Kleiner Mann, was nun ?
„Dogman“von Matteo Garrone
Die dunklen Seiten Italiens lassen den Regisseur Matteo Garrone nicht los. Er verfilmte den Mafiabestseller „Gomorrha“von Roberto Saviano und auch sein neues Werk inspirierte ein grausames Verbrechen der 80er Jahre. Marcello ist ein „Dogman“, ein Hundefriseur. In einem heruntergekommenen Vorort von Neapel, zwischen einstöckigen Cash-für-Goldshops, Bars und Spielhallen, wäscht und föhnt der schmächtige Mann Bulldoggen wie Chihuahuas. Er vertickt in seinem schäbigen Laden gleichzeitig Kokain – nur so kann er sich teure Ferien mit seiner kleinen Tochter leisten, die bei ihrer Mutter lebt. Der Mann mit den großen Augen, dem schiefen, unsicheren Grinsen sucht die Freundschaft des berüchtigten Schlägers Simoncino. Der kommt nur vorbei, um das weiße Pulver zu schnorren. Geduldig steckt Marcello jede Demütigung weg, buckelt, auch wenn Simoncino ihn beleidigt, sogar schlägt. Der Dogman fürchtet den aggressiven Kokskopf. Vielleicht hofft er von ihm beschützt zu werden, vielleicht hat er auch Angst davor, mutig zu sein. Die Motive für Marcellos devotes Verhalten löst Matteo Garrone nicht auf, ihn interessiert die langsame Veränderung seines Protagonisten. Marcello geht für Simoncino sogar ein Jahr ins Gefängnis. Der bleibt auch danach bösartig, zeigt keine Dankbarkeit. Marcello hat jedoch seine Freunde, seine Kunden verloren, er ist erledigt. Eine kleine, ganz auf die Hauptfigur konzentrierte Geschichte. Ungewöhnlich viel Zeit nimmt sich Matteo Garrone, um das bescheidene Glück, die Welt von Marcello zu zeigen: die hellen Nachmittage, in denen er mit den Nachbarn in der Sonne schwatzt, Tauchen im Meer mit der begeisterten Tochter, die einsamen Abendessen mit dem Hund. Blaustichig, fast schwarz-weiß, sind die atmosphärischen Bilder: in großen Regenpfützen spiegelt sich die Abendsonne, Gras wächst in vergessenen Straßen. Großaufnahmen, Totalen, eine schnelle bewegliche Handkamera, und keine Erklärungen. Marcello liebt Hunde, sie sind ebenso wie er Mächtigeren ausgeliefert. Irgendwann riskiert er allein einen Einbruch in eine Villa, um einen Chihuahua aus dem Tiefkühlschrank zu retten – eine absurde Szene, die schon erzählt, wieviel Willen und Entschlossenheit in diesem Mann steckt, der doch niemanden etwas zuleide tun will. Und dann mit allen Mitteln um seine Selbstachtung kämpft. Eindrucksvoll, mit wieviel Einfühlung und Mut Marcello Fonte die Entwicklung eines gutmütigen Mannes spielt, der zu einem ganz anderen, zu einer Bestie wird. Verdient erhielt der Schauspieler in diesem Mai den Darstellerpreis bei den Filmfestspielen von Cannes. Matteo Garrone erzählt auch in „Dogman“mit erzählerischer Lust, und ohne sich an filmische Konventionen zu halten, prägnante Einzelschicksale, die italienische Verhältnisse porträtieren.. Auch in diesen David-gegen-GoliathKonflikt lässt sich vieles über Italien und seine Verbrechen hineinlesen. „Dogman“ist eine Parabel: lässt man das Böse gewähren, wehrt sich nicht von Anfang an, wird man im doppelten Sinn zum Opfer.