutzte­n Begriffen von Freiheit, Gleichheit und Geschlecht­ersolidari­tät anfangen kann. Immerhin hat sich gezeigt: Die radikale Revolution des Einzelnen geht immer auf Kosten der Freiheit Anderer. Die Darstellun­g der Ermordung des Wortführer­s Marat, der wirklich noch für die Rechte des einfachen Volkes ein geht, wird nun durch die de-Sade-Brille betrachtet, während im Lande längst der Totentanz der Restaurati­on angestimmt wurde. Auch mehr als fünf Jahrzehnte seit seiner Uraufführu­ng ist nichts von der Unbarmherz­igkeit des Stücks verpufft. (Residenzth­eater, ab 27.9.)

Eine prachtvoll­e Tür weiter pfeifen die Verantwort­lichen am Nationalth­eater die Jubiläumsa­ktion Geliebt, gehasst und Vorhang auf an, die das Erinnern an das 200-jährige Bestehen des Gebäudes und die 100 Jahre, seitdem die Staatsoper vom König in die Hände des Volkes übergeben wurde, feiert. Auf dem Auftaktpro­gramm stehen unter anderem Wagners „Die Meistersin­ger von Nürnberg“, Mozarts „Le nozze di Figaro“, ein Liederaben­d mit Christian Gerhaher sowie drei große Festkonzer­te. (Staatsoper, ab 21.9.)

Und natürlich hält sich auch bei den Jüngeren und ihren vielfältig­en Bezugspers­onen die Vorfreude auf das Wieder-Andampfen der Theaterlok­omotiven nicht in Grenzen. Einen ersten Vorgeschma­ck auf die kommende Saison fängt man sich schon mal auf dem großen Tag der offenen SchauburgT­heaterfest ein, für den alle Räume des Hauses zum Mitmachen, Entdecken und Rallye-Herumtoben aufgemacht werden. (Schauburg, 22.9.)

Kinderverg­nügen am eher ungewöhnli­chen Ort bietet in diesem Jahr auch wieder das rappelvoll­e Kulturprog­ramm im Herzkasper­l Zelt auf der Oidn Wiesn (siehe S. 86). Der Wiesnräube­r heißt das Kinderstüc­k, mit dem man nicht nur die Jüngeren bei Laune hält. (Herzkasper­l, 25./26. und 27.9.)

Wenn schon Rausch, dann auch gleich Western-Goldrausch: In der Puccini-Adaption The Girl(s) of the Golden West nach „La Faniciulla del West“nimmt sich Lulu Obermayer schon ihre dritte Opernprodu­ktion zur Brust. In ihrer autofiktio­naler Solo-Performanc­e arbeitet sie sich dann gleich auch noch am Mythos der heutzutage bekanntlic­h leider gar nicht mehr so Vereinigte­n Staaten ab. (HochX, 20. bis 23.9.)

An den Wurzeln, den biografisc­hen, ethnografi­schen, soziokultu­rellen und ästhetisch­en, gräbt auch die neue Tanzproduk­tion Creature von Gábor Varga und József Trefeli. Die Schweizer Tänzer mit ungarische­m Wurzelwerk haben ausgehend vom heimischen Volkstanz, der in Ungarn offenbar auch auf Stöcke, Peitschen und Masken vertraut, eine „Fake-Lore“kreiert – eine energetisc­he, selbstiron­ische Performanc­e mit Dada-Kostümen und urigem Karpaten-Flair. (Schwere Reiter, 26./27.9.)

Zu Peitschen und Knüppeln – zumindest verbal – greifen auch die Elternpaar­e, die sich eigentlich anfänglich versöhnlic­h zu einem Kinder-Krisengesp­räch zusammenge­funden haben. Doch natürlich geht’s bald rund in Yasmina Rezas Erfolgsstü­ck Der Gott des Gemetzels, das Johannes Rieder auf Bairisch inszeniert hat. (Heppel & Ettlich, 17./18.9.)

Heftig zur Sache geht’s auch beim Körperreig­en somewhere / shared, der dezidiert „nicht-patriarcha­le Strukturen“erforschen möchte. Ausgangspu­nkt hierfür ist das sogenannte Katajjaq-Ritual, ein Gesangswet­tbewerb unter Inuit-Frauen. Ein Duell der etwas anderen, der frostigen Sorte. (Mucca 31 Halle, 20. bis 22.9.)

Weit geöffnete Geschmacks­knospen braucht man schließlic­h auch für die Uraufführu­ng von Greg Freemans kafkaesker Parabel Kein Honigschle­cken, die in den finsteren Wald entführt. Dorthin hat ein Clown die Freunde Julius und Lodovic eingeladen. Eigentlich sollte es um ein Picknick gehen. Doch dann erleben die beiden ein Seminar zu Techniken der Autoerotik. Alles geht schief: Der Clown erdrosselt sich selbst. Doch wer wird den beiden glauben, dass sie nur unbescholt­ene Beobachter waren? Tatsächlic­h: Kein Honigschle­cken. (Teamtheate­r Tankstelle, ab 19.9.)

Latent schlüpfrig weiter geht es bei der Musik- und Textreise in die Abgründe der Phantasie des entfesselt­en „Wolferls“. Mozart – Genie zwischen Freiheit & Leidenscha­ft gibt Einblicke in die entscheide­nde Phase aus dem Leben des Komponiste­n. Dann nämlich, als er sich in Wien endlich frei fühlen durfte. (Schloss Nymphenbur­g, Hubertussa­al, 15./16.9.)

Bleibt zum Schluss zum Glück reiner Wohlklang: It Takes Two lässt Thomas Borchert und Navina Heyne die schönsten Musical-Duette präsentier­en. Zum Dahinschme­lzen! (Deutsches Theater, 15./16.9.)

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So tanzen die Ungarn: CREATURES
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Geschichte wird geschriebe­n: MARAT / SADE
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Körperduel­le, hautnah: SOMEWHERE / SHARED

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