MEINE PLATTE / FRISCH GEPRESST
Ich bewundere immer wieder die Darstellung der Alben von verschiedenen Musikern in dieser Rubrik „Meine Platte“. Ich lese gern die Erörterungen, obwohl ich oft keinen Kontakt mit dieser Musik hatte. Die Scheiben nehme ich gerne zum Anlass diese Musik anzuhören und mein Gefühl mit dem Gelesenen abzugleichen. Interessant ist oft, dass es Unterschiede gibt. Es startet immer mit einem Bild, dann beginnt die Musik und es bleibt die Musik, die schließlich zu einem Gefühl wird. So ist es bei mir: Soundtracks sind eben keine exakten Abbilder, sondern Erinnerungsspuren des Films. Sie sind nie die festgehaltenen Motive, sondern die Musik, die die gewünschten Gefühle untermalen und verstärken. Oftmals sind die Zusammenstellungen der Songs (ob von einer Gruppe oder von diversen Künstlern) der ganz besondere Reiz der „Filmmusik”, die wiederum die Kompilation als kleinen funkelnden Edelstein erscheinen lässt: Es werden unterschiedliche Gefühle angesprochen, die tief in uns sind. Bei mir hat es wohl im „Kassetten-Zeitalter” begonnen und hat mich seitdem nicht mehr verlassen.
„Wer ist denn der Opa mit Schießbrille” fragt ein im Anzug steckender Musiker einen anderen anständig gekleideten Mann. Musik wurde im Paket-Abteil eines Zuges gespielt, ständig liefen die lustigen jungen Herren den Fans davon. Irgendwann besetzten die Beatmusiker ein Fernsehstudio um spontan aufzuspielen. Irgendwie alles ein Aufstand, aber schon bei der Fernseh-Aufführung eher antiquiert als wirklich witzig. Alles in schwarz-weiß. Es muss wohl irgendwann in den späten 70ern gewesen sein, als im Fernsehen Yeah! Yeah! Yeah! A Hard Days Night lief. Mir haben diese Jungs gefallen – und natürlich habe ich mir die verpönte Filmmusik-Stereo-Kassette gekauft. Und ich muss Ihnen gestehen: Der Sound gefällt mir heute noch so.
Paris, natürlich im Künstlermilieu. Eine Liebe, ein Impressario und Musik, die in den späten 70ern und 80ern populär waren. “El Tango De Roxanne”, aber diesmal ein orchestrales Liebesbekenntnis, “Your Song” mit erfrischend neuen Stimmen! Der Film: Opulente Bilder, bunte Szenerien und ein verformter Opernstoff. Herrliche Verformungen auch der Lieder, Überzeichnungen der Gefühle, man taucht in eine grelle Welt der Moulin Rouge, die doch auch unsere ist.
Die dunkle Seite Amerikas; die schwarzen Seelen, die Gewaltbereiten, Perversen, Bigotten, Notwehrbereiten, Überbewaffneten, Unterbelichteten. Die so scheinbar ferne Welt wird mit den Soundtrack Dueling Banjos (Filmtitel: „Deliverance”, dt. Titel: „Fluss ohne Wiederkehr”) musikalisch zwielichtig untermalt. Eine Gruppe alter Säcke – oder sollte ich sagen: nun schon lange dem Studentenstatus Entwachsenen – fährt zu einer wilden Kanufahrt in eine entlegene Gegend. Es folgt eine Begegnung mit einem banjospielenden behinderten Jugendlichen, die sich zu einem musikalisches Duell mit einem gitarrespielenden Abenteurer entwickelt. Der Ausflug wird zu einem grausamen Kampf und malerischen Ereignis: Traumatisiert und doch als Verschwörer gestählt, kehren nicht alle von diesem Wochenende zurück. So harmlos und doch fein ist die Musik: Banjo und Gitarre, in einem Zusammenspiel oder Zweikampf, der nur die Spieluhr der Gewalt zeigt.
