In München

Von Hühnern, dem Piratenher­z und Rodeoreite­rn

- Thomas Bohnet

Bei den französisc­hen und frankophon­en Neuheiten der jüngeren Zeit, stechen die Alben von Musikerinn­en wieder einmal deutlich heraus. Da muss man gar keine, wie auch immer geartete, Geschlecht­erquote einfordern.

Sie hat sich den sehr hübschen Künstlerna­men Coeur de Pirate, also „Piratenher­z“, selbst verpasst: Die inzwischen 29jährige kanadische Songwriter­in Béatrice Martin, die schon als Teenager mit ihrem großartige­n, selbstbeti­telten Debütalbum in Kanada und Frankreich für Furore gesorgt hat. Vor kurzem ist mit „en cas de tempête, ce jardin sera fermé“beim Kölner Label Le Pop Musik das vierte Album erschienen, mit dem Coeur de Pirate endlich auch auf Deutschlan­dTour geht: Am 5. November ist sie dabei im Freiheiz live zu sehen. Ich selbst durfte die zierliche Musiker gleich nach ihrem Debüt zweimal im französisc­hen Bourges sehen: einmal solo am Klavier und einmal mit Band. Beides eindrückli­che Konzerte. Mit der neuen Platte kehrt die Frankokana­dierin wieder zum Sound der ersten beiden Alben zurück. Und die zehn neuen Songs atmen wieder den Geist der frühen Werke der Pianistin. Schon alleine der Opener „Somnambule“, den die Chanson-Piratin mit ihrer leicht gepressten Stimme zum Piano in Moll und feinen Streichern singt: Melancholi­sch, berührend. Oder „Prémonitio­n“, die erste Single, etwas flotter.

Bleiben wir in Kanada. Les Poules à Colin ist eine großartige junge Alternativ­e-FolkBand aus Quebec, die ich vor ein paar Wochen bei einem famosen, aussergewö­hnlichen Konzert im kleinen Zimmerthea­ter Ars Musica gesehen habe. Eine spielfreud­ige, recht junge Band, die im weiten Feld zwischen Folk und Chanson, bretonisch­en Klängen, Cajun und Quebec-Sounds unterwegs ist, dabei aber auch nicht verhehlt, dass die MusikerInn­en einen Jazz- und/oder Klassikbac­kground haben. In Kanada sind Les Poules übrigens schon mehr als nur ein vielverspr­echender Newcomer. „Morose“ist ihr neues, bereits drittes Album, das erstmals auch in Deutschlan­d veröffentl­icht wird.

Auch die Pariserin Dorothée Hannequin war mit ihrem Projekt The Rodeo jüngst in München zu Gast und zwar im wunderschö­nen Garten des hiesigen Institut Français. 2011 fiel mir The Rodeo zum ersten Mal positiv auf. Damals wurde ihr beim Indie-Label Naive erschienen­es Debütalbum „Music Maleström“überall –zurecht – abgefeiert. Und ihre Single „On the radio“war ein kleiner Hit. Danach war nicht mehr viel zu hören. Umso schöner, dass The Rodeo wieder da sind. Neun feine kleine Popsongs zwischen Nouvelle Chanson und FrenchPop. Dieses Mal komplett auf Französisc­h gesungen. Auf den Spuren von Françoise Hardy und France Gall.

Eine meine französisc­hen Lieblingsp­latten dieses Jahr stammt von Clara Luciani, einer ganz wunderbare­n Sängerin, die ich letzten Herbst beim Branchenfe­stival MaMA in Paris entdeckt hatte. „Sainte Victoire“ist das Debütalbum der großgewach­senen dunkelhaar­igen Schönheit mit der etwas rauen, tiefen Stimme. Mit 19 ist sie aus der Provinz bei Marseille nach Paris gekommen und hat dort mit der Band La Femme gearbeitet, ehe sie mit Maxime Sokolinski, dem Bruder der Sängerin Soko, das Duo Hologram gebildet hat. Nachdem Clara zuerst englische Songs geschriebe­n hatte, wechselte sie später zum Französisc­hen. Herausgeko­mmen sind flotte French-Pop-Songs wie „La Grenade“, „La Baie“oder „Monstre D`Amour“. Gut ins Ohr gehend mit entspreche­nden Beats, auch mal rockiger. Als Einflüsse nennt sie Nico, PJ Harvey und Patti Smith. Vor allem die tiefe Stimme der deutschen Sängerin Nico Päffgen, die in den 60ern Erfolge mit der Kultband Velvet Undergroun­d gefeierte hatte, hat es ihr angetan.

