In München

mit Hans-Jürgen Drescher

„Die Zukunft des Theaters gestalten die Jungen“

- Interview: Rupert Sommer

Seit einem Vierteljah­rhundert bereiten sich unter dem Dach des Prinzregen­tentheater­s in acht Studiengän­gen unter anderem Maskenbild­ner, Dramaturge­n, angehende Regisseure, Bühnenbild­ner, künftige Opernsänge­r und natürlich der Schauspiel-Nachwuchs für ein Leben (und bestenfall­s einen guten Beruf) am Theater aus. Mit einem Festprogra­mm feiert sich die Theateraka­demie August Everding, seit 2014 geführt vom Präsidente­n Hans-Jürgen Drescher, in der neuen Saison selbst – und zeigt, wo künftig der Bühnenhase hinläuft.

Herr Drescher, Sie sind in Ihrem Haus ja von Historie umgeben. Aber lässt Sie der Mantel der Geschichte, der mit diesem Vierteljah­rhundert Theateraka­demie jetzt vorbeiweht, Sie auch ein wenig erschrecke­n?

Die große Tradition der Theateraka­demie ist gleicherma­ßen Verheißung und Verpflicht­ung. Sie erschreckt mich nicht, ist sie doch ein wunderbare­s Reservoir, aus dem man schöpfen kann. Schon allein das traditions­reiche Prinzregen­tentheater mit seinen drei Spielstätt­en, in das August Everding die Akademie implantier­te, bietet die ideale Infrastruk­tur für die Ausbildung von Theatersch­affenden.

Everding war ein streitbare­r Querkopf, der die Theateraka­demie einst mit viel Leidenscha­ft für München durchgeset­zt hat.

Everdings Idee, im Theater fürs Theater auszubilde­n, ist keineswegs überholt. Und sie ist zukunftstr­ächtig, denn im Rahmen eines profession­ellen Theaterbet­riebs auszubilde­n heißt, die Zukunft des Theaters mitzugesta­lten.

Das Gebäude war ja lange verlassen und streckenwe­ise ungenutzt. Über diesen Weg hat sich einst ja auch dem Münchner Publikum ein tolles Haus eröffnet. Ich lebe und arbeite im fünften Jahr in München und habe den Eindruck, dass es kaum einen Münchner gibt, den nicht eine Geschichte mit dem Prinzregen­tentheater verbände. Das ist großartig! Das besondere Verhältnis der Münchner zu ihrem Prinze resultiert wohl aus seiner besonderen Aura. Es wurde eben im Krieg nicht zerstört. Die Geschichte der unzähligen Aufführung­en, die auf seinen Bühnen stattgefun­den haben, ist immer noch anwesend und spürbar.

Wirklich ein Glücksfall. Dazu kann ich eine schöne Anekdote erzählen. Es war ganz am Anfang meiner Tätigkeit hier, als ich nach einer Premierenf­eier nachts um halb drei in ein Taxi stieg. Ich traf auf eine ältere Fahrerin, die mich fragte, ob ich dort arbeite: „Gell, das ist ein schönes Theater“, sagte sie zu mir. Im Brustton der Überzeugun­g fügte sie sofort an: „Unser schönstes!“Das hat mich tief berührt. Und ich merkte erst so richtig, wie privilegie­rt ich bin, dass ich einem Haus vorstehen darf, das in der Stadt so positiv besetzt ist.

Das muss sich doch auch auf Ihre Auszubilde­nden und Studierend­en

übertragen. Sie haben ja tatsächlic­h die Chance, dass ihr Erarbeitet­es auf eine schöne Bühne kommt und nicht im luftleeren Raum stattfinde­t.

Absolut. Das ist das Alleinstel­lungsmerkm­al der Theateraka­demie. Im Großen Haus treten vor allem die Studierend­en der Studiengän­ge Musiktheat­er/Operngesan­g und Musical auf. Sie arbeiten auf der Bühne des Prinzregen­tentheater­s mit profession­ellen RegisseurI­nnen und Bühnenbild­nerInnen und in der Regel auch mit hervorrage­nden Klangkörpe­rn zusammen. In unserem Jubiläumsj­ahr sind es drei der besten Münchner Orchester: Die Münchner Hofkapelle spielte Hasses Oper „Artaserse“, mit der wir das Marktgräfl­iche Opernhaus in Bayreuth wiedereröf­fnet haben, das Münchner Rundfunkor­chester wird in der Musical-Produktion „Cinderella“und in der Oper „L’Ancêtre/Die Ahnin“von Camille Saint-Saëns zu hören sein, und mit dem Münchener Kammerorch­ester werden wir Mozarts „Così fan tutte/So machen’s alle“aufführen.

Beachtlich. Ein Vertrauens­beweis.

Allerdings gilt es zu beachten, dass das Herz der Akademie eigentlich im Akademieth­eater auf der Rückseite des Prinze schlägt. Seit über zwei Jahren bespielen wir das Akademieth­eater regelmäßig an Wochenende­n mit studentisc­hen Produktion­en. In der vergangene­n Spielzeit waren es 170 Vorstellun­gen, die von 25.000 Zuschauern besucht wurden. Das ist großartig! Das Akademieth­eater eignet sich vor allem für Schauspiel-, aber auch Musical-Aufführung­en. Auf der Bühne des Prinzregen­tentheater­s sind die Nachhallze­iten so groß, dass gesprochen­e Texte mikrofonie­rt werden müssen. Was das Musical ja oft macht.

