„Der Tanz des kopflosen Prince-Fans“
Liebe Lesende, es ist mir wirklich eine Ehre euch hier ein paar Herzensplatten vorzustellen. Als Fan sieht man im Internet ja oft diese Videos, wo tolle Musiker über ihre Lieblingsalben reden. Ich mache selber auch ein bisschen Musik und fühle mich nun, da ich etwas Ähnliches schreiben darf, unverhohlen und doch berechtigt als Rockgott. Das so bescheiden und höflich daherkommende Ehreingeständnis des ersten Satzes ist also bloß arrogant-eitles Gehabe. Deal with it!
Melvins – Nude with boots Diese Krachburschen begleiten mich nun schon ewig. Von Anfang an erzählt: Wie so viele Teenager, war ich was ganz Besonderes und habe Nirvana gehört und mich so verstanden und im tiefsten berührt gefühlt, wie eben alle anderen auch. Nachdem man die Nirvana-Alben irgendwann von vorne und hinten kannte, begann man zu wühlen und stieß auf eine schöne Welt in der die Pixies, Hüsker Dü und viele andere Wahnsinnsbands wohnten. Dabei haben mich die Melvins auf eine ganz besondere Art direkt angesprochen. Sei es der Humor, der coole Bandname, die tollen Cover und schließlich dann doch auch die Musik, die teilweise ultramassiv, teilweise albern, melodisch und dann auch bösartig lärmend daherkommt –mit denen konnte ich mich total identifizieren und auch ein bisschen cool fühlen. 2013 habe ich dann durch das Sendungsbewusstsein, das ich bei dieser Band an den Tag lege, den Enrique kennengelernt, mit dem ich jetzt selbst in dem schon echt Melvins-inspirierten Bass/Drums-Duo Suddenly The Goat spiele. Funfact: Eines unserer Mini-Alben wurde vom Melvins-Stammproduzenten Toshi Kasai gemischt. Sorry fürs angeben, aber wofür haben wir das Geld sonst rausgehauen? Hört‘s euch doch bitte an! „Nude with Boots“war der Soundtrack für den Sommer nach meinem Abi (Schnitt: 2,8). Hier werden Gitarrist/Sänger Buzz und Drummer Dale noch vom Bass/Drums-Duo (aufmerksam Lesende merken hier auf!) Big Business unterstützt, das ich ebenso liebe. Coady als zweiter Drummer macht die Band zu einer unaufhaltbaren Groove-Maschine und Bassist und Zweitsänger Jared steuert etwas Melancholie bei. Außerdem bin ich mal mit meinem Kumpel, dem Philipp mehrere Riffs aus diesem Album nachjohlend von der X-Bar spät nachts nach Hause gegangen. Daran erinnert sich auch München noch. Schlichtweg ein wichtiges Album –für die Landeshauptstadt und mich.
16 Horsepower – Low Estate Eine düster-schrille, exorzistische Country-Platte. Das Album, das ganz alleine dafür verantwortlich ist, dass ich mehrere Jahre in so ‘ner gruseligen Snakehandler-Pfingstkirchen-Community im Städtchen Mayor’s Income, Tennessee zubrachte. Oh, was für Hoedowns wir damals hatten. Und 16 Horsepower lieferten den perfekten Soundtrack – mit ihrem wilden Gejodel, den Noise-Parts und den Fiddles. Natürlich gibt es auch Balladen. Zu diesen tanzte ich eng mit lil‘ Lurlene Opry. Darn tootin‘, war ich verliebt. Leider setzte Shotgun-Wiley den Engtänzen, Lurlene und meiner Zeit dort ein Ende. Ich lieh mir von Slim Cessna einen Pontiac und fuhr zurück gen Maxvorstadt. (Aber ernsthaft: ein Über-Album!)
