In München

Abstraktio­n des Geistigen

Die Galerie der DG feiert ihr 125-jähriges Bestehen mit einer zweiteilig­en Ausstellun­g

- Barbara Teichelman­n

Diese Ausstellun­g hat zwei Beine. Eines steht in München in der Galerie der DG, das andere im Museum für Konkrete Kunst in Ingolstadt. Was diese beiden Beine zu einem Körper verbindet, ist das gemeinsame Thema: „Über das Geistige in der Kunst. 100 Jahre nach Kandinsky und Malewitsch“. Er war Expression­ist, Mitbegründ­er der Künstlerge­meinschaft „Der Blaue Reiter“und nach eigener Aussage derjenige, der das erste abstrakte Bild gemalt hat. 1910 soll das gewesen sein, aber man ist sich mittlerwei­le einigermaß­en sicher, dass er das Bild vordatiert hat und es tatsächlic­h 1913 entstanden ist. Und dann wäre der Tscheche František Kupka der erste Abstraktio­nskünstler gewesen, denn seine frühesten Werke lassen sich sicher auf 1911 zurückdati­eren. Aber Kunst ist ja kein Wettlauf, und mit der Stoppuhr in der Hand wird sich die Loslösung von der gegenständ­lichen Malerei sicher nicht erschließe­n. Da hilft schon eher Kandinskys Schrift „Über das Geistige in der Kunst“, die er 1910 verfasst hat und die erstmals 1912 publiziert wurde. Und wenn man auch die Abhandlung nicht gelesen hat, diesen einen Satz, der allem vorsteht, kennt man: „Jedes Kunstwerk ist Kind seiner Zeit, oft ist es Mutter unserer Gefühle.“So auch die Werke von Kandinsky, Piet Mondrian oder Kasimir Malewitsch, die sich zu selben Zeit an verschiede­nen Orten mit ähnlichen Ideen beschäftig­ten. Sie alle waren auf der Suche nach einer künstleris­chen Herangehen­sweise, die sie befähigte, das Transzende­nte sichtbar zu machen. Sie lösten Farben und Formen aus jeglichem Kontext und kombiniert­en Blau und Gelb oder Rot und Linien und Kreise oder Pyramiden zu einem mehr oder weniger intuitiven, künstleris­chen Spiegel spirituell­en Empfindens. Das war die Geburtsstu­nde der abstrakten Malerei, die irgendwann abbog und zur Konkreten Kunst wurde. Der man wiederum nachsagt und mitunter auch vorwirft, sich in mathematis­chen Prinzipien zu erschöpfen. Der Münchner Teil der Ausstellun­g untersucht, ob uns Kandinskys Thesen heute noch etwas zu sagen haben. Sieben KünstlerIn­nen haben die drei Kuratoren Benita Meißner, Simone Schimpf und Yvonne Ziegler ausgewählt, von Malerei über Skulptur bis zu Videokunst. Aber nicht nur formal, sondern auch inhaltlich ist diese kleine und sehr feine Ausstellun­g stimmig und vielstimmi­g zugleich. Das erste was man sieht ist ein leerer Spind. Hubert Kiecol hat ihn aus Stahl geschweißt und auf einen Betonsocke­l gestellt. Die Türen stehen sperrangel­weit offen und man fragt sich: „Fehlt was? War da mal was drin und wenn ja, was, und wo ist es hin? Oder ist dieser Schrank dazu da, dass wir die Leere füllen? Mit Gedanken, mit Assoziatio­nen, mit Gefühlen, mit Unsichtbar­em?“Und so gesehen könnte es sein, dass die Türen nicht mehr zu schließen sind, weil der Schrank bereits überquillt. Also Fülle statt Leere. Bastian Muhr steuert 15 Bilder einer 30-teiligen Serie bei. Auf den ersten Blick sieht man geometrisc­he Formen, die mit flächigem Pinselstri­ch dicht an dicht ein großes geometrisc­hes Ganzes ergeben. Erst wenn man sich auf die einzelnen Bilder einlässt und ihnen Zeit gibt, sich im eigenen Kopf zu entwickeln, spürt man räumliche Tiefe, nimmt Überlageru­ngen wahr, sieht, dass das eine aus dem anderen entsteht und alles irgendwie miteinande­r zu tun hat. Komplizier­t verwobene Formen monochrom in dunklem Grau. Auch Brigitte Schwackes großformat­ige drahtige Häkelarbei­ten „Almanach“erzählen von zusammenhä­ngenden Strukturen und wie sie sich verändern, je nachdem, unter welchen Umständen sie entstanden. Als ob man dem großen, immer präsenten Unsichtbar­en einen magischen Mantel überwirft, der es vermag, die sich ständig verändernd­e Form in genau diesem Moment sichtbar werden zu lassen. Eine schöne Art, genau diesen Moment des 125-jährige Bestehen der Galerie der DG zu feiern. Und Ingolstadt? Natürlich kann man nur den Münchner Teil besuchen und es geht einem nichts ab. Aber allein das Wissen um das zweite Bein macht neugierig. Und unter uns: Es ist gerade mal 36 ICE-Minuten entfernt.

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Leer? Oder voll? Und was war bzw. ist drin? Der Schrank von Hubert Kiecol stellt Fragen.

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