Von Hühnern, dem Piratenherz und Rodeoreitern
Bei den französischen und frankophonen Neuheiten der jüngeren Zeit, stechen die Alben von Musikerinnen wieder einmal deutlich heraus. Da muss man gar keine, wie auch immer geartete, Geschlechterquote einfordern.
Sie hat sich den sehr hübschen Künstlernamen Coeur de Pirate, also „Piratenherz“, selbst verpasst: Die inzwischen 29jährige kanadische Songwriterin Béatrice Martin, die schon als Teenager mit ihrem großartigen, selbstbetitelten Debütalbum in Kanada und Frankreich für Furore gesorgt hat. Vor kurzem ist mit „en cas de tempête, ce jardin sera fermé“beim Kölner Label Le Pop Musik das vierte Album erschienen, mit dem Coeur de Pirate endlich auch auf DeutschlandTour geht: Am 5. November ist sie dabei im Freiheiz live zu sehen. Ich selbst durfte die zierliche Musiker gleich nach ihrem Debüt zweimal im französischen Bourges sehen: einmal solo am Klavier und einmal mit Band. Beides eindrückliche Konzerte. Mit der neuen Platte kehrt die Frankokanadierin wieder zum Sound der ersten beiden Alben zurück. Und die zehn neuen Songs atmen wieder den Geist der frühen Werke der Pianistin. Schon alleine der Opener „Somnambule“, den die Chanson-Piratin mit ihrer leicht gepressten Stimme zum Piano in Moll und feinen Streichern singt: Melancholisch, berührend. Oder „Prémonition“, die erste Single, etwas flotter.
Bleiben wir in Kanada. Les Poules à Colin ist eine großartige junge Alternative-FolkBand aus Quebec, die ich vor ein paar Wochen bei einem famosen, aussergewöhnlichen Konzert im kleinen Zimmertheater Ars Musica gesehen habe. Eine spielfreudige, recht junge Band, die im weiten Feld zwischen Folk und Chanson, bretonischen Klängen, Cajun und Quebec-Sounds unterwegs ist, dabei aber auch nicht verhehlt, dass die MusikerInnen einen Jazz- und/oder Klassikbackground haben. In Kanada sind Les Poules übrigens schon mehr als nur ein vielversprechender Newcomer. „Morose“ist ihr neues, bereits drittes Album, das erstmals auch in Deutschland veröffentlicht wird.
Auch die Pariserin Dorothée Hannequin war mit ihrem Projekt The Rodeo jüngst in München zu Gast und zwar im wunderschönen Garten des hiesigen Institut Français. 2011 fiel mir The Rodeo zum ersten Mal positiv auf. Damals wurde ihr beim Indie-Label Naive erschienenes Debütalbum „Music Maleström“überall –zurecht – abgefeiert. Und ihre Single „On the radio“war ein kleiner Hit. Danach war nicht mehr viel zu hören. Umso schöner, dass The Rodeo wieder da sind. Neun feine kleine Popsongs zwischen Nouvelle Chanson und FrenchPop. Dieses Mal komplett auf Französisch gesungen. Auf den Spuren von Françoise Hardy und France Gall.
Eine meine französischen Lieblingsplatten dieses Jahr stammt von Clara Luciani, einer ganz wunderbaren Sängerin, die ich letzten Herbst beim Branchenfestival MaMA in Paris entdeckt hatte. „Sainte Victoire“ist das Debütalbum der großgewachsenen dunkelhaarigen Schönheit mit der etwas rauen, tiefen Stimme. Mit 19 ist sie aus der Provinz bei Marseille nach Paris gekommen und hat dort mit der Band La Femme gearbeitet, ehe sie mit Maxime Sokolinski, dem Bruder der Sängerin Soko, das Duo Hologram gebildet hat. Nachdem Clara zuerst englische Songs geschrieben hatte, wechselte sie später zum Französischen. Herausgekommen sind flotte French-Pop-Songs wie „La Grenade“, „La Baie“oder „Monstre D`Amour“. Gut ins Ohr gehend mit entsprechenden Beats, auch mal rockiger. Als Einflüsse nennt sie Nico, PJ Harvey und Patti Smith. Vor allem die tiefe Stimme der deutschen Sängerin Nico Päffgen, die in den 60ern Erfolge mit der Kultband Velvet Underground gefeierte hatte, hat es ihr angetan.
