Bilder aus der Tiefe
Perspektivwechsel, königliche Architektur, Seelenzustände und Bildgrenzen
Jedes Ding hat mindestens zwei Seiten. Man ändert seinen Standort und schon sieht alles ganz anders aus und wird komplex. Und dann kommt noch dazu, was die Anderen sehen – und denken. Bei der Gestaltung der fünf mal fünf Meter großen Plakatfläche auf der Kunst-Insel am Lenbachplatz spielt Eran Shakine mit sämtlichen Perspektiven und mit unseren Erwartungen. „Jeder liebt mich. Ich weiß es nur noch nicht.“hat er mit Graffitimarkern auf die PVCPlane geschrieben. Daneben lässt ein Mädchen mit Pferdeschwanz den Hula-Hoop-Reifen kreisen. Auf der anderen Seite steht ein Junge, sein rechter Arm hält einen Ball, der linke steckt lässig in der Hosentasche. Ihm hat der israelische Künstler eine ähnliche und doch grundverschiedene Aussage mitgegeben: „Jeder liebt mich. Sie wissen es nur noch nicht.“Gesichter haben beide nicht, es könnte also jeder sein. Jedes Mädchen und jeder Junge, und jeder, der einmal ein Mädchen oder ein Junge war. Während das Mädchen sich die Liebe mit dem Hula-Hoop-Reifen anscheinend verdienen muss und darin wie in einem magischen Kreis gefangen ist, strahlt die abwartende, passive Haltung des Jungen mehr oder sogar zuviel Selbstbewusstsein aus. Ist das so? Und wenn ja, warum? Typisch Shakine, der es mit Leichtigkeit schafft, dass man einfach so im vorbeiradeln anfängt, die eigenen Stereotype mal wieder neu zu sortieren. You & Me (bis Ende Oktober) heißt diese Arbeit, und sehen kann sie jeder, dar am Lenbachplatz vorbei kommt. Mehr von Shakines liebevoll humorvoller Gesellschaftskritik kann man noch bis 21. Oktober in der Ausstellung A Muslim, a Christian and a Jew im
Jüdischen Museum sehen. Auch hier geht es irgendwie um Liebe. Und um Religion. Und um Gott. Und um uns.
Universitäten werden zwar älter, altern aber nicht. Universitäten bleiben immer jung. Einerseits, weil dort die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse gelehrt – und mitunter sogar erforscht – werden. Und andererseits, weil eben die Studenten immer jung bleiben. Die Technische Universität München (TUM) feiert schon das ganze Jahr mit verschiedensten Aktionen und Festlichkeiten ihr 150-Jähriges. Und was macht man, wenn jemand Geburtstag hat? Klar, man gratuliert – mitunter auch sich selbst. Das Architekturmuseum der TUM in der Pinakothek der Moderne tut das mit der Ausstellung Königsschlösser und Fabriken – Ludwig II. und die Architektur (bis 13. Januar, Katalog). Warum ausgerechnet Ludwig II. (1864–1886)? Na, weil der sogenannte Märchenkönig nicht nur Opern liebte, sondern auch die Hochschule gegründet hat, damals vor 150 Jahren, als die Eisenbahn sich ausbreitete und man Schritt haltenwollte mit der Industriellen Revolution. Neuschwanstein, Linderhof und Herrenchiemsee kennt man überall auf der Welt, seine anderen Architekturprojekte sind eher unbekannt geblieben. Die Ausstellung holt das nun nach und widmet sich ausführlich den öffentlichen und privaten Bautätigkeiten von Ludwig II. Gezeigt werden meist originale Zeichnungen, Pläne, Fotografien und Modelle. Darunter sind prominente Gebäude wie das Münchner Rathaus von Georg von Hauberrisser oder die Münchner Akademie der Bildenden Künste von Gottfried Neureuther, aber auch weniger bekannte Bauten wie die Fabriken des Augsburger Textilviertels oder die Synagogen in München und Nürnberg.
Man sagt den Österreichern ja nach, sie hätten dieses besondere Gespür für das Doppelbödige. Das kann man natürlich nicht verallgemeinern, aber irgendwie ist schon was dran. Nehmen wir zum Beispiel den Grafiker und Schriftsteller und Österreicher Alfred Kubin. Sein übergreifendes und omnipräsentes Thema war die Doppelbödigkeit alles Seins und Tuns und Denkens. Meist zeichnete er phantastische Gebilde, Wesen und Szenen, die er ins Alptraumhafte kippen ließ. Oft redet der Tod ein Wörtchen mit, immer ist die Angst vor etwas Unbeschreiblichem präsent, seltsame Wesen tun merkwürdige Dinge, und keiner weiß warum. Er ging bei einem Fotografen in die Lehre, studierte an der Königlichen Akademie in München Malerei, brach ab, ging auf Reisen, heiratete, zeichnete und schrieb. Dass seine erste Ausstellung von dem Künstlerfreund Wassily Kandinsky in der Künstlervereinigung Phalanx in München präsentiert wurde, ist fast vergessen. 1904 war das und Kubin 27 Jahre alt. Dafür wird umso häufiger behauptet, dass Kubin (1877– 1959) ein Gründungsmitglied des Blauen Reiter war, dabei sind seine Beziehungen zu diesem Künstlerkreis so gut wie unbekannt. Mit der Ausstellung Phantastisch! Alfred Kubin und der Blaue Reiter (9. Oktober bis 17. Februar) versucht das Lenbachhaus nun anhand von Werken, Dokumenten und Fotografien, die komplexen persönlichen und künstlerischen Verflechtungen Kubins zu seinen Künstlerfreunden Kandinsky, Münter, Jawlensky und Werefkin nachzuvollziehen.
Mode ist ihr Geschäft. Und die Fotokamera ihr Werkzeug. Die 1987 in Moskau geborene, aber in München lebende Elizaveta Porodina hat sich längst einen Namen gemacht und arbeitet für internationale Hochglanzmagazine. Skurrile und schrille Inszenierungen sind quasi ihr Markenzeichen geworden. In der Kabinettausstellung Smoke & Mirrors (5. Oktober bis 20. Januar, Katalog) im Münchner Stadtmuseum werden aber vor allem Portraits gezeigt, die nicht glatte Schönheit spiegeln, sondern Seelenzustände erforschen. In diesen Bildern thematisiert Porodina die unüberwindbare Distanz zu ihren Mitmenschen und die vielen, verschiedenen Methoden der Verstellung. So nah man sich auch stehen mag, so nah die Kamera auch an ihr Motiv herantreten kann – es werden Grenzen sichtbar.