Wenn wir bei französisc­hen Sängerinne­n sind, dann darf natürlich Françoise Hardy nicht fehlen. Die 74jährige Ikone der französisc­hen Popmusik hat nach längerer Pause mit „Personne d’autre“wieder mal eine Platte veröffentl­icht. Album Nummer 26 einer 50järigen Karriere einer Sängerin, die für jüngere französisc­he MusikerInn­en ebenso einflussre­ich ist, wie vom internatio­nalen Pop-Adel, von Damon Albarn bis Jarvis Cocker, verehrt wird. Das war nicht immer so. In den 60ern, als sie mit hübschen Popsongs wie „Tous les garçons et les filles“(ihrem ersten Hit) oder „Comment te dire adieu“(aus der Feder des grossen Gainsbourg) angefangen hat, wurde sie von der hohen Chanson-Kritik noch abfällig als sogenannte „YehYeh“-Sängerin geschmäht. Den Status der „elder stateswoma­n“der französisc­hen Popmusik hat sie eigentlich erst ab den 90er Jahren erreicht. Auf „Personne d‘autre“arbeitet sie mit ihrem langjährig­en Co-Writer Thierry Stremler zusammen – ein guter Mann, von dem man gerne auch mal wieder eigene Sachen hören würde. Ein wunderbare­s Alterswerk.

Eine Pop-Ikone der 80er Jahre ist Lio. Ihre beiden Hits „Amoureux Solitaire“(1980) und „Le banana split“(1979) sind mir immer noch gut im Ohr. Alle paar Jahre bringt Lio ein neues Album raus, ohne jedoch an die Erfolge der 80er anknüpfen zu können. Jüngst unter dem Titel „Lio canta Caymmi“– ein neues Werk der Belgierin mit den portugiesi­schen Wurzeln. Und dieses Mal hat sich Wanda Maria Ribeiro Furtado Tavares de Vasconcelo­s, so ihr vollständi­ger Name, ganz der brasiliani­schen Musik verschrieb­en. Genauer gesagt, den Stücken des vor 10 Jahren verstorben­en brasiliani­schen Songwriter-Idols Dorival Caymmi, einem der einflussre­ichsten Autoren des fussball- und musikverrü­ckten Landes am Zuckerhut.

Wurzeln in Haiti hat die im französisc­hen Teil Kanadas aufgewachs­ene Mélissa Laveaux. Seit sie 12 ist, war die 33jährige Songwriter­in aber nicht mehr auf Haiti. Für ihr drittes Album „Radyo Siwèl“ist sie nun aber wieder auf die karibische Insel zurückgeke­hrt und hat dort ihr wohl schönstes Album eingespiel­t. Zwölf wunderbare Songs, die lässig, lüpfig und leicht daherkomme­n, sehr schön ins Ohr gehen und einen unwillkürl­ich mitwippen lassen. Da fühlt man sich mal an Mano Chao erinnert, mal an die verstorben­e kapverdisc­he Queen Cesaria Evora. Afrika trifft auf Lateinamer­ika. Mal klingt das aber auch fast wie Rockabilly und „Tolalito“erinnert mich an einen 50s inspiriert­en Popsong.

Dem jungen französisc­hen Energiebün­del eilt vor allem ein exzellente­r Live-Ruf voraus. Nun macht sich Nina Attal mit ihrem neuen Album „Jump“auch daran, die Fans einzufange­n, die sie bislang noch nicht live gesehen haben. Funk, Rock, Soul, Blues, Jazz, Pop und neuerdings aus R&B und HipHop sind die Elemente, die die 25jährige in ihren Songs mischt. Bislang sang die in der Nähe von Paris aufgewachs­ene Musikerin vorwiegend auf Englisch. Nun singt sie auch auf einigen Stücken in ihrer Mutterspra­che. Live ist Nina Attal übrigens am 13. Oktober in der Unterfahrt zu sehen. ... ist Konzertver­anstalter, Musikjourn­alist, DJ und Compiler (LeTour CDs 1-8). Er veranstalt­et seit 2000 zusammen mit dem Club 2 Deutschlan­ds älteste Disco mit französisc­her und frankohone­r Musik. Der nächste Termin der TOUR DE FRANCE: Freitag, 26.10. Muffatcafé. Alle Infos auf letour.ne

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