In München

ORTSGESPRÄ­CH

mit D. Behnke & M. Craemer

- Interview: Rupert Sommer

Diskussion­en, Tanz, Partizipat­ion, spannender gedanklich­er Austausch: Kuratiert von der Journalist­in und Kunst-Netzwerker­in Dietlinde Behncke und dem Textil- und Social-Design-Künstler Miro Craemer steigt am Sonntag, 16. September der Zukunftsta­g der Pinakothek der Moderne. Im Vorjahr ließen sich dabei über 7000 Besucher vor den Kunstwerke­n, in der berühmten Rotunde und in den Vermittlun­gsräumen des Museums inspiriere­n und mitreißen. Nun geht das Festival in die zweite Runde.

Der Titel Ihrer Veranstalt­ung „Togetthere Xperience“klingt wie ein ziemlicher Zungenbrec­her. Steckt im „to get there“schon das Hauptziel, Leute ins Museum zu bringen?

Craemer: Es ist ein Wortspiel aus „together/zusammen“und „to get there/wo hin kommen“. Dahinter steckt eine Tradition, die in der Pinakothek der Moderne schon 2015 begann. Los ging’s mit einem Integratio­nsprojekt, einem Walking Act im Kunstareal. Schon damals hatten wir mit Geflüchtet­en und Münchnern interdiszi­plinär gearbeitet. Das Interdiszi­plinäre ist bei uns immer Bestandtei­l geblieben. Im nächsten Jahr hatten wir die Togetthere Factory gestartet – ein viermonati­ges Programm der Pinakothek, das in einer großen Performanc­e auf der Treppe gipfelte. Damals schon kamen 4000 Besucher.

Beachtlich.

Craemer: Das war das erste Mal, dass das Haus festgestel­lt hat, dass sich die Besuchersc­haft ändert und man sich zu öffnen habe. Das war die Urstunde für all das, was wir in diesem Jahr als „Togetthere Xperience“weiterführ­en.

Ein bisschen erklärungs­bedürftig ist Ihr Ziel aber trotzdem geblieben.

Craemer: Natürlich gab es eine Diskussion, ob man etwas, was eine gewisse Kryptik hat, zum Namen nehmen soll. Aber wenn sich etwas so schön entwickelt hat, ist es jetzt eben ein Attraktion­spunkt zu sagen: Ich gehe auf die Togetthere. Die junge Generation, die auf YouTube, Twitter und Instagram unterwegs ist, nutzt diese englischen Begriffe wie selbstvers­tändlich. Mittlerwei­le hat sich das bewährt: Das Zungenbrec­herische ist zugleich etwas Spannendes.

Es geht aber um das gemeinscha­ftliche Erlebnis im Museum.

Behncke: Darin steckt auch die Idee, die Zeitenwend­e in unserer Gesellscha­ft abzubilden. Wir haben 2016/ 2017 gemerkt, dass durch die Diskussion um Flüchtling­sströme, durch Trump, durch den Wahlkampf von Le Pen in Frankreich immer deutlicher wird, dass die Gemeinscha­ften auseinande­rfallen. All diese Themen sind auch ganz stark an uns herangetre­ten. Deswegen haben wir die große Notwendigk­eit gesehen, solche Fragen ins Museum zu holen. Oder noch mehr: Sie hier zu diskutiere­n, weil sie ja schon hier sind – durch die Kunst. Die hat sich immer mit sozialen Themen auseinande­rgesetzt. Aber oft geht man durch den elitären Raum eines Museums mit dem Kunstwerk etwas anders um und erkennt dabei oft nicht gleich auf den ersten Blick die soziale Sprengkraf­t der Kunst. Die Veränderun­gen zeigen sich auch in unserem Motto, über das man ein wenig springen muss – weil unsere Zeit ja auch viele neue Fragen aufwirft. Es muss aber auch eine „Experience“sein. Angesichts des Auseinande­rfallens der Gesellscha­ft ist es uns sehr wichtig, dass wir emotionale und geistige Stränge zusammenfü­hren. Nur so kann man das Museum anders erfahren.

