mit Hans-Jürgen Drescher
„Die Zukunft des Theaters gestalten die Jungen“
Seit einem Vierteljahrhundert bereiten sich unter dem Dach des Prinzregententheaters in acht Studiengängen unter anderem Maskenbildner, Dramaturgen, angehende Regisseure, Bühnenbildner, künftige Opernsänger und natürlich der Schauspiel-Nachwuchs für ein Leben (und bestenfalls einen guten Beruf) am Theater aus. Mit einem Festprogramm feiert sich die Theaterakademie August Everding, seit 2014 geführt vom Präsidenten Hans-Jürgen Drescher, in der neuen Saison selbst – und zeigt, wo künftig der Bühnenhase hinläuft.
Herr Drescher, Sie sind in Ihrem Haus ja von Historie umgeben. Aber lässt Sie der Mantel der Geschichte, der mit diesem Vierteljahrhundert Theaterakademie jetzt vorbeiweht, Sie auch ein wenig erschrecken?
Die große Tradition der Theaterakademie ist gleichermaßen Verheißung und Verpflichtung. Sie erschreckt mich nicht, ist sie doch ein wunderbares Reservoir, aus dem man schöpfen kann. Schon allein das traditionsreiche Prinzregententheater mit seinen drei Spielstätten, in das August Everding die Akademie implantierte, bietet die ideale Infrastruktur für die Ausbildung von Theaterschaffenden.
Everding war ein streitbarer Querkopf, der die Theaterakademie einst mit viel Leidenschaft für München durchgesetzt hat.
Everdings Idee, im Theater fürs Theater auszubilden, ist keineswegs überholt. Und sie ist zukunftsträchtig, denn im Rahmen eines professionellen Theaterbetriebs auszubilden heißt, die Zukunft des Theaters mitzugestalten.
Das Gebäude war ja lange verlassen und streckenweise ungenutzt. Über diesen Weg hat sich einst ja auch dem Münchner Publikum ein tolles Haus eröffnet. Ich lebe und arbeite im fünften Jahr in München und habe den Eindruck, dass es kaum einen Münchner gibt, den nicht eine Geschichte mit dem Prinzregententheater verbände. Das ist großartig! Das besondere Verhältnis der Münchner zu ihrem Prinze resultiert wohl aus seiner besonderen Aura. Es wurde eben im Krieg nicht zerstört. Die Geschichte der unzähligen Aufführungen, die auf seinen Bühnen stattgefunden haben, ist immer noch anwesend und spürbar.
Wirklich ein Glücksfall. Dazu kann ich eine schöne Anekdote erzählen. Es war ganz am Anfang meiner Tätigkeit hier, als ich nach einer Premierenfeier nachts um halb drei in ein Taxi stieg. Ich traf auf eine ältere Fahrerin, die mich fragte, ob ich dort arbeite: „Gell, das ist ein schönes Theater“, sagte sie zu mir. Im Brustton der Überzeugung fügte sie sofort an: „Unser schönstes!“Das hat mich tief berührt. Und ich merkte erst so richtig, wie privilegiert ich bin, dass ich einem Haus vorstehen darf, das in der Stadt so positiv besetzt ist.
Das muss sich doch auch auf Ihre Auszubildenden und Studierenden
übertragen. Sie haben ja tatsächlich die Chance, dass ihr Erarbeitetes auf eine schöne Bühne kommt und nicht im luftleeren Raum stattfindet.
Absolut. Das ist das Alleinstellungsmerkmal der Theaterakademie. Im Großen Haus treten vor allem die Studierenden der Studiengänge Musiktheater/Operngesang und Musical auf. Sie arbeiten auf der Bühne des Prinzregententheaters mit professionellen RegisseurInnen und BühnenbildnerInnen und in der Regel auch mit hervorragenden Klangkörpern zusammen. In unserem Jubiläumsjahr sind es drei der besten Münchner Orchester: Die Münchner Hofkapelle spielte Hasses Oper „Artaserse“, mit der wir das Marktgräfliche Opernhaus in Bayreuth wiedereröffnet haben, das Münchner Rundfunkorchester wird in der Musical-Produktion „Cinderella“und in der Oper „L’Ancêtre/Die Ahnin“von Camille Saint-Saëns zu hören sein, und mit dem Münchener Kammerorchester werden wir Mozarts „Così fan tutte/So machen’s alle“aufführen.
Beachtlich. Ein Vertrauensbeweis.
Allerdings gilt es zu beachten, dass das Herz der Akademie eigentlich im Akademietheater auf der Rückseite des Prinze schlägt. Seit über zwei Jahren bespielen wir das Akademietheater regelmäßig an Wochenenden mit studentischen Produktionen. In der vergangenen Spielzeit waren es 170 Vorstellungen, die von 25.000 Zuschauern besucht wurden. Das ist großartig! Das Akademietheater eignet sich vor allem für Schauspiel-, aber auch Musical-Aufführungen. Auf der Bühne des Prinzregententheaters sind die Nachhallzeiten so groß, dass gesprochene Texte mikrofoniert werden müssen. Was das Musical ja oft macht.
