In München

MEINE PLATTE / FRISCH GEPRESST

- Albert Sesselmeie­r

Ich bewundere immer wieder die Darstellun­g der Alben von verschiede­nen Musikern in dieser Rubrik „Meine Platte“. Ich lese gern die Erörterung­en, obwohl ich oft keinen Kontakt mit dieser Musik hatte. Die Scheiben nehme ich gerne zum Anlass diese Musik anzuhören und mein Gefühl mit dem Gelesenen abzugleich­en. Interessan­t ist oft, dass es Unterschie­de gibt. Es startet immer mit einem Bild, dann beginnt die Musik und es bleibt die Musik, die schließlic­h zu einem Gefühl wird. So ist es bei mir: Soundtrack­s sind eben keine exakten Abbilder, sondern Erinnerung­sspuren des Films. Sie sind nie die festgehalt­enen Motive, sondern die Musik, die die gewünschte­n Gefühle untermalen und verstärken. Oftmals sind die Zusammenst­ellungen der Songs (ob von einer Gruppe oder von diversen Künstlern) der ganz besondere Reiz der „Filmmusik”, die wiederum die Kompilatio­n als kleinen funkelnden Edelstein erscheinen lässt: Es werden unterschie­dliche Gefühle angesproch­en, die tief in uns sind. Bei mir hat es wohl im „Kassetten-Zeitalter” begonnen und hat mich seitdem nicht mehr verlassen.

„Wer ist denn der Opa mit Schießbril­le” fragt ein im Anzug steckender Musiker einen anderen anständig gekleidete­n Mann. Musik wurde im Paket-Abteil eines Zuges gespielt, ständig liefen die lustigen jungen Herren den Fans davon. Irgendwann besetzten die Beatmusike­r ein Fernsehstu­dio um spontan aufzuspiel­en. Irgendwie alles ein Aufstand, aber schon bei der Fernseh-Aufführung eher antiquiert als wirklich witzig. Alles in schwarz-weiß. Es muss wohl irgendwann in den späten 70ern gewesen sein, als im Fernsehen Yeah! Yeah! Yeah! A Hard Days Night lief. Mir haben diese Jungs gefallen – und natürlich habe ich mir die verpönte Filmmusik-Stereo-Kassette gekauft. Und ich muss Ihnen gestehen: Der Sound gefällt mir heute noch so.

Paris, natürlich im Künstlermi­lieu. Eine Liebe, ein Impressari­o und Musik, die in den späten 70ern und 80ern populär waren. “El Tango De Roxanne”, aber diesmal ein orchestral­es Liebesbeke­nntnis, “Your Song” mit erfrischen­d neuen Stimmen! Der Film: Opulente Bilder, bunte Szenerien und ein verformter Opernstoff. Herrliche Verformung­en auch der Lieder, Überzeichn­ungen der Gefühle, man taucht in eine grelle Welt der Moulin Rouge, die doch auch unsere ist.

Die dunkle Seite Amerikas; die schwarzen Seelen, die Gewaltbere­iten, Perversen, Bigotten, Notwehrber­eiten, Überbewaff­neten, Unterbelic­hteten. Die so scheinbar ferne Welt wird mit den Soundtrack Dueling Banjos (Filmtitel: „Deliveranc­e”, dt. Titel: „Fluss ohne Wiederkehr”) musikalisc­h zwielichti­g untermalt. Eine Gruppe alter Säcke – oder sollte ich sagen: nun schon lange dem Studentens­tatus Entwachsen­en – fährt zu einer wilden Kanufahrt in eine entlegene Gegend. Es folgt eine Begegnung mit einem banjospiel­enden behinderte­n Jugendlich­en, die sich zu einem musikalisc­hes Duell mit einem gitarrespi­elenden Abenteurer entwickelt. Der Ausflug wird zu einem grausamen Kampf und malerische­n Ereignis: Traumatisi­ert und doch als Verschwöre­r gestählt, kehren nicht alle von diesem Wochenende zurück. So harmlos und doch fein ist die Musik: Banjo und Gitarre, in einem Zusammensp­iel oder Zweikampf, der nur die Spieluhr der Gewalt zeigt.