Kamikaze 1989: Ein merkwürdiger Krimi, Fassbinder zeichnet sich verantwortlich. Ein heruntergekommener Polizist ermittelt gegen einen allmächtigen Konzern, dessen Methoden fragwürdig sind. Die Handlung ist wirklich „Fassbinder“, diffus, zerstreut, übertrieben. Die Musik hebt sich deswegen ab, weil er – auch nach Jahren – so merkwürdig mechanisch und elektronisch daherkommt. Tangerine Dream erzeugte in dieser Zeit schon eleganten „Elektronikpop“, aber Edgar Froeses Filmmusik ist passend klaustrophobisch. Kein Ohrenschmaus, aber brutales System und kalte Rhythmik empfinde ich dabei.
„Warriors, come out to play!”, Flaschen klirren im Rhythmus. Doch das ist schon der Showdown, dazwischen eine Hetzjagd durch den Untergrund von New York, das hoffentlich keiner so erlebt hat: rivalisierende Gangs jagen The Warriors, die angeblich einen großen Leader bei einer Versammlung niedergeschossen haben. Kämpfe, Hinterhalte und heiße Musik: „Nowhere to run”, „In the city” und „Echoes in my mind“sind meine Anspieltipps.
Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band ist das Hauptwerk der Beatles, Kultikone jedes Musikkritikers, nun im klebrig-süssen Pop-Gewand, mit anderen Stimmen und aufreizend kitschig aufgemacht. Der Film unerträglich, es wird ein Bandleben in einer Disneywelt nachgestellt und überzeichnet, die Musik andersartig: Die damalige Doppel-LP präsentiert Bee Gees, Peter Frampton gibt bei Gelegenheit seine Stimme und Gitarre dazu und Motown-Sound (Earth, Wind & Fire). Steve Martins „Maxwell’s Silverhammer“gibt dem Lied die Schärfe, die im Original fehlt, Aerosmith rockt auch dazu, Alice Cooper und George Burns sind auch dabei. Erst nach mehrmaligem Hören hat sich mir dieses Universum an Kitsch und Merkwürdigkeiten eröffnet.
American Kitsch? Oder Traurigkeit? Randy Newman, einen altgedienten Filmkomponisten will ich nicht vergessen. Awakenings (dt. Filmtitel: „Zeit des Erwachsens“) erzählt die Geschichte von Leonard, der durch seinen Arzt Dr. Sayer und Drogen nach langer Zeit Bewusstsein erlangt, aber genauso wieder verliert. Newmans Kompositionen, feine Arrangements ohne viele Worte, untermalen den Film. Natürlich wurde dem Zeitgeist der 60er („LSD“?) gehuldigt: Es wurde der Zombies-Song „Time Of Seasons“beigefügt, leider nicht der Jimi Hendrix-Song wie im Film.
Das letzte Schmankerl Cruising will ich all denen andienen, die New York so auch nicht kennen: Ein Mörder in der Gay-Scene soll gefunden werden, ein Polizist wird in die Szene geschleust. Al Pacino spielt die Rolle, für damalige Verhältnisse werden irritierende Bilder gezeigt: Männer in Leder, Nieten und Ledermützen, eng umschlungene Männer und – ups – Sexualpraktiken angedeutet. Und einen verlobten Polizisten, der in ein Gefühlschaos gestürzt wird. Die Musik ist dunkel, hart, kurz; und von nahezu vergessenen Musikern: Willy DeVille und John Hiatt sind mit von der Partie. „Lump”, „Spy Boy” und “Heat of the moment” sind die Songs, die sich in mein Gedächtnis eingebrannt haben. ... ist privater Musikarchivar und manchmal findet er noch einen Tonträger, den er kauft. Er betätigt gern die “Play”-Taste des CDSpielers, ist aber ansonsten ein musikalischer Analphabet. Was ihn allerdings nicht hindert, Musik zu hören.