Tom Waits – Alice Cool Cat Waits und ich ... We go way back. Zu einer Zeit als ich endlich die bereits angerissene emotionale Verbissenheit, die Musikhören in frühen Teenager-Jahren so mit sich bringen kann, hinter mir gelassen habe, also so mit 15 ungefähr (Ja, ich war schon früh so cool), habe ich mein erstes Tom-Waits-Album in die Finger bekommen und eine neue Zeit brach an. Klingt pathetisch, aber hier passt‘s. Ich hab’s ja von ihm gelernt. Auf einmal fand ich Klavierballaden gut. Und Marimba und schräge Bläsersätze. Auch die merkwürdigen sympathischen Figuren, die sich in seinen Liedern tummeln, taten ihr Übriges und so wurde über kurz oder lang mein gesamtes Kunstverständnis von Mister Waits entscheidend geprägt. Aus all seinen Alben war „Alice“für mich immer ein Sonderfall. Dieses herbstlich, bzw. fast schon weihnachtlich Melancholische des Albums hat mich immer besonders tief berührt. Vom Titelsong, über „No one knows I’m gone“zum einfach nicht von dieser Welt schönen Geigen-Stück „Fawn“... es ist fast nicht in Worte zu fassen. Nur ein Exzellenz-Abiturient wie ich schafft es gerade so. Außerdem bin ich mal mit der Katha, den Song „Fish and Bird“johlend von der X-Bar spät nachts nach Hause gegangen. Daran erinnert sich ...
Nomeansno –Dance of the Headless Bourgeosie Neben und inzwischen leicht über den Melvins und Pere Ubu, meine absolute Herzensband. Ich finde es wirklich erstaunlich, was die für Musik machen und was sie damit in mir auslösen. Ja, es wurzelt immer im Punk. Aber es ist so viel mehr als das. Unglaubliche Melodien zu Texten, die in Verbindung mit der Performance teilweise so klug und doch animalisch wirken, dass man sich fragt, ob man beim Anhören gleich beginnt die Nüstern zu blähen und auf allen vieren eine Stampede anzettelt. Ihr merkt schon: Hier beißt sogar das Vokabular des Abiturienten aus. Hört‘s euch am besten einfach an. Anspieltipps: „The Rape”, „Youth”, „One Fine Day”. Zudem weiß ich aus eigener Erfahrung, dass man dieses Album gut verschenken kann. Aber nur an die Allerbesten! Noch so: Der Gitarrist Tom Holliston wird am 6. Oder 7.11. -steht leider noch nicht festrein akustisch in München auftreten. Ich organisiere das und mache es dann auf Facebook und den üblichen Kanälen publik. Be alert!
Prince – Lovesexy Alles was mir in der Musik anderer Lieblingskünstler gefällt, bündelt sich im Werk dieses Mannes: Die Lässigkeit von Erykah Badu, die wahnsinnigen Melodien bei gleichzeitigem Willen zum Experiment der Beatles, das Eklektische von Ween, das Ungezähmte von Shellac, das Zärtliche, das Gutmütige, das Geile, das Verrückte ... Was für ein Musiker, der „Purple Yoda from the heart of Minnesota“(nicht meine Worte, sondern seine; aus dem Hiddentrack „Lay Down“vom Album „20ten“) doch war. Zudem kann man auch nach inzwischen ca. 13 Jahren intensiven Fan-Daseins immer noch neue Songs und Versionen von ihm entdecken, die einem die Sprache verschlagen. Live gesehen habe ich ihn leider nie. Dennoch existiert er für mich, wenn man denn in Ranglisten denken muss, schräg über dem Rest an existierender Musik. Sorry, Leute. Und warum genau „Lovesexy“? Wegen „Heavy feather, flicka nipple, Baby scam, water ripple! –I don’t understand?! –It means I love you!“. O(+> Franz Furtner ...spielt in den beiden Bands Suddenly The Goat, live am 30.9. im Import/Export als Support von Lonely Leary und bombo und kann es wärmstens empfehlen ab und zu mal bei den „Zombie Sessions“im Feierwerk vorbeizuschneien. Er sendet einen Shout-Out an alle Bands aus dem Inner Circle!