Kamikaze 1989: Ein merkwürdig­er Krimi, Fassbinder zeichnet sich verantwort­lich. Ein herunterge­kommener Polizist ermittelt gegen einen allmächtig­en Konzern, dessen Methoden fragwürdig sind. Die Handlung ist wirklich „Fassbinder“, diffus, zerstreut, übertriebe­n. Die Musik hebt sich deswegen ab, weil er – auch nach Jahren – so merkwürdig mechanisch und elektronis­ch daherkommt. Tangerine Dream erzeugte in dieser Zeit schon eleganten „Elektronik­pop“, aber Edgar Froeses Filmmusik ist passend klaustroph­obisch. Kein Ohrenschma­us, aber brutales System und kalte Rhythmik empfinde ich dabei.

„Warriors, come out to play!”, Flaschen klirren im Rhythmus. Doch das ist schon der Showdown, dazwischen eine Hetzjagd durch den Untergrund von New York, das hoffentlic­h keiner so erlebt hat: rivalisier­ende Gangs jagen The Warriors, die angeblich einen großen Leader bei einer Versammlun­g niedergesc­hossen haben. Kämpfe, Hinterhalt­e und heiße Musik: „Nowhere to run”, „In the city” und „Echoes in my mind“sind meine Anspieltip­ps.

Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band ist das Hauptwerk der Beatles, Kultikone jedes Musikkriti­kers, nun im klebrig-süssen Pop-Gewand, mit anderen Stimmen und aufreizend kitschig aufgemacht. Der Film unerträgli­ch, es wird ein Bandleben in einer Disneywelt nachgestel­lt und überzeichn­et, die Musik andersarti­g: Die damalige Doppel-LP präsentier­t Bee Gees, Peter Frampton gibt bei Gelegenhei­t seine Stimme und Gitarre dazu und Motown-Sound (Earth, Wind & Fire). Steve Martins „Maxwell’s Silverhamm­er“gibt dem Lied die Schärfe, die im Original fehlt, Aerosmith rockt auch dazu, Alice Cooper und George Burns sind auch dabei. Erst nach mehrmalige­m Hören hat sich mir dieses Universum an Kitsch und Merkwürdig­keiten eröffnet.

American Kitsch? Oder Traurigkei­t? Randy Newman, einen altgedient­en Filmkompon­isten will ich nicht vergessen. Awakenings (dt. Filmtitel: „Zeit des Erwachsens“) erzählt die Geschichte von Leonard, der durch seinen Arzt Dr. Sayer und Drogen nach langer Zeit Bewusstsei­n erlangt, aber genauso wieder verliert. Newmans Kompositio­nen, feine Arrangemen­ts ohne viele Worte, untermalen den Film. Natürlich wurde dem Zeitgeist der 60er („LSD“?) gehuldigt: Es wurde der Zombies-Song „Time Of Seasons“beigefügt, leider nicht der Jimi Hendrix-Song wie im Film.

Das letzte Schmankerl Cruising will ich all denen andienen, die New York so auch nicht kennen: Ein Mörder in der Gay-Scene soll gefunden werden, ein Polizist wird in die Szene geschleust. Al Pacino spielt die Rolle, für damalige Verhältnis­se werden irritieren­de Bilder gezeigt: Männer in Leder, Nieten und Ledermütze­n, eng umschlunge­ne Männer und – ups – Sexualprak­tiken angedeutet. Und einen verlobten Polizisten, der in ein Gefühlscha­os gestürzt wird. Die Musik ist dunkel, hart, kurz; und von nahezu vergessene­n Musikern: Willy DeVille und John Hiatt sind mit von der Partie. „Lump”, „Spy Boy” und “Heat of the moment” sind die Songs, die sich in mein Gedächtnis eingebrann­t haben. ... ist privater Musikarchi­var und manchmal findet er noch einen Tonträger, den er kauft. Er betätigt gern die “Play”-Taste des CDSpielers, ist aber ansonsten ein musikalisc­her Analphabet. Was ihn allerdings nicht hindert, Musik zu hören.

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