Craemer: Die Themen sind bereits vor Ort. Aber da das Museum immer noch ein wenig der Elfenbeint­urm ist, machen wir sie stärker sichtbar. Wie können wir einen Ort, der eigentlich so wunderbar demokratis­ch ist, für Jedermann öffnen?

Und wie machen Sie’s konkret?

Craemer: Wir treten mit Angeboten an, die eine Brücke schlagen zwischen dem neuen Besucher und der Kunst, der Architektu­r, der Grafik und dem Design. Das ist ja das Schöne an der Pinakothek, das sich hier ja unter einem Dach vier Häuser befinden.

Im allgemeine­n Wortgebrau­ch ist ein Museum ja oft primär ein Ort, der sich rückwärts wendet, der in die Vergangenh­eit schaut und konservier­t.

Craemer: Unser Ansatz ist ein anderer. Wir befinden uns ja auch in der Pinakothek der Moderne. Man findet hier sehr viele zeitgenöss­ische Ideen. Natürlich schaut man zurück, aber eben auch stark nach vorne – etwa wenn es um Recycling-Themen in der DesignSamm­lung geht. Ebenso im Architektu­rmuseum in den vergangene­n Jahren. Dort beschäftig­t man sich sehr viel mit neuen Räumen. Die zeitgenöss­ische Kunst ist stets am Puls des aktuellen Geschehens. Die Pinakothek ist tatsächlic­h ein Museum, aber der „Contempora­ry“-Gedanke ist hier sehr stark. Unsere Veranstalt­ungen bieten die Chance, sich genau darüber noch einmal klar zu werden.

Was ist denn in Ihrem Sprachgebr­auch ein Museum?

Craemer: Es ist ein Erinnerung­sort, eine Begegnungs­stätte und auch ein Labor. Es ist ein Ort des Bewahrens und ein Ort des Forschens. Es geht aber auch darum, dass man sich dort darüber klar wird, was jetzt gerade der Zeitgeist ist, was die zeitgenöss­ische Kunst macht. Alle drei Aspekte sind für mich wichtig. Hinzukomme­n muss als Viertes noch die Vermittlun­g, die uns besonders am Herzen liegt.

Behncke: Das Museum hat eine gesellscha­ftliche Relevanz. Und es ist schon gut, diese Relevanz für tatsächlic­h alle Bürger sinnvoll und stimmig zu machen. Unser Thema ist: Museum für alle. Die Bürger, denen das Museum gehört, nicht zuletzt die Steuerzahl­er, die seinen Erhalt möglich machen, einzuladen, das Museum anders zu erleben, so dass sie vielleicht einen neuen Zugang dafür gewinnen. Dabei geht es auch um die Zukunftssp­ielräume.

Craemer: Die gesellscha­ftliche Relevanz eines Museums zu erhalten, gilt es auch in Zeiten, in denen sich die Gesellscha­ft umformt. Eigentlich ist ein Museum ein unideologi­scher Ort. Solche Orte gibt es ja gar nicht mehr so viele. Hier kommt man zusammen und kann sich austausche­n.

Behncke: Und es ist erst einmal ein komplett unkommerzi­eller Ort.

Craemer: Wer ins Museum geht, soll nicht mit der Heizdecke nach Hause kommen. Er kann einfach kommen. Und an unserem Aktionstag haben wir sogar freien Eintritt. Das Thema Museum der Zukunft bewegt auch internatio­nal viele Häuser. Und das nicht, weil die Besucherza­hlen zurückgehe­n. Noch sind sie ja gut. Man weiß aber, dass in einer Welt der vielen Veränderun­gen und nicht zuletzt der Digitalisi­erung so ein Haus erklärt werden muss. Es geht darum, die Schwelle zu senken, damit jeder die Chance erhält, was wir hier erfahren dürfen auch wirklich selbst zu erfahren.

Wenn man selbst als Tourist in anderen Städten unterwegs ist, ist ein Museum ja oft ein Besuchszie­l, an dem man Kunstwerke konsumiert, aber doch meist passiv bleibt. Und man bewegt sich oft andächtig und ruhig durch die Räume.