Hardcore ist ein höchst eigentümliches Genre. Es entstand Ende der 70er Jahre und beruhte auf der Annahme, die Unbeholfenund -gehobeltheit der Bands der dritten bis fünften Punkrockliga sei in Wirklichkeit ein Stilmittel oder müsse unbedingt zu einem solchen erhoben werden. Man verzichtete auf alles, was den Verdacht eines Strebens nach Schönheit, Verfeinerung, Tiefe und Ambivalenz erregen konnte, und konzentrierte alle Kraft darauf, das nackte Geräuschgerüst so massiv, laut, grimmig, brutal und primitiv wie möglich in die Welt zu wuchten. Das Ergebnis war manchmal beeindruckend brillant (etwa auf den ersten bei- den Alben der UK Subs), oft peinlich bis lächerlich und grundsätzlich witzlos. Hardcore zeigte den Zustand der verrotteten, kurz vor der endgültigen Explosion stehenden Welt und Gesellschaft ungefiltert eins zu eins: Statt Atombomben melodisch zu beklagen, zündete man sie. Jedes Genre hat seine Grenzen, und da diese bei Hardcore per Grundannahme so stramm und eisern festgezurrt waren, drehte sich die Sache bald im Kreis, wie ein Propeller, dessen Rotoren durch die Beschleunigung immer kürzer werden und sich deswegen immer schneller drehen. Jeder über „Schramm!“hinausgehende Gitarrenton, jede rhythmische Synkope, jede vokale Äußerung, die sich von einer kehlkopfkrebskranken Luftschutzsirene unterschied, wies den Urheber als Ketzer aus. Spätestens Mitte der 80er war Hardcore eine stetig wachsende Ansammlung wandelnder Mülltonnen, deren ununterscheidbare akustischen Ausstoßungen, auf Samplerreihen wie „Killed By Death“dokumentiert, die Hirnlähmung abbilden, die sie zugleich erzeugen. Das ist inzwischen völlig anders, zumindest bei Fucked Up, deren Name auf den ersten Blick so klischeemäßig wirkt, dass die Ironiefahne nicht zu übersehen ist. Fucked Up gelten als Hardcoreband, der „Gesang“von Damian „Pink Eyes“Abraham scheint (!) die Einordnung zu bestätigen, aber alles andere (und letztlich auch das) ist das exakte Gegenteil (auch von sich selbst). Das fängt an bei Künstlernamen wie 10.000 Marbles, Concentration Camp/Gulag, Mustard Gas, Young Governor und, ähem, Mr Jo, die an eine historiopsychotisch entgleiste Phantasie von Cpt. Beefheart denken lassen, und endet noch lange nicht bei dem Anspruch, auf dem neuen Album eine Rockoper zu inszenieren, die den Helden ihrer letzten Rockoper („David Comes To Life“, 2012) durch eine Welt aus Gier, Konsumismus und Social-Media-Wahn begleitet, auf der Suche nach der Fähigkeit zu träumen, strukturell angelehnt an die 18 Kapitel von James Joyce‘ „Ulysses“und vertont mit einem Riesenaufgebot an Instrumenten, Gästen, Arrangements, Brüchen, Zwischenspielen, Anleihen aus so ziemlich jeder coolen Richtung von Doowop bis Krautrock. Und das soll Hardcore sein? Irgendwie schon, anders verstanden, als Ultraradikalität, was die stilistischen und sonstigen Mittel angeht – um alles, was gängig und gewöhnlich ist, machen Fucked Up seit jeher einen galaxisweiten Bogen. Man höre z. B. ihren „Song“„Looking For Gold“von 2004: 16 Minuten, 18 Gitarren, drei Minuten Schlagzeugsolo, sechs Minuten Pfeifen. Aber die Frage, was es ist, lässt sich eigentlich nur mit dem Gegenteil von allem beantworten. Und das ist vollkommen egal. Derartige Ansprüche sind in der Geschichte der populären Musik fast immer in die Hose gegangen. Und das ist das eigentlich Erstaunliche, was dieses Album über alle Kuriosität hinaus zur echten Sensation macht: Hier geht NICHTS in die Hose, kein Song, keine Passage, keine Zeile, kein Ton. Schon nach den ersten vier Tracks des Doppelalbums ist selbst dem tumbsten Hörer klar: Hier werde ich nicht verarscht oder überfordert, sondern mitgerissen in ein tobendes Destillat feinster Ohrwürmer und Instant-Klassiker, die mich den Rest meines Lebens begleiten und begeistern werden. Dies ist dabei aber ein Album, das so randvoll ist mit Geschichten, Rätseln, Doppel- bis Fünffachdeutigkeiten, mit Poesie und Genie, dass es über die grandiose Musik hinaus Stoff für tatsächlich ein ganzes Leben bietet. Stellen wir es ins Regal mit den größten Doppelalben aller Zeiten, zwischen „The Beatles“, „London Calling“, „Exile On Main Street“, „Warehouse: Songs & Stories“usw., ziehen wir es immer wieder raus und danken wem auch immer, dass er uns einst die UK Subs geschenkt hat, ohne die – so absurd das klingt – es „Dose Your Dreams“wahrscheinlich nicht gäbe.