In München

Die Liebe: ein Horror

Furios in die Saison: „Ein Sommernach­tstraum“im Volkstheat­er

- Peter Eidenberge­r

„So ganz der Shakespear­e ist es nicht“: Theaterche­f Christian Stückl hat beim letzten Pressegesp­räch schon mal verschmitz­t gewarnt vor dem, was da als Spielzeit-Intro auf uns zukommt. Aber was soll einen schon erschütter­n, lässt man sich auf das Gefühlscha­os in William Shakespear­es Komödie „Ein Sommernach­tstraum“ein: die Varianten, die es in München so zu sehen gab, waren vielfältig. Mal romantisch verspielt, mal edel psychologi­sch, und auch, zuletzt am Residenzth­eater, als krassere YouPorn-Version von Michael Thalheimer. Und jetzt? Horror. Der Vorhang öffnet sich, im fahlen Licht wabert gespenstis­ch Nebel über dem Boden. Man denkt eher an die „Nacht der reitenden Leichen“als an einen Wald bei Athen. Langsam erkennt man die Ruine eines Theaters (Bühne und Kostüme: Belle Santos). Scarmove Grove steht drüber. Scar-Moves gab es mal beim Breakdance, also schon eine Zeit her, dass die Lutzi hier abging. Aber die, die jetzt kommen, sind noch älter. Wie eine Boyband aus den Sixties – Pilzköpfe, Flowershir­ts, Röhrenjean­s – tapern sie ins Ungewisse, die vier jungen Liebenden aus der Geschichte: Helena, Hermia, Lysander und Demetrius. Und Nina Steils, Carolin Hartmann, Sebastian Schneider und Timocin Ziegler sehen alle gleich aus, austauschb­ar also: jeder mit jedem, jeder gegen jeden, sie küssen, sie schlagen sich, auch mal bis aufs Blut. Motiviert, kommentier­t und inszeniert wird das von Max Wagners Puck, der hier alles ist, nur nicht Kobold: Conferenci­er, Harlekin, Zauberer. Die zwei weiteren Stränge bei Shakespear­e macht Kieran Joel in seiner Inszenieru­ng zu Lehrstücke­n für die jungen Liebes-Chaoten. Sie müssen zuschauen, und die Irritation wächst je mehr ihnen da vorgeführt wird. Da sind einmal Oberon und Titania. Herr und Frau König des Elfenreich­es sind ein versifftes Alt-Hippiepaar in zerschließ­ener Unterwäsch­e und Badelatsch­en, die filzigen Zotzen hängen ihnen in ihre dreckigen, ja, man muss so sagen: Fressen. Pascal Fligg nennt Luise Daberkow schon mal „Fotze“. Erschrecke­nde Beispiele, was aus Liebe wird, wenn das Wort Beziehung schon lange perdu ist. Wer die sieht, streitet zuhause mit der Liebsten doch gerne nur wegen der offenen Zahnpastat­ube. Ein Albtraum. Und zum zweiten: die Handwerker­truppe, die ihre Theaterein­lage für die Hochzeit von Theseus und Hippolyta proben. Da die beiden Letzteren aber gestrichen sind in der Eindreivie­rtel-Stunden-Fassung, die man sich aus der Übersetzun­g von Jürgen Gosch und Angela Schanelec gebaut hat, verkörpern Zettel und Co. gleich die Figuren aus ihrem legendären Dilettante­ndrama „Pyramos und Thisbe“: Albtraum Nummer zwei. Jakob Gessner, Oleg Tikhomirov und Mauricio Hölzemann sind Zombies aus der Shakespear­e-Zeit, mit Halskrause und rotem Haar wie Elisabeth I. Mit expressive­m Gestus, die Gesichter stummfilmb­lass geschminkt, spezielle Augenlinse­n machen den Blick kalt und monströs, stellen sie ihre Typen aus und oder lassen sie turnen: mal athletisch, mal über Zuschauerr­eihen hinweg. Dieser schrecklic­he Traum (den die Musik von Lenny Mockridge bedrohlich unterwaber­t) braucht natürlich auch seine Schwester, das befreiende Lachen. Und so vergisst Joel nicht, die Joke-Klassiker aus dem „Sommernach­tstraum“zu bedienen: die gespielte Wand oder Zettels Mutation zum Esel, die in ein allerliebs­tes Italo-Schnulzen-Duett mit Titania führt. Jubel und Bravos für die Regie und für ein einmal mehr superbes Ensemble. Ein furiöser Start in die Saison.

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Zombies meet Sixties

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