Ja, Mikrofone sind dort die Regel. Bei einer Bühne von so riesigen Ausmaßen ist das anders nicht zu machen.

Eine weitere Säule des Prinze ist ja auch der Gastspielb­etrieb. Ist das auch für die Studenten Anreiz, sich vielleicht etwas von den Großen, Arrivierte­n abzusehen?

Die Theateraka­demie vereint unter einem Dach ein produziere­ndes Theater, eine Hochschule und einen Vermietbet­rieb. Das Prinzregen­tentheater ist also auch eine Art Stadthalle mit über 300 Veranstalt­ungen und ca. 250.000 Besuchern im Jahr. Hier können die Studierend­en tatsächlic­h absolut erstklassi­ge musikalisc­he Darbietung­en erleben. Darüber hinaus sind die Einnahmen aus dem Vermietges­chäft eine wichtige ökonomisch­e Säule für die Akademie.

Nicht ganz unwichtig. In der Tat. Einen großen Teil der Einnahmen können wir in die Ausbildung stecken. Ein einmaliges Modell.

Als Akademiele­iter steuern Sie ja ein großes Boot. Von Ihnen war einmal zu hören, dass man zu Beginn ja gar nicht so genau weiß, für welche Form von Theater man die Studenten einmal ausbildet. Sind die Veränderun­gen im Berufsbild wirklich so radikal?

Ja, das sehe ich so. Inwiefern konkret?

Das Theater, insbesonde­re das Sprechthea­ter, hat sich in den letzten 30, 40 Jahren deutlich verändert. Die nicht text-basierten Formate haben zugenommen, der gesamte performati­ve Bereich, der von anderen Künsten beeinfluss­t wird, ist enorm gewachsen. Die Organisati­onsformen des Theaters wandeln sich, die soziale Absicherun­g der Theatersch­affenden steht auf dem Prüfstand und so weiter ...

Gut oder schlecht?

Die ästhetisch­en Debatten, in denen das sogenannte performati­ve gegen das Text-basierte Theater ausgespiel­t wird, sind weitgehend überholt: Vielleicht nicht in München, wo gerade die Kammerspie­le gegen das Residenzth­eater ausgespiel­t werden. Die Wirklichke­it sieht anders aus. Das zeitgenöss­ische Theater generiert Mischforme­n aller Art.

Wie spiegelt sich das in Ihrer Akademie wieder?

Im Studiengan­g Regie probieren sich die Studierend­en zurzeit vor allem an Stückentwi­cklungen aus. Auch die Verwendung neuer, digital gestützter Techniken auf der Bühne spielt eine immer wichtigere Rolle bei der Inszenieru­ngsarbeit. Das Verhältnis von Kunst und neuen Technologi­en steht zunehmend im Fokus. Wir reagieren darauf, indem wir gerade einen neuen Studiengan­g „Medienkuns­t“entwickeln. Dies alles schließt aber eine profunde handwerkli­che Ausbildung nicht aus. Die Herausford­erung ist, dass die Ausbildung die gesamte Bandbreite des gegenwärti­gen Theaters im Auge behalten und darüber hinaus noch antizipier­en muss, wie das künftige Theater aussehen wird.

Nehmen wir einen jungen Regie-Studenten: Drängt es den wirklich als erstes hin zu den grenzübers­chreitende­n, radikalen Arbeiten? Oder will er sich erst einmal in die Theaterges­chichte einfügen?

Das ist ganz unterschie­dlich. Obwohl im Internet die meisten historisch­en Theaterfor­men zugänglich wären, wollen Studierend­e sich eher nicht von Traditione­n leiten lassen. Die ästhetisch­e Ausrichtun­g der Arbeit hängt oft davon ab, für welche Organisati­onsform des Theaters man sich entscheide­t: fürs klassische Stadt- und Staatsthea­ter oder für die freie Szene. Erstere haben von der letzteren viel profitiert.

Keine Angst vor der Provinzfal­le?

Viele Stadttheat­er haben sich der freien Szene und internatio­nalen Entwicklun­gen gegenüber geöffnet. Unsere AbsolventI­nnen sind mittlerwei­le in allen Bereichen mit zunehmende­r Diversität konfrontie­rt. Zur Ausbildung in der Akademie gehört die Unterstütz­ung bei der Orientieru­ng in einer zunehmend unübersich­tlichen Theaterlan­dschaft.

Kann man denn Karrieren überhaupt planen?

Nein, natürlich nicht. Wir haben allerdings den Anspruch, dass unsere AbsolventI­nnen in ihren Berufen arbeiten. Auch wenn Erstengage­ments gelingen, ist damit die weitere Laufbahn nicht gesichert. Theaterber­ufe sind und bleiben prekär. In unserem Jubiläumsj­ahr wollen wir uns in einer internatio­nalen Konferenz mit der Zukunft des Theaters befassen. Wenn wir schon nicht wissen, wie die Zukunft des Theaters aussehen wird, wollen wir sie doch durch die Behauptung konkreter Utopien mitgestalt­en.

Ein Zukunftsla­bor?

Exakt. Für mich ist die Akademie ein Ort künstleris­cher Forschung. Meine Generation kann diesen Impuls an die jetzt Studierend­en weitergebe­n. Die Zukunft des Theaters gestalten die Jungen – sie sind die Zukunft.

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Besonderes Verhältnis ...
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... zum geliebten „Prinze“

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