Talk to the Claw
„Quoth the Raven. Nevermore“steht über dem Relief eines Raben auf der Pforte von Edgar Allan Poes erstem Undergroundhotelzimmer in Baltimore. Gut gewählt. Der Abgang des Gruseldichterfürsten war mysteriös und gerüchteköchelnd. „Theories as to what caused Poe’s death include suicide, murder, cholera, hypoglycemia, rabies, syphilis, influenza, and that Poe was a victim of cooping“, listet ein Artikel. Das erinnert an den hypochondernden Ich-Erzähler von Jerome K. Jeromes Drei Mann in einem Boot: „Ich hatte praktisch alles außer Tennisarm.“Weitsichtig war der Grabsteinspruch auch: Knapp 170 Jahre nach Poes „Nevermore“flattert sein Kultgedicht The Raven als ewig wiederkehrendes Zitat munter durch die Popkultur. Pompös auf der 76er-Kick-offScheibe von The Alan Parsons Project: Tales of Mystery and Imagination. „Edgar“Alan Parsons und sein Amigo Eric „Werwoolfson“verbombastrocken Poes Gruselcontent. Ein Raven-Hörspiel in der Reihe Gruselkabinett war überfällig wie der Tod eines hundertjährigen Diktators. Das Gedicht selbst ist kein Wortmonster. 1000 Wörter, 6.500 Zeichen. Ein solides Drittel der Länge von T. S. Eliots The Waste Land und Ginsbergs Howl. Das originelle und handwerklich solide Hörspiel spannt die Flügel also etwas weiter als das Gedicht und vermischt Der Rabe mit Poes Kurzgeschichte Ligeia (1838): Die geheimnisparfümierte Loverin des Ich-Erzählers Noel wird im Hörspiel zur Autorin des Gedichts
Der Rabe. Kurz vor ihrem letzten Seufzer bittet sie Noel, das Gedicht vorzulesen. In Noels Erinnerungen entwickelt sich eine tropische Leidenschaft zwischen ihm und Ligeia. Dabei stöhnen die beiden überraschend eindeutig. Selbe Liga wie der ‘76er-Song Je t’aime von Serge Gainsbourg und Jane Birkin. Sogar der Hochzeitspfaffe fühlt sich genötigt, die beiden in ihrem Vereinigungsstreben ein wenig zu bremsen: „Aber, aber ... wir befinden uns doch hier immerhin einem Gotteshaus“. Der Rabe selbst verlässt Ligeias Gedicht und zeigt solide 3-DPräsenz. Gut so. Denn sein ewiges „Nevermore“ist quasi nur eine Rabenvariante von Terminator-Arnies „talk to the hand“. Edgar Allan Poe: Der Rabe (Gruselkabinett – Folge
139). Hörspiel von Marc Gruppe mit Johannes Raspe, Joachim Tennstedt und Kristine Walther u. a., 1 CD, ca. 65 Min., www.luebbe-audio.de