Wenn wir bei französischen Sängerinnen sind, dann darf natürlich Françoise Hardy nicht fehlen. Die 74jährige Ikone der französischen Popmusik hat nach längerer Pause mit „Personne d’autre“wieder mal eine Platte veröffentlicht. Album Nummer 26 einer 50järigen Karriere einer Sängerin, die für jüngere französische MusikerInnen ebenso einflussreich ist, wie vom internationalen Pop-Adel, von Damon Albarn bis Jarvis Cocker, verehrt wird. Das war nicht immer so. In den 60ern, als sie mit hübschen Popsongs wie „Tous les garçons et les filles“(ihrem ersten Hit) oder „Comment te dire adieu“(aus der Feder des grossen Gainsbourg) angefangen hat, wurde sie von der hohen Chanson-Kritik noch abfällig als sogenannte „YehYeh“-Sängerin geschmäht. Den Status der „elder stateswoman“der französischen Popmusik hat sie eigentlich erst ab den 90er Jahren erreicht. Auf „Personne d‘autre“arbeitet sie mit ihrem langjährigen Co-Writer Thierry Stremler zusammen – ein guter Mann, von dem man gerne auch mal wieder eigene Sachen hören würde. Ein wunderbares Alterswerk.
Eine Pop-Ikone der 80er Jahre ist Lio. Ihre beiden Hits „Amoureux Solitaire“(1980) und „Le banana split“(1979) sind mir immer noch gut im Ohr. Alle paar Jahre bringt Lio ein neues Album raus, ohne jedoch an die Erfolge der 80er anknüpfen zu können. Jüngst unter dem Titel „Lio canta Caymmi“– ein neues Werk der Belgierin mit den portugiesischen Wurzeln. Und dieses Mal hat sich Wanda Maria Ribeiro Furtado Tavares de Vasconcelos, so ihr vollständiger Name, ganz der brasilianischen Musik verschrieben. Genauer gesagt, den Stücken des vor 10 Jahren verstorbenen brasilianischen Songwriter-Idols Dorival Caymmi, einem der einflussreichsten Autoren des fussball- und musikverrückten Landes am Zuckerhut.
Wurzeln in Haiti hat die im französischen Teil Kanadas aufgewachsene Mélissa Laveaux. Seit sie 12 ist, war die 33jährige Songwriterin aber nicht mehr auf Haiti. Für ihr drittes Album „Radyo Siwèl“ist sie nun aber wieder auf die karibische Insel zurückgekehrt und hat dort ihr wohl schönstes Album eingespielt. Zwölf wunderbare Songs, die lässig, lüpfig und leicht daherkommen, sehr schön ins Ohr gehen und einen unwillkürlich mitwippen lassen. Da fühlt man sich mal an Mano Chao erinnert, mal an die verstorbene kapverdische Queen Cesaria Evora. Afrika trifft auf Lateinamerika. Mal klingt das aber auch fast wie Rockabilly und „Tolalito“erinnert mich an einen 50s inspirierten Popsong.
Dem jungen französischen Energiebündel eilt vor allem ein exzellenter Live-Ruf voraus. Nun macht sich Nina Attal mit ihrem neuen Album „Jump“auch daran, die Fans einzufangen, die sie bislang noch nicht live gesehen haben. Funk, Rock, Soul, Blues, Jazz, Pop und neuerdings aus R&B und HipHop sind die Elemente, die die 25jährige in ihren Songs mischt. Bislang sang die in der Nähe von Paris aufgewachsene Musikerin vorwiegend auf Englisch. Nun singt sie auch auf einigen Stücken in ihrer Muttersprache. Live ist Nina Attal übrigens am 13. Oktober in der Unterfahrt zu sehen. ... ist Konzertveranstalter, Musikjournalist, DJ und Compiler (LeTour CDs 1-8). Er veranstaltet seit 2000 zusammen mit dem Club 2 Deutschlands älteste Disco mit französischer und frankohoner Musik. Der nächste Termin der TOUR DE FRANCE: Freitag, 26.10. Muffatcafé. Alle Infos auf letour.ne