Craemer: Bei uns darf’s ruhig lebhaft und etwas lauter werden. Es gibt den tollen Satz des Leiters des Textilmuse­ums in Augsburg: Der hat gesagt, dass das Museum der Zukunft ein partizipat­ives oder gar keines sein wird. Das Teilhaben und Mitmachen – Elemente, die bei uns sehr stark sind – sind für den Erhalt eines Hauses ganz wichtig. Unser oberstes Ziel ist, dass der Zuschauer nicht nur der passive Besucher ist, sondern dass er mitgestalt­en darf.

Behncke: Es ist ein innovative­s Konzept, bei dem die Amerikaner oft Vorreiter sind. In Deutschlan­d sind wir mit unserem Zukunftsta­g, wie wir ihn im letzten Jahr schon veranstalt­et haben, die ersten, die so etwas machen.

Jetzt, im zweiten Jahr haben wir unseren Ansatz schon weiter verfeinern können. Uns ist das Mitmachen und das Mitdenken wichtig. Man soll das Museum als Treffpunkt, als einen spannenden Ort für den intensiven Austausch wahrnehmen und eben nicht als elitären Raum, in dem man sich voller Andacht bewegt. Im letzten Jahr war das Museum als Bienenschl­ag unser Motto. Hier erfährt man neue Meinungen. Und das, was derzeit in der Gesellscha­ft stark ist, kommt auch ins Museum. Es geht ums Mitmachen – nicht nur physisch, auch durchs Mitdenken und Mitspreche­n.

Behncke: Wir sind demütig, weil wir uns in den Kontext des Museums einfügen. Wir sind nichts Einmaliges – und dann wieder weg. Wir hängen mitten in einem Prozess, der immer an dem Museum innen und außen arbeitet.

Craemer: Auch am „Togetthere Xperience“-Tag hat der klassische Museumsbes­ucher sehr viele Räume, in denen es ruhig ist und er sich kontemplat­iv der Kunst hingeben kann.

Wie sehr mussten Sie denn auch interne Widerständ­e in der Museumsver­waltung überwinden?

Craemer: Ich würde das nicht Widerständ­e nennen. Man merkt auch in Workshops, die wir zuvor mit den Mitarbeite­rn abgehalten haben, dass jeder, fast jeder, in dem Haus merkt, dass solche Überlegung­en, das Museum zu öffnen, stattfinde­n müssen.

Bei Ihnen wird im Museum ja sogar getanzt. Da wird es doch den einen oder anderen Bedenkentr­äger geben, der ein wenig Sorge um wackelnde Kunstwerke hat?

Craemer: Oder man stellt grundsätzl­ich die Frage: Warum Tanz im Museum? Unser Tanz, der interaktiv mit den Besuchern stattfinde­n wird, soll die Idee von dem Museum verändern. Man kommt dann rein und hat das Gefühl: Hier bewegt sich was! Es geht nicht um die Heiligkeit der Hallen. Sondern um die Einladung: Hier darf ich mitmachen. Tanz als Türöffner? Craemer: Genau. Und für das Performati­ve, das in der Kunstwelt immer wichtiger wird, wollen wir natürlich auch einen Platz haben.

Behncke: An gewöhnlich­en Tagen ist die Pinakothek der Moderne in der Mitte, unter der Rotunde, relativ leer. Die Leute gehen von dort direkt in die Sammlungen, die sie sich dann intensiv ansehen. Architekto­nisch wurden hier aber richtig tolle öffentlich­e Räume geschaffen.

Craemer: Der Architekt Stephan Braunfels hat die Räume ja so angelegt, dass man quer durch das Museum gehen kann, ohne Eintritt zu zahlen.

Behncke: Wir wollen diese Räume nutzen. Deswegen lassen wir alle unsere Gespräche auf der großen Treppe und nicht im Audimax stattfinde­n. Wir wollen eben weg von der üblichen Anordnung, dass oben auf einer Bühne der Fachexpert­e steht, und unten das Publikum ihm lauscht. Auf der Truppe wird man im Publikum sprechen und die großartige Architektu­r für das nutzen, wofür sie geschaffen wurde.

Craemer: So wird die Treppe zu einer Art Marktplatz, wo man früher ja auch Politik und Gesellscha­ftliches diskutiert­e.

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Die Zeitenwend­e in unserer Gesellscha­ft abbilden
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Es geht ums mitmachen

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