In München

Echtheit ist verhandelb­ar

Von antiker Kunst bis zur Virtual Reality – die Ausstellun­g „Lust der Täuschung“erforscht, wie verlässlic­h unsere Wahrnehmun­g wirklich ist.

- Barbara Teichelman­n

Es gibt die Enttäuschu­ng und es gibt die Täuschung. Die Enttäuschu­ng beschreibt den Graben zwischen dem, was man sich gewünscht oder zumindest vorgestell­t hat und der Realität. Und die Täuschung? Ist ein Spiel, das Spaß macht. Und zwar bestenfall­s beiden Seiten. Klar wird man reingelegt, aber wenn sich derjenige oder diejenige dabei Mühe gibt, dann macht das eben Spaß. Dann staunt man, erschrickt kurz oder möchte da einfach mal reinfassen, um sich von der Echtheit bzw. der Unechtheit zu überzeugen. So wie der ungläubige Thomas nicht glauben wollte, dass der Auferstand­ene vor ihm steht – bis Jesus ihn auffordert, die Wunde an seiner Seite zu berühren und Thomas noch immer etwas ungläubig und etwas pietätlos seinen Finger ins Fleisch bohrt. Auch eine Darstellun­g dieser Szene aus der Bibel gibt es zu sehen in der Ausstellun­g „Lust der Täuschung“in der Kunsthalle. Und den abgeschlag­enen Kopf von Johannes dem Täufer, mit qualvoll verdrehten Augen, Blut und angeschnit­tener Luftröhre. Terrakotta auf Samtkissen, Spanien, Ende 17. Jahrhunder­t. Erschrecke­nd echt. Und schon sind wir bei der zentralen Frage: Was ist denn überhaupt echt? Das, was ich sehe, höre, taste, fühle? Kann sein. Die Kunst spielt schon immer mit uns und unserer Wahrnehmun­g. Antike Fresken holten den Horizont nach drinnen und täuschen räumliche Tiefe vor. In barocken Kirchen öffnete sich die Decke direkt in den Himmel, dorthin wo Maria und die Dreifaltig­keit thronten, und einem jederzeit eine dieser gutgenährt­en Putten auf den Kopf fallen konnte. Zumindest sah es so aus. Heute setzt man sich eine Virtual-Reality-Brille auf und balanciert auf einem schmalen Holzbrett in schwindele­rregender Höhe. Und obwohl man weiß, dass man mitten in München in einem Raum der Ausstellun­g auf festem Boden steht, denkt der Körper, man stürze jeden Moment ab. Und zittert, weil er Angst hat um sein Leben. In insgesamt sieben Räumen werden die visuellen Spielforme­n von Schein und Illusion quer durch die Kunstgesch­ichte beleuchtet. Los geht es mit dem Spiel der Wahrnehmun­g und religiösen Darstellun­g über die Entdeckung der sichtbaren Welt während der Renaissanc­e, dem klassische­n Trompel’oeil bis zu Kopie und Fälschung, Mode und Raumillusi­on. Ein großer Bogen, der sich da spannt, inhaltlich, aber auch formal, denn die Bandbreite der Exponate ist groß. Malerei, Skulptur, Video, Architektu­r, Design, Virtual Reality – alles dabei. Das Thema ist per se unterhalte­nd und abwechslun­gsreich und durchweg interaktiv, denn zu einem Täuschungs­manöver gehören schließlic­h immer zwei. Also ist man ständig dabei herauszufi­nden, was echt und was unecht ist. Schmunzelt abgeklärt über die Reaktion der Zuschauer, als diese 1896 den Schwarz-Weiß-Film der Gebrüder Lumière sahen, auf dem ein Zug durchs Bild brauste: Sie sprangen aus den Sitzen, weil sie dachten, der Zug würde auf sie zurasen. Tja und dann erschrickt man selber kurz, weil da ein Mädchen den Pulli über den Kopf gezogen an der Wand lehnt und man sich fragt: Was um Himmels Willen ist denn hier los?

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Öl auf Leinwand oder ein Schwimmbad? Die Maße (272 x 322 x 15 cm) sprechen für Ersteres.

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