Ja, Mikrofone sind dort die Regel. Bei einer Bühne von so riesigen Ausmaßen ist das anders nicht zu machen.
Eine weitere Säule des Prinze ist ja auch der Gastspielbetrieb. Ist das auch für die Studenten Anreiz, sich vielleicht etwas von den Großen, Arrivierten abzusehen?
Die Theaterakademie vereint unter einem Dach ein produzierendes Theater, eine Hochschule und einen Vermietbetrieb. Das Prinzregententheater ist also auch eine Art Stadthalle mit über 300 Veranstaltungen und ca. 250.000 Besuchern im Jahr. Hier können die Studierenden tatsächlich absolut erstklassige musikalische Darbietungen erleben. Darüber hinaus sind die Einnahmen aus dem Vermietgeschäft eine wichtige ökonomische Säule für die Akademie.
Nicht ganz unwichtig. In der Tat. Einen großen Teil der Einnahmen können wir in die Ausbildung stecken. Ein einmaliges Modell.
Als Akademieleiter steuern Sie ja ein großes Boot. Von Ihnen war einmal zu hören, dass man zu Beginn ja gar nicht so genau weiß, für welche Form von Theater man die Studenten einmal ausbildet. Sind die Veränderungen im Berufsbild wirklich so radikal?
Ja, das sehe ich so. Inwiefern konkret?
Das Theater, insbesondere das Sprechtheater, hat sich in den letzten 30, 40 Jahren deutlich verändert. Die nicht text-basierten Formate haben zugenommen, der gesamte performative Bereich, der von anderen Künsten beeinflusst wird, ist enorm gewachsen. Die Organisationsformen des Theaters wandeln sich, die soziale Absicherung der Theaterschaffenden steht auf dem Prüfstand und so weiter ...
Gut oder schlecht?
Die ästhetischen Debatten, in denen das sogenannte performative gegen das Text-basierte Theater ausgespielt wird, sind weitgehend überholt: Vielleicht nicht in München, wo gerade die Kammerspiele gegen das Residenztheater ausgespielt werden. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Das zeitgenössische Theater generiert Mischformen aller Art.
Wie spiegelt sich das in Ihrer Akademie wieder?
Im Studiengang Regie probieren sich die Studierenden zurzeit vor allem an Stückentwicklungen aus. Auch die Verwendung neuer, digital gestützter Techniken auf der Bühne spielt eine immer wichtigere Rolle bei der Inszenierungsarbeit. Das Verhältnis von Kunst und neuen Technologien steht zunehmend im Fokus. Wir reagieren darauf, indem wir gerade einen neuen Studiengang „Medienkunst“entwickeln. Dies alles schließt aber eine profunde handwerkliche Ausbildung nicht aus. Die Herausforderung ist, dass die Ausbildung die gesamte Bandbreite des gegenwärtigen Theaters im Auge behalten und darüber hinaus noch antizipieren muss, wie das künftige Theater aussehen wird.
Nehmen wir einen jungen Regie-Studenten: Drängt es den wirklich als erstes hin zu den grenzüberschreitenden, radikalen Arbeiten? Oder will er sich erst einmal in die Theatergeschichte einfügen?
Das ist ganz unterschiedlich. Obwohl im Internet die meisten historischen Theaterformen zugänglich wären, wollen Studierende sich eher nicht von Traditionen leiten lassen. Die ästhetische Ausrichtung der Arbeit hängt oft davon ab, für welche Organisationsform des Theaters man sich entscheidet: fürs klassische Stadt- und Staatstheater oder für die freie Szene. Erstere haben von der letzteren viel profitiert.
Keine Angst vor der Provinzfalle?
Viele Stadttheater haben sich der freien Szene und internationalen Entwicklungen gegenüber geöffnet. Unsere AbsolventInnen sind mittlerweile in allen Bereichen mit zunehmender Diversität konfrontiert. Zur Ausbildung in der Akademie gehört die Unterstützung bei der Orientierung in einer zunehmend unübersichtlichen Theaterlandschaft.
Kann man denn Karrieren überhaupt planen?
Nein, natürlich nicht. Wir haben allerdings den Anspruch, dass unsere AbsolventInnen in ihren Berufen arbeiten. Auch wenn Erstengagements gelingen, ist damit die weitere Laufbahn nicht gesichert. Theaterberufe sind und bleiben prekär. In unserem Jubiläumsjahr wollen wir uns in einer internationalen Konferenz mit der Zukunft des Theaters befassen. Wenn wir schon nicht wissen, wie die Zukunft des Theaters aussehen wird, wollen wir sie doch durch die Behauptung konkreter Utopien mitgestalten.
Ein Zukunftslabor?
Exakt. Für mich ist die Akademie ein Ort künstlerischer Forschung. Meine Generation kann diesen Impuls an die jetzt Studierenden weitergeben. Die Zukunft des Theaters gestalten die Jungen – sie sind die Zukunft.