ORTSGESPRÄCH
mit D. Behnke & M. Craemer
Diskussionen, Tanz, Partizipation, spannender gedanklicher Austausch: Kuratiert von der Journalistin und Kunst-Netzwerkerin Dietlinde Behncke und dem Textil- und Social-Design-Künstler Miro Craemer steigt am Sonntag, 16. September der Zukunftstag der Pinakothek der Moderne. Im Vorjahr ließen sich dabei über 7000 Besucher vor den Kunstwerken, in der berühmten Rotunde und in den Vermittlungsräumen des Museums inspirieren und mitreißen. Nun geht das Festival in die zweite Runde.
Der Titel Ihrer Veranstaltung „Togetthere Xperience“klingt wie ein ziemlicher Zungenbrecher. Steckt im „to get there“schon das Hauptziel, Leute ins Museum zu bringen?
Craemer: Es ist ein Wortspiel aus „together/zusammen“und „to get there/wo hin kommen“. Dahinter steckt eine Tradition, die in der Pinakothek der Moderne schon 2015 begann. Los ging’s mit einem Integrationsprojekt, einem Walking Act im Kunstareal. Schon damals hatten wir mit Geflüchteten und Münchnern interdisziplinär gearbeitet. Das Interdisziplinäre ist bei uns immer Bestandteil geblieben. Im nächsten Jahr hatten wir die Togetthere Factory gestartet – ein viermonatiges Programm der Pinakothek, das in einer großen Performance auf der Treppe gipfelte. Damals schon kamen 4000 Besucher.
Beachtlich.
Craemer: Das war das erste Mal, dass das Haus festgestellt hat, dass sich die Besucherschaft ändert und man sich zu öffnen habe. Das war die Urstunde für all das, was wir in diesem Jahr als „Togetthere Xperience“weiterführen.
Ein bisschen erklärungsbedürftig ist Ihr Ziel aber trotzdem geblieben.
Craemer: Natürlich gab es eine Diskussion, ob man etwas, was eine gewisse Kryptik hat, zum Namen nehmen soll. Aber wenn sich etwas so schön entwickelt hat, ist es jetzt eben ein Attraktionspunkt zu sagen: Ich gehe auf die Togetthere. Die junge Generation, die auf YouTube, Twitter und Instagram unterwegs ist, nutzt diese englischen Begriffe wie selbstverständlich. Mittlerweile hat sich das bewährt: Das Zungenbrecherische ist zugleich etwas Spannendes.
Es geht aber um das gemeinschaftliche Erlebnis im Museum.
Behncke: Darin steckt auch die Idee, die Zeitenwende in unserer Gesellschaft abzubilden. Wir haben 2016/ 2017 gemerkt, dass durch die Diskussion um Flüchtlingsströme, durch Trump, durch den Wahlkampf von Le Pen in Frankreich immer deutlicher wird, dass die Gemeinschaften auseinanderfallen. All diese Themen sind auch ganz stark an uns herangetreten. Deswegen haben wir die große Notwendigkeit gesehen, solche Fragen ins Museum zu holen. Oder noch mehr: Sie hier zu diskutieren, weil sie ja schon hier sind – durch die Kunst. Die hat sich immer mit sozialen Themen auseinandergesetzt. Aber oft geht man durch den elitären Raum eines Museums mit dem Kunstwerk etwas anders um und erkennt dabei oft nicht gleich auf den ersten Blick die soziale Sprengkraft der Kunst. Die Veränderungen zeigen sich auch in unserem Motto, über das man ein wenig springen muss – weil unsere Zeit ja auch viele neue Fragen aufwirft. Es muss aber auch eine „Experience“sein. Angesichts des Auseinanderfallens der Gesellschaft ist es uns sehr wichtig, dass wir emotionale und geistige Stränge zusammenführen. Nur so kann man das Museum anders erfahren.
