Marat / Sade
Nicht nur die großen Bühnen rattern mit revolutionärem Schwung in die neue Saison
Es ist das Stück, das die vergangenen Traum-Monate noch einmal Revue passieren lässt: Ein Sommernachtstraum, natürlich von William Shakespeare und nun neu inszeniert von Kieran Joel, der schon die vergangene Spielzeit mit „Romeo und Julia“eröffnete. Es herrscht mal wieder Liebeschaos im Stadtwald von Athen (keine Anzeichen von Brandstiftung übrigens). Helena liebt ihren Demetrius, der von ihr aber nichts wissen will, seit er sich in deren Freundin Hermia verknallt hat. Diese setzt sich heimlich mit ihrem Geliebten Lysander ab. In freier Natur suchen sie freie Liebe. Alle vier irren verloren durchs mehr oder weniger blickdichte Dickicht. Was alle nicht wissen: Sie befinden sich im Elfenreich von Titania und Oberon, die schon seit Jahren ihren Ehekrieg zelebrieren. Kobold Puck erhält den unheilvollen Auftrag, der Elfenkönigin eine Lektion zu erteilen. Und so nehmen die Wirren ihren Anfang. Joel setzt seine Auseinandersetzung mit Shakespeare und mit den Triebfedern menschlichen Begehrens fort. Ist für Romantik heutzutage wirklich kein Platz mehr? (Volkstheater, ab 23.9.)
Auch am Bayerischen Staatsschauspiel öffnet man wieder die Theatertore und legt mit dem grotesken Revolutionstheater Marat/Sade nach Peter Weiss erst einmal die Latte hoch. Hier geht es Regisseurin Tina Lanik um eine Prüfung der Frage, wie viel man heute noch mit den leider etwas abgenutzten Begriffen von Freiheit, Gleichheit und Geschlechtersolidarität anfangen kann. Immerhin hat sich gezeigt: Die radikale Revolution des Einzelnen geht immer auf Kosten der Freiheit Anderer. Die Darstellung der Ermordung des Wortführers Marat, der wirklich noch für die Rechte des einfachen Volkes ein geht, wird nun durch die de-Sade-Brille betrachtet, während im Lande längst der Totentanz der Restauration angestimmt wurde. Auch mehr als fünf Jahrzehnte seit seiner Uraufführung ist nichts von der Unbarmherzigkeit des Stücks verpufft. (Residenztheater, ab 27.9.)
Eine prachtvolle Tür weiter pfeifen die Verantwortlichen am Nationaltheater die Jubiläumsaktion Geliebt, gehasst und Vorhang auf an, die das Erinnern an das 200-jährige Bestehen des Gebäudes und die 100 Jahre, seitdem die Staatsoper vom König in die Hände des Volkes übergeben wurde, feiert. Auf dem Auftaktprogramm stehen unter anderem Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“, Mozarts „Le nozze di Figaro“, ein Liederabend mit Christian Gerhaher sowie drei große Festkonzerte. (Staatsoper, ab 21.9.)
Und natürlich hält sich auch bei den Jüngeren und ihren vielfältigen Bezugspersonen die Vorfreude auf das Wieder-Andampfen der Theaterlokomotiven nicht in Grenzen. Einen ersten Vorgeschmack auf die kommende Saison fängt man sich schon mal auf dem großen Tag der offenen SchauburgTheaterfest ein, für den alle Räume des Hauses zum Mitmachen, Entdecken und Rallye-Herumtoben aufgemacht werden. (Schauburg, 22.9.)
Kindervergnügen am eher ungewöhnlichen Ort bietet in diesem Jahr auch wieder das rappelvolle Kulturprogramm im Herzkasperl Zelt auf der Oidn Wiesn (siehe S. 86). Der Wiesnräuber heißt das Kinderstück, mit dem man nicht nur die Jüngeren bei Laune hält. (Herzkasperl, 25./26. und 27.9.)
Wenn schon Rausch, dann auch gleich Western-Goldrausch: In der Puccini-Adaption The Girl(s) of the Golden West nach „La Faniciulla del West“nimmt sich Lulu Obermayer schon ihre dritte Opernproduktion zur Brust. In ihrer autofiktionaler Solo-Performance arbeitet sie sich dann gleich auch noch am Mythos der heutzutage bekanntlich leider gar nicht mehr so Vereinigten Staaten ab. (HochX, 20. bis 23.9.)
An den Wurzeln, den biografischen, ethnografischen, soziokulturellen und ästhetischen, gräbt auch die neue Tanzproduktion Creature von Gábor Varga und József Trefeli. Die Schweizer Tänzer mit ungarischem Wurzelwerk haben ausgehend vom heimischen Volkstanz, der in Ungarn offenbar auch auf Stöcke, Peitschen und Masken vertraut, eine „Fake-Lore“kreiert – eine energetische, selbstironische Performance mit Dada-Kostümen und urigem Karpaten-Flair. (Schwere Reiter, 26./27.9.)
Zu Peitschen und Knüppeln – zumindest verbal – greifen auch die Elternpaare, die sich eigentlich anfänglich versöhnlich zu einem Kinder-Krisengespräch zusammengefunden haben. Doch natürlich geht’s bald rund in Yasmina Rezas Erfolgsstück Der Gott des Gemetzels, das Johannes Rieder auf Bairisch inszeniert hat. (Heppel & Ettlich, 17./18.9.)
Heftig zur Sache geht’s auch beim Körperreigen somewhere / shared, der dezidiert „nicht-patriarchale Strukturen“erforschen möchte. Ausgangspunkt hierfür ist das sogenannte Katajjaq-Ritual, ein Gesangswettbewerb unter Inuit-Frauen. Ein Duell der etwas anderen, der frostigen Sorte. (Mucca 31 Halle, 20. bis 22.9.)
Weit geöffnete Geschmacksknospen braucht man schließlich auch für die Uraufführung von Greg Freemans kafkaesker Parabel Kein Honigschlecken, die in den finsteren Wald entführt. Dorthin hat ein Clown die Freunde Julius und Lodovic eingeladen. Eigentlich sollte es um ein Picknick gehen. Doch dann erleben die beiden ein Seminar zu Techniken der Autoerotik. Alles geht schief: Der Clown erdrosselt sich selbst. Doch wer wird den beiden glauben, dass sie nur unbescholtene Beobachter waren? Tatsächlich: Kein Honigschlecken. (Teamtheater Tankstelle, ab 19.9.)
Latent schlüpfrig weiter geht es bei der Musik- und Textreise in die Abgründe der Phantasie des entfesselten „Wolferls“. Mozart – Genie zwischen Freiheit & Leidenschaft gibt Einblicke in die entscheidende Phase aus dem Leben des Komponisten. Dann nämlich, als er sich in Wien endlich frei fühlen durfte. (Schloss Nymphenburg, Hubertussaal, 15./16.9.)
Bleibt zum Schluss zum Glück reiner Wohlklang: It Takes Two lässt Thomas Borchert und Navina Heyne die schönsten Musical-Duette präsentieren. Zum Dahinschmelzen! (Deutsches Theater, 15./16.9.)