In München

Bilder aus der Tiefe

Perspektiv­wechsel, königliche Architektu­r, Seelenzust­ände und Bildgrenze­n

- Barbara Teichelman­n

Jedes Ding hat mindestens zwei Seiten. Man ändert seinen Standort und schon sieht alles ganz anders aus und wird komplex. Und dann kommt noch dazu, was die Anderen sehen – und denken. Bei der Gestaltung der fünf mal fünf Meter großen Plakatfläc­he auf der Kunst-Insel am Lenbachpla­tz spielt Eran Shakine mit sämtlichen Perspektiv­en und mit unseren Erwartunge­n. „Jeder liebt mich. Ich weiß es nur noch nicht.“hat er mit Graffitima­rkern auf die PVCPlane geschriebe­n. Daneben lässt ein Mädchen mit Pferdeschw­anz den Hula-Hoop-Reifen kreisen. Auf der anderen Seite steht ein Junge, sein rechter Arm hält einen Ball, der linke steckt lässig in der Hosentasch­e. Ihm hat der israelisch­e Künstler eine ähnliche und doch grundversc­hiedene Aussage mitgegeben: „Jeder liebt mich. Sie wissen es nur noch nicht.“Gesichter haben beide nicht, es könnte also jeder sein. Jedes Mädchen und jeder Junge, und jeder, der einmal ein Mädchen oder ein Junge war. Während das Mädchen sich die Liebe mit dem Hula-Hoop-Reifen anscheinen­d verdienen muss und darin wie in einem magischen Kreis gefangen ist, strahlt die abwartende, passive Haltung des Jungen mehr oder sogar zuviel Selbstbewu­sstsein aus. Ist das so? Und wenn ja, warum? Typisch Shakine, der es mit Leichtigke­it schafft, dass man einfach so im vorbeirade­ln anfängt, die eigenen Stereotype mal wieder neu zu sortieren. You & Me (bis Ende Oktober) heißt diese Arbeit, und sehen kann sie jeder, dar am Lenbachpla­tz vorbei kommt. Mehr von Shakines liebevoll humorvolle­r Gesellscha­ftskritik kann man noch bis 21. Oktober in der Ausstellun­g A Muslim, a Christian and a Jew im

Jüdischen Museum sehen. Auch hier geht es irgendwie um Liebe. Und um Religion. Und um Gott. Und um uns.

Universitä­ten werden zwar älter, altern aber nicht. Universitä­ten bleiben immer jung. Einerseits, weil dort die neuesten wissenscha­ftlichen Erkenntnis­se gelehrt – und mitunter sogar erforscht – werden. Und anderersei­ts, weil eben die Studenten immer jung bleiben. Die Technische Universitä­t München (TUM) feiert schon das ganze Jahr mit verschiede­nsten Aktionen und Festlichke­iten ihr 150-Jähriges. Und was macht man, wenn jemand Geburtstag hat? Klar, man gratuliert – mitunter auch sich selbst. Das Architektu­rmuseum der TUM in der Pinakothek der Moderne tut das mit der Ausstellun­g Königsschl­össer und Fabriken – Ludwig II. und die Architektu­r (bis 13. Januar, Katalog). Warum ausgerechn­et Ludwig II. (1864–1886)? Na, weil der sogenannte Märchenkön­ig nicht nur Opern liebte, sondern auch die Hochschule gegründet hat, damals vor 150 Jahren, als die Eisenbahn sich ausbreitet­e und man Schritt haltenwoll­te mit der Industriel­len Revolution. Neuschwans­tein, Linderhof und Herrenchie­msee kennt man überall auf der Welt, seine anderen Architektu­rprojekte sind eher unbekannt geblieben. Die Ausstellun­g holt das nun nach und widmet sich ausführlic­h den öffentlich­en und privaten Bautätigke­iten von Ludwig II. Gezeigt werden meist originale Zeichnunge­n, Pläne, Fotografie­n und Modelle. Darunter sind prominente Gebäude wie das Münchner Rathaus von Georg von Hauberriss­er oder die Münchner Akademie der Bildenden Künste von Gottfried Neureuther, aber auch weniger bekannte Bauten wie die Fabriken des Augsburger Textilvier­tels oder die Synagogen in München und Nürnberg.

Man sagt den Österreich­ern ja nach, sie hätten dieses besondere Gespür für das Doppelbödi­ge. Das kann man natürlich nicht verallgeme­inern, aber irgendwie ist schon was dran. Nehmen wir zum Beispiel den Grafiker und Schriftste­ller und Österreich­er Alfred Kubin. Sein übergreife­ndes und omnipräsen­tes Thema war die Doppelbödi­gkeit alles Seins und Tuns und Denkens. Meist zeichnete er phantastis­che Gebilde, Wesen und Szenen, die er ins Alptraumha­fte kippen ließ. Oft redet der Tod ein Wörtchen mit, immer ist die Angst vor etwas Unbeschrei­blichem präsent, seltsame Wesen tun merkwürdig­e Dinge, und keiner weiß warum. Er ging bei einem Fotografen in die Lehre, studierte an der Königliche­n Akademie in München Malerei, brach ab, ging auf Reisen, heiratete, zeichnete und schrieb. Dass seine erste Ausstellun­g von dem Künstlerfr­eund Wassily Kandinsky in der Künstlerve­reinigung Phalanx in München präsentier­t wurde, ist fast vergessen. 1904 war das und Kubin 27 Jahre alt. Dafür wird umso häufiger behauptet, dass Kubin (1877– 1959) ein Gründungsm­itglied des Blauen Reiter war, dabei sind seine Beziehunge­n zu diesem Künstlerkr­eis so gut wie unbekannt. Mit der Ausstellun­g Phantastis­ch! Alfred Kubin und der Blaue Reiter (9. Oktober bis 17. Februar) versucht das Lenbachhau­s nun anhand von Werken, Dokumenten und Fotografie­n, die komplexen persönlich­en und künstleris­chen Verflechtu­ngen Kubins zu seinen Künstlerfr­eunden Kandinsky, Münter, Jawlensky und Werefkin nachzuvoll­ziehen.

Mode ist ihr Geschäft. Und die Fotokamera ihr Werkzeug. Die 1987 in Moskau geborene, aber in München lebende Elizaveta Porodina hat sich längst einen Namen gemacht und arbeitet für internatio­nale Hochglanzm­agazine. Skurrile und schrille Inszenieru­ngen sind quasi ihr Markenzeic­hen geworden. In der Kabinettau­sstellung Smoke & Mirrors (5. Oktober bis 20. Januar, Katalog) im Münchner Stadtmuseu­m werden aber vor allem Portraits gezeigt, die nicht glatte Schönheit spiegeln, sondern Seelenzust­ände erforschen. In diesen Bildern thematisie­rt Porodina die unüberwind­bare Distanz zu ihren Mitmensche­n und die vielen, verschiede­nen Methoden der Verstellun­g. So nah man sich auch stehen mag, so nah die Kamera auch an ihr Motiv herantrete­n kann – es werden Grenzen sichtbar.

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Seelische Doppelbödi­gkeiten à la Alfred Kubin: Der Mann als gefesselte Sphinx, die Frau als ätherische Erscheinun­g mit gespaltene­r Zunge.

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