Craemer: Die Themen sind bereits vor Ort. Aber da das Museum immer noch ein wenig der Elfenbeinturm ist, machen wir sie stärker sichtbar. Wie können wir einen Ort, der eigentlich so wunderbar demokratisch ist, für Jedermann öffnen?
Und wie machen Sie’s konkret?
Craemer: Wir treten mit Angeboten an, die eine Brücke schlagen zwischen dem neuen Besucher und der Kunst, der Architektur, der Grafik und dem Design. Das ist ja das Schöne an der Pinakothek, das sich hier ja unter einem Dach vier Häuser befinden.
Im allgemeinen Wortgebrauch ist ein Museum ja oft primär ein Ort, der sich rückwärts wendet, der in die Vergangenheit schaut und konserviert.
Craemer: Unser Ansatz ist ein anderer. Wir befinden uns ja auch in der Pinakothek der Moderne. Man findet hier sehr viele zeitgenössische Ideen. Natürlich schaut man zurück, aber eben auch stark nach vorne – etwa wenn es um Recycling-Themen in der DesignSammlung geht. Ebenso im Architekturmuseum in den vergangenen Jahren. Dort beschäftigt man sich sehr viel mit neuen Räumen. Die zeitgenössische Kunst ist stets am Puls des aktuellen Geschehens. Die Pinakothek ist tatsächlich ein Museum, aber der „Contemporary“-Gedanke ist hier sehr stark. Unsere Veranstaltungen bieten die Chance, sich genau darüber noch einmal klar zu werden.
Was ist denn in Ihrem Sprachgebrauch ein Museum?
Craemer: Es ist ein Erinnerungsort, eine Begegnungsstätte und auch ein Labor. Es ist ein Ort des Bewahrens und ein Ort des Forschens. Es geht aber auch darum, dass man sich dort darüber klar wird, was jetzt gerade der Zeitgeist ist, was die zeitgenössische Kunst macht. Alle drei Aspekte sind für mich wichtig. Hinzukommen muss als Viertes noch die Vermittlung, die uns besonders am Herzen liegt.
Behncke: Das Museum hat eine gesellschaftliche Relevanz. Und es ist schon gut, diese Relevanz für tatsächlich alle Bürger sinnvoll und stimmig zu machen. Unser Thema ist: Museum für alle. Die Bürger, denen das Museum gehört, nicht zuletzt die Steuerzahler, die seinen Erhalt möglich machen, einzuladen, das Museum anders zu erleben, so dass sie vielleicht einen neuen Zugang dafür gewinnen. Dabei geht es auch um die Zukunftsspielräume.
Craemer: Die gesellschaftliche Relevanz eines Museums zu erhalten, gilt es auch in Zeiten, in denen sich die Gesellschaft umformt. Eigentlich ist ein Museum ein unideologischer Ort. Solche Orte gibt es ja gar nicht mehr so viele. Hier kommt man zusammen und kann sich austauschen.
Behncke: Und es ist erst einmal ein komplett unkommerzieller Ort.
Craemer: Wer ins Museum geht, soll nicht mit der Heizdecke nach Hause kommen. Er kann einfach kommen. Und an unserem Aktionstag haben wir sogar freien Eintritt. Das Thema Museum der Zukunft bewegt auch international viele Häuser. Und das nicht, weil die Besucherzahlen zurückgehen. Noch sind sie ja gut. Man weiß aber, dass in einer Welt der vielen Veränderungen und nicht zuletzt der Digitalisierung so ein Haus erklärt werden muss. Es geht darum, die Schwelle zu senken, damit jeder die Chance erhält, was wir hier erfahren dürfen auch wirklich selbst zu erfahren.
Wenn man selbst als Tourist in anderen Städten unterwegs ist, ist ein Museum ja oft ein Besuchsziel, an dem man Kunstwerke konsumiert, aber doch meist passiv bleibt. Und man bewegt sich oft andächtig und ruhig durch die Räume.
Craemer: Bei uns darf’s ruhig lebhaft und etwas lauter werden. Es gibt den tollen Satz des Leiters des Textilmuseums in Augsburg: Der hat gesagt, dass das Museum der Zukunft ein partizipatives oder gar keines sein wird. Das Teilhaben und Mitmachen – Elemente, die bei uns sehr stark sind – sind für den Erhalt eines Hauses ganz wichtig. Unser oberstes Ziel ist, dass der Zuschauer nicht nur der passive Besucher ist, sondern dass er mitgestalten darf.
Behncke: Es ist ein innovatives Konzept, bei dem die Amerikaner oft Vorreiter sind. In Deutschland sind wir mit unserem Zukunftstag, wie wir ihn im letzten Jahr schon veranstaltet haben, die ersten, die so etwas machen.
Jetzt, im zweiten Jahr haben wir unseren Ansatz schon weiter verfeinern können. Uns ist das Mitmachen und das Mitdenken wichtig. Man soll das Museum als Treffpunkt, als einen spannenden Ort für den intensiven Austausch wahrnehmen und eben nicht als elitären Raum, in dem man sich voller Andacht bewegt. Im letzten Jahr war das Museum als Bienenschlag unser Motto. Hier erfährt man neue Meinungen. Und das, was derzeit in der Gesellschaft stark ist, kommt auch ins Museum. Es geht ums Mitmachen – nicht nur physisch, auch durchs Mitdenken und Mitsprechen.
Behncke: Wir sind demütig, weil wir uns in den Kontext des Museums einfügen. Wir sind nichts Einmaliges – und dann wieder weg. Wir hängen mitten in einem Prozess, der immer an dem Museum innen und außen arbeitet.
Craemer: Auch am „Togetthere Xperience“-Tag hat der klassische Museumsbesucher sehr viele Räume, in denen es ruhig ist und er sich kontemplativ der Kunst hingeben kann.
Wie sehr mussten Sie denn auch interne Widerstände in der Museumsverwaltung überwinden?
Craemer: Ich würde das nicht Widerstände nennen. Man merkt auch in Workshops, die wir zuvor mit den Mitarbeitern abgehalten haben, dass jeder, fast jeder, in dem Haus merkt, dass solche Überlegungen, das Museum zu öffnen, stattfinden müssen.
Bei Ihnen wird im Museum ja sogar getanzt. Da wird es doch den einen oder anderen Bedenkenträger geben, der ein wenig Sorge um wackelnde Kunstwerke hat?
Craemer: Oder man stellt grundsätzlich die Frage: Warum Tanz im Museum? Unser Tanz, der interaktiv mit den Besuchern stattfinden wird, soll die Idee von dem Museum verändern. Man kommt dann rein und hat das Gefühl: Hier bewegt sich was! Es geht nicht um die Heiligkeit der Hallen. Sondern um die Einladung: Hier darf ich mitmachen. Tanz als Türöffner? Craemer: Genau. Und für das Performative, das in der Kunstwelt immer wichtiger wird, wollen wir natürlich auch einen Platz haben.
Behncke: An gewöhnlichen Tagen ist die Pinakothek der Moderne in der Mitte, unter der Rotunde, relativ leer. Die Leute gehen von dort direkt in die Sammlungen, die sie sich dann intensiv ansehen. Architektonisch wurden hier aber richtig tolle öffentliche Räume geschaffen.
Craemer: Der Architekt Stephan Braunfels hat die Räume ja so angelegt, dass man quer durch das Museum gehen kann, ohne Eintritt zu zahlen.
Behncke: Wir wollen diese Räume nutzen. Deswegen lassen wir alle unsere Gespräche auf der großen Treppe und nicht im Audimax stattfinden. Wir wollen eben weg von der üblichen Anordnung, dass oben auf einer Bühne der Fachexperte steht, und unten das Publikum ihm lauscht. Auf der Truppe wird man im Publikum sprechen und die großartige Architektur für das nutzen, wofür sie geschaffen wurde.
Craemer: So wird die Treppe zu einer Art Marktplatz, wo man früher ja auch Politik und Gesellschaftliches diskutierte.